Mittelschwaebische Nachrichten
FCA muss weiter zittern
Bundesliga Nach dem 0:2 gegen Hertha BSC muss der FC Augsburg weiter um den Klassenerhalt bangen. Dabei war in Berlin nach einer schwachen ersten Hälfte mehr drin
Eine verschlafene erste Halbzeit, viel Pech in der zweiten: Nach der 0:2-Niederlage bei Hertha BSC zittert der FC Augsburg weiter um den Klassenerhalt. Bringt ein Sieg gegen Köln die Wende?
Augsburg/Berlin Als Marco Richter in der 89. Minute seine ganze Kraft in diesen Linksschuss legte, schien sich für den FC Augsburg in der leeren Betonschüssel des Berliner Olympiastadions noch alles zum Guten zu wenden. 0:1 lag der FCA gegen Hertha BSC nach einer total verschlafenen ersten Halbzeit und einer enormen Leistungssteigerung in der zweiten Hälfte zurück und der Ball flog immer weiter Richtung Hertha-Tor, ehe der Berliner Torhüter Rune Jarstein mit seinen Fingerspitzen den Ball noch leicht touchierte und ihn gegen die Querlatte lenkte. Anstatt den zu diesem Zeitpunkt mehr als verdienten Ausgleich zu feiern, natürlich unter Beachtung der Corona-Vorschriften, sackten die Augsburger Spieler innerlich zusammen. Dass dann der
Pole Krzyszto Piatek in der Nachspielzeit dem Führungstreffer von Javairo Dilrosun (23.) noch das 2:0 folgen ließ, spielte keine Rolle mehr.
Diese 90 grundverschiedenen Minuten waren ein Symbol dafür, wie instabil das neu aufgesetzte Konzept von Trainer Herrlich mit hohem, aggressiven Pressing, aber auch mit vielen und längeren Ballbesitzphasen noch ist. Zu sehen war das auch in der englischen Woche. Beim 3:0 gegen Schalke klappte die Umsetzung hervorragend, beim 0:0 gegen Paderborn nur phasenweise.
Gegen Berlin in der ersten Hälfte eigentlich gar nicht. Das lag auch daran, weil Herrlich vor dem dritten Spiel in sechs Tagen mehr als die halbe Mannschaft ausgetauscht hatte. Zum Einsatz von Iago war er gezwungen, da sich Philipp Max gegen Paderborn eine Prellung zugezogen hatte und die Reise nach Berlin gar nicht angetreten hatte, die anderen fünf Umstellungen (Lichtsteiner, Suchy, Gruezo, Sarenren Bazee und Cordova ersetzten Framberger, Jedvaj, Baier, Richter und Niederlechner) begründete er mit den Belastungen der Stammspieler.
Doch schon nach einer Viertelstunde verlor seine neu zusammengestellte Elf immer mehr die Ordnung. Abläufe und Abstände passten nicht mehr und der FCA hatte es Torhüter Andreas Luthe zu verdandass es zur Halbzeit nur 0:1 stand. „Wir wollen Druck auf dem Ball haben, wir wollen die Räume eng machen, wir wollten bei eigenem Ballbesitz Mut zeigen. Wir haben nichts von dem umgesetzt, was wir uns vorgenommen hatten“, gestand Herrlich ein.
Erst nachdem er seine personellen Umstellungen in der Kabine korrigiert hatte, lief es. Richter und Niederlechner kamen für die enttäuschenden Cordova und Löwen und plötzlich stand ein anderer FCA auf dem Platz. Es war die Metamorphose vom Abstiegskandidaten zum Favoritenschreck im Duell der beiden Neu-Trainer-Kollegen. Bruno Labbadia hatte Anfang April Interimstrainer Alexander Nouri abgelöst und mit Hertha nach der CoronaPause mit sieben Punkten aus drei Spielen einen Turbostart hingelegt.
