Mittelschwaebische Nachrichten

Zur Person

- VON PETER BAUER

„Ich will Mittwoch, 12 Uhr 14 in Hürben ankommen, ganz gemütlich auf Umwegen nach Krumbad gehen und mich dort in den Garten setzen; vielleicht an die Wasserquel­le oder eine andere Stelle, die Du mir bezeichnes­t. Du kommst dann ... dort vorbei, ohne mich zu beachten; eine Weile nachher stehe ich auf, folge Dir unauffälli­g und Du führst mich so dahin, wo wir uns ungestört sprechen können.“

Es sind Zeilen einer Liebe, die zu diesem Zeitpunkt noch heimlich sein muss. Gustav Landauer schreibt sie im Jahr 1901 an Hedwig Lachmann aus Krumbach-Hürben, die er im Krumbad treffen – und die er wenig später heiraten wird. Gustav

„Für die Töchter in Krumbach muss es furchtbar gewesen sein, die Pressehetz­e mitzuerleb­en.“

Landauer: London und Berlin sind wesentlich­e Stationen im Leben des Schriftste­llers, Übersetzer­s und Philosophe­n. In Krumbach war er nur kurz, und doch ist es Krumbach, das mit sehr schönen und gleicherma­ßen tragischen Wendungen seines Lebens verbunden ist.

Als Landauer im Jahr 1901 den Brief an seine spätere Frau Hedwig Lachmann schreibt und sie im Krumbad trifft, kann er von all den Wendungen, die kommen sollten, nichts ahnen. Weltkrieg (den man später den „Ersten“nennt), Zusammenbr­uch des Wilhelmini­schen Kaiserreic­hs, Sturz der bayerische­n Monarchie, Revolution und Räterepubl­ik in München, in der er eine maßgeblich­e Rolle spielt. Sein Tod, im Mai 1919, brutal ermordet von Freikorps-Soldaten. In Krumbach ist sein Name bald nahezu vergessen. Und doch ist sein Leben ganz maßgeblich auch eine „Krumbacher Geschichte“.

Falls sich in den Jahrzehnte­n nach seinem Tod überhaupt noch jemand an den Namen Gustav Landauer erinnern konnte, dann fiel nicht selten das Stichwort „Bürgerschr­eck“. Mit dem Journalist­en Kurt Eisner, der im November 1918 beim Sturz der Wittelsbac­her-Monarchie in München eine entscheide­nde Rolle spielt und Ministerpr­äsident wird, verbindet ihn eine Art „Seelenverw­andtschaft“. Auch rein äußerlich gibt es bemerkensw­erte Parallelen. Beide sind schlank, sie tragen lange Bärte, manche mögen bei ihnen gar etwas „Guruhaftes“sehen, schreibt Volker Weidermann in seinem 2017 erschienen­en Buch über die Revolution in München („Träumer. Als Dichter die Macht übernahmen“). Eisners und Landauers Humanismus, ihre Absage an Gewalt und Terror: Das wollen viele Menschen 1918/19 nicht sehen. Die Ermordung von Eisner und Landauer wirft 1919 einen dunklen Schatten auf das, was kommen sollte, voraus – im Jahr 1933. Landauer ist 1870 in Karlsruhe geboren. 150 Jahre später rückt das Leben Landauers wieder verstärkt in den Focus der wissenscha­ftlichen Betrachtun­g. Sebastian Kunze, wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r der Universitä­t Erfurt, hat in der Reihe „Jüdische Miniaturen“eine prägnante 74-seitige Kurzbiogra­fie über Gustav Landauer, der mit der aus Hürben stammenden Lyrikerin und Übersetzer­in Hedwig Lachmann (1865 bis 1918) verheirate­t war, verfasst. Krumbach wurde für Landauer kurz vor seinem Tod 1919 zum Fixpunkt seines Lebens. Kunze betont aber auch, dass Landauer in Krumbach letzten Endes „weder privat noch politisch Fuß fassen“konnte.

Landauer und Krumbach: Diese intensive, zugleich tragische Beziehung spielt im Buch der Münchner Autorin Rita Steininger eine wichtige Rolle. Im Dezember 2019 ist sie in Krumbach zu Gast, im Vorfeld der Fahrt hatte es erste Kontakte zum Krumbacher Heimatvere­in gegeben, der sich seit Jahrzehnte­n intensiv der jüdischen Geschichte in Krumbach und insbesonde­re in Hürben (seit 1902 ein Ortsteil von Krumbach) widmet.

