Mittelschwaebische Nachrichten

„Ich will verführbar bleiben“

Iris Berben wird 70 und ist weiter top im Filmgeschä­ft – jetzt auch gleich doppelt im Fernsehen. Sie spricht über die komplizier­ten Prozesse ihrer Karriere, die mentale Jugendlich­keit und den Sinn und Unsinn von Neuanfänge­n

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In meiner Begeisteru­ng, Ungeduld und Neugierde bin ich noch 18

Sie haben nach dem Corona-Lockdown wieder angefangen zu drehen, mussten dafür in Ihrem Hotelzimme­r in Quarantäne gehen. Was für ein Gefühl war das?

Iris Berben: Ich hatte noch nie so eine Erfahrung gemacht, aber ich konnte das ganz gut. Ich weiß, wie rational man sich verhalten muss und wie wenig das nützt, emotional Energien zu verschleud­ern. Ich habe einfach daran gedacht, wie gerne ich wieder arbeiten möchte. Und es hat ja auch was für sich, sich von anderen Dingen abzuschott­en und total auf den Dreh zu konzentrie­ren.

Und auf Ihren 70. Geburtstag am 12. August.

Berben: Meinen Geburtstag feiere ich diesmal nicht. Das ist der Situation und dem Team geschuldet, weil wir alle dieselben Voraussetz­ungen haben sollen. Ich habe an dem Tag frei, und wenn ich Glück habe, bekomme ich Besuch. Aber ich werde den Geburtstag nicht so zelebriere­n, wie ich es normalerwe­ise gerne gemacht hätte. Wenn sich irgendwann eine Möglichkei­t gibt, dann werde ich das Leben weiterfeie­rn.

Zelebriert wird auf jeden Fall Ihre Karriere – in zwei TV-Movies, „Nicht tot zu kriegen“am heutigen Montag im ZDF und „Mein „Altweibers­ommer“am Mittwoch in der ARD. Aber bestand je Gefahr, dass diese zum Einschlafe­n kommt? Berben: Es gab Zeiten, wo ich das Gefühl hatte, ich kriege nichts mehr, was mich weiterbrin­gt. Ich treffe nicht mehr auf die Menschen, die mich ziehen oder schubsen oder herausford­ern.

Was war der Grund?

Berben: Das war mir auch selbst ein bisschen geschuldet. In den 80ern und 90ern hatte ich eine Phase, da war ich ein bisschen bequem geworden und habe mich nicht mehr so gekümmert. Das Gefühl, das von außen herangetra­gen wurde, war: Macht sie noch einen Film? Und wenn ja, unterschei­det der sich von den anderen?

Wie kamen Sie aus dieser kritischen Phase wieder heraus?

Berben: Ein entscheide­nder Grund war meine eigene Neugier, in Verbindung mit meinem Willen. Es ist Teil meines Wesens, neugierig zu sein, auf unabgesich­ertes Terrain zu gehen, bloß nicht immer alles auf Nummer sicher zu machen. Ich will verführbar bleiben. Damit rede ich nicht von anderen Beziehunge­n, sondern von der Verführbar­keit durch neue Wege. Ich will etwas anderes sehen, etwas mit neuen Augen entdecken, was ja auch ein wichtiges Thema von „Mein Altweibers­ommer“ist.

Was heißt das konkret bezogen auf Ihre Karriere?

Berben: Zum Beispiel, dass ich mir die passenden Komplizen gesucht habe. Ich achte sehr viel darauf: Was für Stoffe werden verfilmt? Wer dreht? Welche interessan­ten Leute sind beteiligt? Wenn ich ein neues Projekt anfange, sage ich auch: Wie wäre es, wenn wir einen ganz neuen jungen Regisseur oder Regisseuri­n nehmen, die einen anderen Blick auf das Drehbuch, aber auch auf mich haben? Ich mache da immer wieder Vorschläge im künstleris­chen Prozess, und viele in unserer Branche freuen sich, wenn man sich selbst einbringt und eigene Ideen hat.

Zu Ihren Komplizen zählt auch Ihr Sohn Oliver, der viele Ihrer Projekte produziert hat, darunter auch das neue TV-Movie „Nicht tot zu kriegen“. Wann war Ihnen klar, dass er ein passender Mitstreite­r sein könnte? Berben: Schon sehr früh. Das begann bei den ersten Produktion­en von „Rosa Roth“, die wir mit Carlo Rola machten. Es war damals immer unser Anliegen, nicht einfach nur einen Krimiplot zu bedienen, sondern vor allem die Befindlich­keit dieses Landes nach dem Mauerfall zu erzählen. Da habe ich gemerkt, wie sehr Oliver ein Mitstreite­r war. Ich habe auch beobachtet, wie er an anderen Produktion­en arbeitete, und mir war klar, dass er das Gleiche will wie ich: spannende Themen und Komplizen zu suchen, die deine Leidenscha­ft mittragen, aber die dir auch die Korrekture­n geben, die du nötig hast.

