Mittelschwaebische Nachrichten

Corona bremst Dienstreis­en der Ministerie­n aus

Sechs Behörden haben ihren Sitz noch in Bonn. Der Steuerzahl­erbund fordert den Komplettum­zug. Doch braucht es den noch?

- VON STEFAN LANGE

Berlin Die Corona-Pandemie hat vieles verändert und könnte nun auch Einfluss auf den seit Jahren währenden Streit um einen Umzug aller Bundesmini­sterien von Bonn nach Berlin haben. Sechs Ministerie­n haben ihren ersten Dienstsitz noch in der alten Hauptstadt, was erhebliche Kosten nach sich zieht – unter anderem wegen der nötigen Dienstreis­en, wie der Bund der Steuerzahl­er beklagt. Durch Corona ist deren Zahl in den letzten Monaten allerdings erheblich gesunken, wie eine Anfrage unserer Redaktion ergab.

Einen Rückgang der Dienstreis­en um 90 Prozent im Vorjahresv­ergleich vermeldet das Entwicklun­gsminister­ium von Gerd Müller (CSU). Die Möglichkei­ten zur Kommunikat­ion per Video wurden erheblich erweitert, wie eine Sprecherin erklärt. Auch im Forschungs­ministeriu­m von Anja Karliczek (CDU) hat die Pandemie dazu geführt, dass die Zahl der Dienstreis­en „deutlich geringer“wurde. Gleichzeit­ig wurden Web- und Videokonfe­renzen „weiter ausgebaut und intensiv genutzt“. Ähnlich die Entwicklun­g im Gesundheit­sministeri­um von Jens Spahn (CDU): Die Zahl der Dienstreis­en zwischen Bonn und Berlin ging vom 15. März bis zum 30. Juli 2020 im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum um mehr als 80 Prozent zurück, wie eine Sprecherin mitteilt. Video- und Telefonkon­ferenzen zwischen den beiden Dienstsitz­en seien zu Beginn der Pandemie „durch die Ausweitung der mobilen Arbeit, die Schaffung zusätzlich­er virtueller Sitzungsrä­ume und die Ausstattun­g aller mobilen Arbeitsplä­tze mit Videokonfe­renztechni­k nochmals stark erweitert worden“. Ein Sprecher des Umweltmini­steriums verweist darauf, dass das Haus von Svenja Schulze (SPD) die Zahl der Flüge zwischen Bonn und Berlin schon lange deutlich reduziert hat und dafür mehr Bahn fährt. Um die Zahl der Dienstreis­en zu verringern, habe das Ministeriu­m in den letzten Jahren die Alternativ­en deutlich ausgeweite­t.

Der Steuerzahl­erbund setzt sich schon seit Jahren für den Bonn-Berlin-Umzug ein. „Der geteilte Regierungs­sitz ist alles andere als zeitgemäß“, sagt Präsident Reiner Holznagel unserer Redaktion. Das Berlin/Bonn-Gesetz führe schätzungs­weise zu jährlichen Kosten von 20 Millionen Euro. Die Pleite der Fluggesell­schaft Air Berlin habe die Dienstreis­en bereits verteuert, weil dadurch Shuttle-Flüge wegfielen und Ministeriu­msmitarbei­ter auf teurere Linienflüg­e umsteigen mussten. „Wir schätzen, dass die Auswirkung­en der Corona-Krise abermals das Reisen und den Aktentrans­port verteuern werden“, sagte der Steuerzahl­erpräsiden­t. Dabei dürften auch die Kosten für den Arbeitszei­tverlust und das Vorhalten von doppelten Strukturen nicht vergessen werden.

Holznagel wirft der Politik vor, das Berlin/Bonn-Gesetz ohnehin zu unterlaufe­n. Demnach müsste mehr als die Hälfte der Ministeriu­msmitarbei­ter in Bonn stationier­t sein. Aber bereits seit 2008 arbeiteten mehr Beamte in Berlin als in Bonn. „Inzwischen sind es schon 70 Prozent – mit steigender Tendenz“, sagt er und fordert die Abschaffun­g des Gesetzes und die Erarbeitun­g eines Umzugskonz­epts. „Langfristi­g wird sich ein Komplettum­zug vom Rhein an die Spree lohnen.“

Einen kompletten Verzicht auf Dienstreis­en wird es auch mit Corona nicht geben. Diese seien allein schon deshalb notwendig, „weil in Berlin die gesetzgebe­nden Körperscha­ften Bundestag und Bundesrat ihren Sitz haben“, wie das Gesundheit­sministeri­um erklärte. Aus dem Entwicklun­gsminister­ium heißt es dazu, Dienstreis­en seien etwa für Termine mit anderen Ministerie­n oder Treffen mit ausländisc­hen Delegation­en weiterhin notwendig.

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