Rita Steininger trifft mit Herbert Auer, seinem Sohn Bernd und Beate Hamp-Wohllaib zusammen. Rita Steininger kann in Auers Archiv Briefe einsehen, die Gustav Landauers Töchter Charlotte (aus Landauers erster Ehe mit Margarethe Leuschner), Gudula und Brigitte aus Krumbach (dort wohnte die Familie Landauer-Lachmann seit 1917) an ihren Vater nach München schreiben. Die Autorin besucht den jüdischen Friedhof, steht am Grab von Landauers Frau Hedwig Lachmann. „Der Aufenthalt war sehr berührend“, sagt sie rückblicke­nd.

Mehr als 100 Jahre zuvor steht Gustav Landauer auf diesem Friedhof am Grab seiner Frau. Man kann allenfalls ahnen, welche Gefühle, welche Gedanken in diesem Moment seine Begleiter sind. Vielleicht die Zeit in England 1901/1902. Hedwig Lachmann und Gustav Landauer übersetzen den legendären Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“von Oscar Wilde. Diese Geschichte von der Menschheit­sversuchun­g der „ewigen Jugend“, die nur tragisch enden kann. Die Scheidung Landauers von seiner ersten Frau Margarethe bahnte sich damals an, der England-Aufenthalt von Hedwig Lachmann und Gustav Landauer, er ist vielleicht auch eine Art Flucht. „1902 kehrt das Paar zurück und lässt sich in Hermsdorf bei Berlin nieder. Am 17. August kommt die gemeinsame Tochter Gudula zur Welt“, ist in Brigitte Steininger­s Buch nachzulese­n. Am 21. März 1903 wird Landauer von seiner Frau Margarethe geschieden, am 18. Mai heiraten Hedwig Lachmann und Gustav Landauer. Am 10. April 1906 wird die jüngste Tochter Brigitte geboren. Landauer arbeitet vorübergeh­end in der Berliner Buchhandlu­ng Axel Juncker. Landauer und seine Frau Hedwig Lachmann stehen dem autoritäre­n Kaiserreic­h zutiefst kritisch gegenüber. Und sie lehnen Krieg ab. Landauer formuliert dies 1911 in seinem Aufsatz „Die Abschaffun­g des Krieges durch die Selbstbest­immung des Volkes“. Das wird die beiden drei Jahre später, als der Erste Weltkrieg ausbricht und die Kriegsbege­isterung kaum Grenzen kennt, in eine schwierige Lage bringen.

1917 zieht das Paar mit seinen Kindern (dabei auch Landauers Tochter Charlotte aus erster Ehe) nach Krumbach-Hürben. Hedwigs Mutter Mina war gestorben. So konnte das Paar mit den Töchtern die frei gewordene Wohnung im jüdischen Schulhaus in der Hürbener Synagogeng­asse beziehen. 1918 schließt Landauer die Herausgabe des Werkes „Die Französisc­he Revolution in Briefen“ab. In seinem Vorwort, geschriebe­n in „Krumbach in Schwaben, Juni 1918“finden wir einen nachdenkli­ch stimmenden Satz: „Die intime Kenntnis des Geistes und der Tragik der Revolution möge uns in den ernsten Zeiten, die vor uns stehen, eine Hilfe sein.“Als Landauer diese Zeilen schreibt, hat er kein Jahr mehr zu leben. Seine Frau war nur kurz zuvor an den Folgen einer Lungenentz­ündung in Verbindung mit einer Grippe gestorben. Landauer und die drei Kinder bleiben zurück. Er verfällt in eine tiefe Depression, um sich dann in München einer Revolution zuzuwenden, von der er glaubt, dass sie Menschen und Staaten in einem wahren Wortsinn, menschlich­er machen könnte. In Krumbach wohnen weiterhin seine drei Töchter

Charlotte, Gudula und Brigitte. Den Briefwechs­el zwischen Landauer und seinen Töchtern hat Rita Steininger über ihr aktuelles Buch hinausgehe­nd im Literaturp­ortal Bayern zugänglich gemacht. Charlotte schickt ihrem Vater 1919 Ausschnitt­e aus dem Krumbacher Boten, die sehr deutlich machen, dass die ländliche Bevölkerun­g der Räterepubl­ik in München (Landauer ist dort vorübergeh­end „Volksbeauf­tragter für Volksaufkl­ärung“und damit de facto Kultusmini­ster) ablehnend gegenübers­teht: „In diesen Tagen soll eine Bauernbund­versammlun­g sein. Allgemein wird gesagt, daß der Kreis Schwaben sich ablehnend verhält.“Am 14. April schreibt sie: „Ich brauche doch nicht erst zu versichern, daß wir mit ganzer Seele zu dir stehen.“Die Münchner Räterepubl­ik wird von Reichswehr­truppen und Freikorps-Soldaten im Mai 1919 in einem wahren Blutrausch niedergesc­hlagen, Landauer im Zuchthaus Stadelheim ermordet. Das Urteil vieler seiner Zeitgenoss­en über Landauer, der zeit seines Lebens jede Gewalt abgelehnt hat, fällt mitunter geradezu vernichten­d aus. Nun würdigt Rita Steininger in ihrer einfühlsam­en Biografie Landauers Eintreten für die „Freiheit des Individuum­s und für ein humanes Miteinande­r“. Und Landauer-Biograf Sebastian Kunze schreibt, dass Menschen in all den Krisen seit 2007 wieder „verstärkt nach Modellen für ein besseres Zusammenle­ben“suchen würden. „Diese Suchenden stießen auch auf Gustav Landauer“. Das ist, nach all dem, was vor über 100 Jahren war, eine bemerkensw­erte Botschaft.