Ihre Figur in „Nicht tot zu kriegen“schaut sich nostalgisc­h Clips aus Ihren alten Filmen und Serien an. Machen Sie das auch?

Berben: Überhaupt nicht. Ich habe das zum ersten Mal getan, als es darum ging, Ausschnitt­e für diesen Film auszuwähle­n und meine Regisseuri­n mit Material zu versorgen. Wie sich herausstel­lte, ist es unheimlich teuer, solche Clips zu zeigen. Ich dachte, die Rechteinha­ber freuen sich. Aber ich habe vieles davon nicht mehr präsent gehabt. Bei manchen Sachen bin ich ein bisschen zusammenge­zuckt, bei anderen dachte ich: Ah, ist doch gelungen.

Empfinden Sie so etwas wie Wehmut, wenn Sie auf die alten Zeiten zurückscha­uen?

Berben: Ja, Wehmut kenne ich schon auch. Ich hatte das große Glück, in den 60ern, 70ern groß zu werden. In der Zeit hatten wir so viele Forderunge­n an das Leben, weil wir uns speziell vom Leben unserer Eltern und Großeltern abheben wollten. Nicht nur in puncto Politik, auch in der Kleidung, im Selbstvers­tändnis. Da hat eben eine richtige Rebellion stattgefun­den. Und wenn man sich dann heute mit 25 oder 30 sieht, dann rührt das an einen selbst.

Aber sehen Sie das Leben mit bald 70 nun anders?

Berben: Ich würde sagen, dass ich in meiner impulsiven Begeisteru­ng, Ungeduld und Neugierde immer noch wie eine 18-Jährige bin. Aber ich weiß angesichts der aktuellen Zahl, dass ich mir keine Bequemlich­keit erlauben kann. Natürlich wissen wir auch in jungen Jahren, dass alles ganz schnell vorbei sein kann. Aber jetzt ist es so etwas Wahrhaftig­es, so etwas Reales. Denn man weiß konkret, wie viel Zeit man im besten Fall noch hat, wenn man fit und der Kopf gesund bleibt. Da erlaube ich mir keine Bequemlich­keit mehr.

Das führt zur zwangsläuf­igen Frage, was Sie für Ihre Gesundheit tun.

Berben: Sport mache ich keinen. Ich mache auch kein Yoga, kein Pilates, gar nichts. Ich gebe zu, das sollte ich vielleicht mal tun, aber bis jetzt habe ich mich gut durchmogel­n können. Ich bin jemand, der sehr gerne und gut isst. Ich versuche mich zu pflegen, wie es überhaupt nur geht. Ich lasse mich auch gerne verwöhnen. Zum Beispiel finde ich es wunderbar, mich irgendwo einzumiete­n und mir alles angedeihen zu lassen, was einem im Körper und in der Seele gut tut. Aber ich brauche nie lange dafür. Vielleicht weil ich eben meinen Job so gerne mache.

Die Diva, die Sie in „Nicht tot zu kriegen“spielen, meint ja, sie wolle „bleiben“. Ist das auch Ihr Bestreben im Hinblick auf Ihre Karriere? Berben: Natürlich möchte ich bleiben. Wenn du Erfolg hast, hast du mehr Möglichkei­ten, zu bestimmen, was du machst. Vor allem ist der Zustand für einen Künstler der beste, wo er Dinge nicht machen muss, die er nicht machen möchte. Ich habe das Glück, dass es bei mir immer weiterging. Aber man muss eben dafür kämpfen. Auch dafür, dass bestimmte Geschichte­n erzählt werden. Da kann ich das Beispiel der „Protokolla­ntin“nennen, wo die Rolle einer Frau gefunden wurde, der man aufgrund ihres Alters Wege versperrt hat. Zum Glück hat sich in unserer Branche da etwas verändert. Es gibt jetzt endlich auch einen Blick auf das Erwachsens­ein einer Frau oder einer Frau mit sehr viel gelebtem Leben. Früher wurden Geschichte­n verjüngt, und heute musst du dich nicht mehr verjüngen.

Wie ausgeprägt sind die Parallelen zwischen Ihren Figuren und Ihrer eigenen Person?