Plötzlich hatte der FCA den mit den Euro-Millionen von Investor Lars Windhorst im Winter noch von Jürgen Klinsmann personell aufgerüsteten Großstadtklub (Torschütze Piatek war zum Beispiel noch mal schnell für 23 Millionen Euro vom AC Mailand geholt worden) im Griff. Hertha schwächelte und Herrlichs Wechselidee wäre vielleicht sogar noch aufgegangen, hätten Sarenren Bazee, Niederlechner, Teigl oder Richter getroffen. Da war sich Herrlich sicher: „Es war ärgerlich, dass wir da nicht den Ausgleich machen, denn dann gewinnen wir das Spiel hier noch. So fahren wir mit leeren Händen nach Hause.“
Bruno Labbadia war am Ende erleichtert. „Unser Tank war nach der Halbzeit leer. Wir sind unfassbar glücklich, dass wir gegen einen sehr, sehr guten Gegner gewonnen haken, ben.“Als einer der Geisterspielgewinner (zehn von zwölf möglichen Punkten) fiel es ihm natürlich leicht, Komplimente zu verteilen. Mit nun 38 Punkten hat er die Hertha, die durch das verpatzte 80-tägige Klinsmann-Engagement kräftig durchgeschüttelt worden war, innerhalb von wenigen Wochen von der Skandalnudel zum Europaleague-Anwärter, es fehlen nur vier Punkte auf Platz sechs, umgeformt. Hertha ist seine siebte Trainerstation in der Bundesliga (beim HSV war er zweimal tätig) und bei jeder habe er dazugelernt, darum sei er „heute der beste Trainer, der ich je war“.
Labbadia hat die verunsicherte Mannschaft stabilisiert, Heiko Herrlich ist das noch nicht gelungen. Auf jeden Fall nicht so, dass ein wildes Wechselspiel der Balance auf dem Platz nichts anhaben könnte. Dennoch verteidigte Sport-Geschäftsführer Stefan Reuter die Maßnahme des Trainers: „Die sechs Wechsel waren nicht der Grund. Das Problem war, dass wir nicht die Intensität hinbekommen haben in der ersten Hälfte, die wir in der zweiten Halbzeit gezeigt haben. Die Abläufe sind einstudiert, die neuen Spieler hatten es sich aufgrund der Trainingsleistungen auch verdient, dass sie ihren Einsatz bekommen.“
Zwar beträgt der Vorsprung weiterhin vier Punkte auf den Relegationsplatz 16, doch vier Punkte aus vier Spielen nach der Wiederaufnahme des Spielbetriebs sprechen noch nicht für die große Trendwende. Es darf weiter gezittert werden. Zu sehr schwanken die Leistungen vor dem Schlussspurt mit den Spielen gegen Köln (Heim), Mainz (Auswärts), Hoffenheim (H), Düsseldorf (A) und Leipzig (H). Das Spiel in Berlin war dafür beispielhaft. Herrlich: „Wenn wir so auftreten wie in der ersten Halbzeit, dann muss man sich große Sorgen machen, dass wir unsere Ziele erreichen. Aber wenn wir so auftreten wie in der zweiten Halbzeit, dann bin ich sehr optimistisch, dass wir die nötigen Punkte holen.“
Hertha Jarstein – Pekarik, Boyata, Torunarigha, Mittelstädt – Grujic, Skjelbred (59. Maier) – Lukebakio (64. Piatek), Darida, Dilrosun (90.+1 Klünter) – Ibisevic (65. Leckie)
FC Augsburg Luthe – Lichtsteiner (74. Framberger), Suchy, Uduokhai, Iago – R. Khedira (62. Baier), Gruezo – Vargas, Löwen (46. M. Richter), Sarenren-Bazee (81. Teigl) – Cordova (46. Niederlechner) Tore 1:0 Dilrosun (23.), 2:0 Piatek (90.+3) Schiedsrichter Jablonski (Bremen)
„Ich bin heute der beste Trainer, der ich je war.“Hertha-Trainer Bruno Labbadia über seine eigene Lernfähigkeit mit 54 Jahren