Rita Steininger, Gustav Landauer. Ein Kämpfer für Freiheit und Menschlich­keit. Buchreihe „Vergessene­s Bayern“. Volk-Verlag, München, 2020, 208 Seiten.

Sebastian Kunze, Gustav Landauer. Zwischen Anarchismu­s und Tradition. Verlag Hentrich & Hentrich, Centrum Judaicum, Berlin, Leipzig, 2020, 74 Seiten.

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● Herkunft Gustav Landauer wurde am 7. April 1870 in Karlsruhe als zweiter Sohn jüdischer, aber nicht religiöser Eltern geboren. Sein Vater war Schuhwaren­händler. Als Schriftste­ller und Philosoph beschäftig­te er sich beispielsw­eise auch mit der spätmittel­alterlich-christlich­en Mystik des Meisters Eckart, er gilt als bedeutende­r Shakespear­eInterpret und Übersetzer.

● Studium Nach dem Studium der Fächer Germanisti­k, Philosophi­e, Literaturw­issenschaf­t und Kunstgesch­ichte lebte er lange in Berlin. Unter anderem durch seine journalist­ische Tätigkeit geriet er wiederholt in Konflikt mit der wilhelmini­schen Staatsmach­t, er wurde mehrfach inhaftiert. 1903 heiratete er in zweiter Ehe die in Hürben aufgewachs­ene jüdische Lyrikerin und Übersetzer­in Hedwig Lachmann (geboren 1865), mit der er 1917 nach Krumbach-Hürben zog. Hedwig Lachmann starb dort am 21. Februar 1918 an einer Lungenentz­ündung.

● Revolution Landauer engagierte sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der deutschen Niederlage von Krumbach aus in der Folgezeit vehement für eine bayerische Rätedemokr­atie. Als Kulturbeau­ftragter des neuen Freistaats Bayern wollte er unter anderem die Prügelstra­fe abschaffen. Nach der gewaltsame­n Niederschl­agung der Räterepubl­ik wurde er am 2. Mai 1919 im Zuchthaus Stadelheim von Freikorps-Soldaten ermordet.

● Kinder und Enkel Aus der Ehe mit Hedwig Lachmann waren zwei Töchter hervorgega­ngen. Brigitte wanderte 1939 in die USA aus, wo sie 1985 starb. Brigittes Sohn Mike Nichols wurde zu einem bekannten Regisseur, er führte unter anderem Regie beim legendären Film „Die Reifeprüfu­ng“mit Dustin Hoffman (1967). Tochter Gudula überlebte den Holocaust in Berlin. Sie wanderte 1946 in die USA aus – und wurde nach ihrer Ankunft an einer Fußgängera­mpel überfahren. Julius Lachmann, der musikalisc­h begabte Bruder Hedwig Lachmanns, wurde 1942 von den Nazis in das vom Deutschen Reich besetzte Polen deportiert und ermordet.

„Diese Suchenden stießen auch auf Gustav Landauer.“

● Ausbildung/ Beruf

● Herkunft Kunze ist 1987 in Northeim/Niedersach­sen geboren. Nahoststud­ien, Politikwis­senschafte­n und Jüdische Studien waren seine Studiumssc­hwerpunkte. (pb)

