Mittelschwaebische Nachrichten
Philipp Amthor in der Zuschauerrolle
Der junge Bundestagsabgeordnete strebte in Mecklenburg-Vorpommern den Vorsitz an, bis er wegen Lobby-Verbindungen zurückzog. Warum der Parteitag an die Bundes-CDU erinnerte
Güstrow An der Wand der Sportund Kongresshalle Güstrow hängen noch die Plakate aus der alten Zeit. Es wird zum Basketball-Länderkampf eingeladen, Eintritt eine D-Mark, Kinder und Rentner die Hälfte. Die Spielpaarung: die Frauen-Nationalmannschaft Koreas gegen die der DDR. Heute Abend tagt hier die CDU Mecklenburg-Vorpommerns. Etwa 150 Delegierte haben sich in der Halle eingefunden, die mehr Sport denn Kongress ist. Es herrscht eine Affenhitze, die Maskenpflicht tut ihr Übriges. Die meisten Männer haben ihr Jackett abgelegt oder erst gar keines mitgebracht, nur Philipp Amthor trotzt mit rotem Gesicht tapfer den Temperaturen. Amthor wollte hier heute eigentlich Landeschef werden, dann kam aber was dazwischen. Wie seinem Landesverband, wie der CDU insgesamt.
Güstrow liegt zwei gute Autostunden nordwestlich von Berlin, ist mit knapp 30000 Einwohnern die siebtgrößte Stadt in MecklenburgVorpommern und darf sich offiziell „Barlachstadt“nennen, weil der Bildhauer Ernst Barlach hier gelebt hat. Güstrow ist ein schöner Flecken – wie das gesamte Bundesland einer ist, besonders im Sommer.
Im Winter hatte es die CDU in Mecklenburg-Vorpommern kalt erwischt. Landes- und Fraktionschef Vincent Kokert, den sie hier als Hoffnungsträger feierten, hatte überraschend seinen Rücktritt erklärt. So wie in der Bundespartei Annegret Kramp-Karrenbauer, die Angela Merkel nachfolgen sollte und plötzlich ihren Abgang einläutete. Mecklenburg-Vorpommern ist übrigens Merkels Wahlkreis, sie müssen hier noch jemanden finden, der ihr folgt. Wird aber schwer, sagt einer draußen vor der Halle beim Rauchen. Sie wollen am liebsten eine Frau aufstellen, wegen der Quote. „Aber gucken Sie sich mal um, hier sind ja gar keine Frauen“, sagt der Mann und zieht an seiner Zigarette. Hahaha, soll witzig sein, hat aber auch etwas leicht Verzweifeltes. Diesmal steht Merkels Nachfolge noch nicht an, dafür wird es im Herbst einen Listenparteitag geben.
Heute braucht die CDU Mecklenburg-Vorpommerns einen neuen Chef. Der hätte Philipp Amthor heißen sollen. Der 27-Jährige ist ein Hoffnungsträger für die CDU, nicht nur im Land, sondern auch im Bund. Er hatte im Kampf um die Nachfolge von Kokert Justizministerin Katy Hoffmeister ausgestochen und hätte die Landes-CDU in eine gute Zukunft führen können.
Doch dann wurde bekannt, dass der in Ueckermünde geborene Bundestagsabgeordnete Lobby-Verbindungen zum US-amerikanischen IT-Unternehmen „Augustus Intelligence“hatte. Amthor zog seine Kandidatur zurück.
An diesem heißen Augustabend soll nun also ein neuer Chef her, es gibt mit Michael Sack nur einen Kandidaten – und irgendwie steht der 46-jährige Landrat des Kreises Vorpommern-Greifswald auch für die Vorsitzendensuche bei der Bundes-CDU. Die hat zwar mindestens drei Kandidaten für Vorsitz und Kanzlerkandidatur, aber so richtig heiß ist die Basis im Moment auf keinen. Was sich unter anderem darin ausdrückt, dass möglicherweise ein CSU-Mann zwar nicht Vorsitzender, aber doch Spitzenkandidat der Union werden könnte.
Bei der CDU in „Meck-Pomm“können sie nicht auf die CSU zurückgreifen. Einer muss es machen, und der Interimsvorsitzende Eckhardt Rehberg hat Michael Sack gefunden. Rehberg ist CDU-Bundestagsabgeordneter, er ist einer der wenigen Haushaltsexperten im Parlament, und der ausgebuffte PolitFuchs hat sich früh ausgerechnet, dass ein kopfloser Landesverband nicht gut ist für seine CDU. Weil im
Herbst nächsten Jahres Landtagswahlen sind und sie den derzeitigen großen Koalitionspartner SPD am liebsten vom Hof der Staatskanzlei in Schwerin jagen wollen.
Sack erklärt dann auch in seiner Bewerbungsrede, es habe nicht zu seiner Lebensplanung gehört, Landesvorsitzender zu werden. Aber nun, versichert er, habe er große Lust auf diesen Job. „Der Erfolg unseres Landesverbandes wird niemals eine bloße Einzelleistung sein, sondern immer eine Gemeinschaftsaufgabe“, sagt Sack. Frauen seien für ihn nie nur Prozentpunkte, Frauen seien für ihn auch die Leistungsträger in den Parteien, sagt Sack. Dass er ein Teamplayer sei, sagt Sack auch. Die Dinge eben, die Standards in einer solchen Rede sind.
Sack macht seine Sache gut, aber der Saal kocht nur wegen der Hitze und der Corona-Masken, nicht wegen ihm. Er wirkt ein wenig wie Armin Laschet, der ja auch Chef werden möchte, aber oft nur wenig Feuer versprüht. Fast ein wenig entschuldigend spricht Sack den unten im Saal sitzenden Amthor an: „Lieber Philipp, du hast einen Fehler gemacht und ich weiß, dass du aus diesem Fehler lernen wirst.“Man könnte fast meinen, Sack hoffe auf schnelle Lernerfolge bei Amthor, damit dieser bald wieder in die erste Reihe treten kann. Vorher will Sack seine Partei aber erst noch durch den Wahlkampf führen. Er kündigt wie erwartet an, Spitzenkandidat für die Landtagswahl werden zu wollen.
Sack hat für den Landesvorsitz keinen Gegenkandidaten, eine Aussprache gibt es nicht, weil sich niemand meldet. Dabei hätte man ihn fragen können, wie er zur US-Sanktionsdrohung gegen den Ostseehafen Sassnitz-Mukran wegen der Gaspipeline Nord Stream 2 steht. Ein dickes Ding ist das für MecklenburgVorpommern, eine Wirtschaftspartei wie die CDU sollte sich dafür eigentlich interessieren.
Bei der Abstimmung bekommt Sack 146 Ja-Stimmen. Acht Delegierte stimmen mit Nein. 94,8 Prozent sind sehr gut. Alle applaudieren, Philipp Amthor klatscht besonders laut. Anschließend wird die Landtagsabgeordnete Ann-Christin von Allwörden zur neuen stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt. Auch sie muss keine Fragen beantworten, Anträge gibt es nicht.
Die Sport- und Kongresshalle Güstrow leert sich zügig, was vor allem an der Hitze liegen dürfte. Ein bisschen wirkt es aber auch so, als ob die Basis das hier alles schnell hinter sich lassen möchte.