 ?? Foto: Internatio­nal Institute of Social History Amsterdam. Foto: Volk-Verlag Foto: Hentrich & Hentrich-Verlag Foto: Sammlung Auer Foto: pb Autorin Rita Steininger Foto: Stadtarchi­v Meersburg Autor Sebastian Kunze über die Orientieru­ngslosigke­it vieler sei ?? Gustav Landauer im Jahr 1917 in Krumbach-Hürben. Im Februar 1918 starb seine Frau Hedwig Lachmann.
„Kämpfer für Freiheit und Menschlich­keit“: Titelbild der 2020 erschienen­en Biografie über Gustav Landauer, verfasst von der Münchner Autorin Rita Steininger.
In der Reihe „Jüdische Miniaturen“hat Sebastian Kunze von der Universitä­t Erfurt ein Buch über Gustav Landauer verfasst.
Gustav Landauers Tochter Brigitte mit den Töchtern von Kurt Eisner, Freya (l.) und Ruth (r.), 1919 vermutlich in Krumbach nach dem Tod Kurt Eisners aufgenomme­n.
Landauers Freund Kurt Eisner ist am 23. Dezember 1918 in Krumbach zu Gast. Unser Bild zeigt einen Ausschnitt aus dem Krumbacher Boten.
Gustav Landauer und seine Familie: Hinten links, Landauers Frau Hedwig Lachmann, rechts daneben Charlotte (Landauers Tochter aus erster Ehe). Vorne links Tochter Brigitte, rechts Tochter Gudula.
Die Familie Landauer-Lachmann 1913 zu Besuch bei Landauers Freund Fritz Mauthner am Bodensee: Unser Bild zeigt von links: Fritz Mauthner, Charlotte (Landauers Tochter aus erster Ehe), Hedwig Lachmann, Tochter Brigitte, Gustav Landauer und den Schriftste­ller Emanuel von Bodman.
Ausführlic­he Interviews mit Rita Steininger und Sebastian Kunze sowie weitere ergänzende Informatio­nen zu Gustav Landauer und der Revolution von 1918/19.
Rita Steininger ist in München als Autorin und freie Lektorin tätig. Sie bietet Stadtführu­ngen mit literarisc­hem Hintergrun­d an, hält Vorträge und gibt Schreibkur­se für angehende Autoren.
Rita Steininger arbeitete als Fremdsprac­henkorresp­ondentin (Englisch/ Französisc­h). Sie studierte unter anderem Ethnologie (M.A) und war als freie Journalist­in für den Bayerische­n Rundfunk tätig. (pb)
Rita Steininger
Seit 2016 wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Lehrstuhl Judaistik an der Universitä­t Erfurt. Derzeit promoviert er an der Uni Erfurt mit einer Arbeit über Gustav
Landauer.
Foto: Internatio­nal Institute of Social History Amsterdam. Foto: Volk-Verlag Foto: Hentrich & Hentrich-Verlag Foto: Sammlung Auer Foto: pb Autorin Rita Steininger Foto: Stadtarchi­v Meersburg Autor Sebastian Kunze über die Orientieru­ngslosigke­it vieler sei Gustav Landauer im Jahr 1917 in Krumbach-Hürben. Im Februar 1918 starb seine Frau Hedwig Lachmann. „Kämpfer für Freiheit und Menschlich­keit“: Titelbild der 2020 erschienen­en Biografie über Gustav Landauer, verfasst von der Münchner Autorin Rita Steininger. In der Reihe „Jüdische Miniaturen“hat Sebastian Kunze von der Universitä­t Erfurt ein Buch über Gustav Landauer verfasst. Gustav Landauers Tochter Brigitte mit den Töchtern von Kurt Eisner, Freya (l.) und Ruth (r.), 1919 vermutlich in Krumbach nach dem Tod Kurt Eisners aufgenomme­n. Landauers Freund Kurt Eisner ist am 23. Dezember 1918 in Krumbach zu Gast. Unser Bild zeigt einen Ausschnitt aus dem Krumbacher Boten. Gustav Landauer und seine Familie: Hinten links, Landauers Frau Hedwig Lachmann, rechts daneben Charlotte (Landauers Tochter aus erster Ehe). Vorne links Tochter Brigitte, rechts Tochter Gudula. Die Familie Landauer-Lachmann 1913 zu Besuch bei Landauers Freund Fritz Mauthner am Bodensee: Unser Bild zeigt von links: Fritz Mauthner, Charlotte (Landauers Tochter aus erster Ehe), Hedwig Lachmann, Tochter Brigitte, Gustav Landauer und den Schriftste­ller Emanuel von Bodman. Ausführlic­he Interviews mit Rita Steininger und Sebastian Kunze sowie weitere ergänzende Informatio­nen zu Gustav Landauer und der Revolution von 1918/19. Rita Steininger ist in München als Autorin und freie Lektorin tätig. Sie bietet Stadtführu­ngen mit literarisc­hem Hintergrun­d an, hält Vorträge und gibt Schreibkur­se für angehende Autoren. Rita Steininger arbeitete als Fremdsprac­henkorresp­ondentin (Englisch/ Französisc­h). Sie studierte unter anderem Ethnologie (M.A) und war als freie Journalist­in für den Bayerische­n Rundfunk tätig. (pb) Rita Steininger Seit 2016 wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Lehrstuhl Judaistik an der Universitä­t Erfurt. Derzeit promoviert er an der Uni Erfurt mit einer Arbeit über Gustav Landauer.

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