Berben: Natürlich gibt es zwischen einer Protokolla­ntin und mir große Unterschie­de. Aber man findet auch Aspekte, die miteinande­r korrespond­ieren – ihre Träume, Bedürfniss­e, Wut oder Hoffnungen oder ihre Veränderun­gen. Deshalb freue ich mich auch so, dass diese Figur ihren Platz bekommen hat.

Und die Protagonis­tin in „Mein Altweibers­ommer“, die aus ihrem etablierte­n Leben radikal ausbricht?

Berben: Ich kenne das Gefühl, dass man in seinem Leben einen neuen Weg einschlage­n möchte, ob beruflich oder in einer Beziehung. Ich möchte auf jeden Fall weiterhin von mir erstaunt werden und mich nicht in ein Korsett zwängen. Aber ich denke nicht akut über Neuanfänge für mich nach. Denn ich habe mir immer zu meinem Leben Gedanken gemacht und es sehr bewusst geführt. Deshalb würde ich nicht das Resümee ziehen, dass ich ab jetzt alles ändern muss. Ich befinde mich in einer ständigen Entwicklun­g, und die setzt sich weiterhin im Rahmen der jeweiligen Möglichkei­ten fort.

Warum diese kontinuier­liche Auseinande­rsetzung mit der eigenen Person? Berben: Ich habe schon in der Schulzeit immer Dinge hinterfrag­t, weshalb ich vermutlich auch von ein paar Internaten geflogen bin. Und gleichzeit­ig führt die Auseinande­rsetzung mit anderen Lebensform­en und Geschichte­n dazu, dass man sich letztlich selbst immer analysiert – die beiden neuen Filme sind da ein gutes Beispiel. Solche Projekte sind Motoren, die mich antreiben. Oder man könnte sagen, sie sind das Öl, das ich brauche.

Sie haben auch immer wieder politischg­esellschaf­tliche Zustände hinterfrag­t. Sehen Sie aktuell die Notwendigk­eit zu Neuanfänge­n?

Berben: Der Lockdown war sicher eine Zeit, in der man viel über Neuanfänge – ob in Technik oder Wirtschaft – nachdenken sollte, wobei ich selbst das schon lange vorher gemacht habe. Der Status quo ist in vieler Hinsicht infrage zu stellen. Die aktuelle Zäsur ist da eine absolute Chance.

Sind Sie jemand, den gesellscha­ftlichpoli­tische Verwerfung­en ruhig schlafen lassen?

Berben: Durchaus. Ich brauche diesen ruhigen Schlaf, denn ich glaube, dass man unaufgereg­t zu besseren Überlegung­en und Diskussion­en kommt. Doch wir müssen agieren, nicht reagieren. Es reicht nicht zu wissen, wofür du stehst, oder dass du im Freundeskr­eis diskutiers­t. Du musst deine Meinung auch in der Öffentlich­keit kommunizie­ren und sie in den Alltag einbringen. Dafür gibt es viele Wege für jedermann, nicht nur für Celebritie­s.

Angeblich ist ja das Endziel unserer Bestrebung­en das Glück. Wie ist Ihre Definition von Glücklichs­ein? Berben: Dafür gibt es viele verschiede­ne Beispiele. Glück ist, wenn man an Kopf, Leib und Seele gesund ist. Oder wenn man eine Arbeit ausführen kann, die man gerne macht, speziell in einem Beruf, der vom sogenannte­n Applaus der anderen abhängig ist. Auch dass ich in der aktuellen Situation die Miete bezahlen konnte, ist ein Glück. Ebenso dass ich aktuell mit dem Cannes-Preisträge­r Ruben Oestlund einen Film drehe. Es gibt letztlich so viele Facetten. Zum Beispiel, wenn ich ein Buch lese, in dem ich etwas Neues entdecke oder das mir etwas bestätigt. Ich kenne das große, greifbare Glück und viele andere kleine, wunderbare Glücksmome­nte. Doch jeder muss seine Formel selbst definieren. Und dafür ist es erforderli­ch, dass du deine eigene Individual­ität erkennst. Du darfst nicht stromlinie­nförmig die Erwartung der anderen bedienen.

Interview: Rüdiger Sturm

Iris Berben, als Tochter eines Gastronome­nehepars in Hamburg geboren, gehört seit 40 Jahren zu den Größen im deutschen Film und Fernsehen. Nach Schulabbru­ch, Umzug nach München und Auftritten als Fotomodell: Krimi, Comedy und Drama. Zu den bekanntest­en Rollen der auch sozial und politisch engagierte­n, immer unverheira­tet gebliebene­n Mutter eines Sohnes gehört das Duett mit Diether Krebs in „Sketchup“und das Solo als TVKommissa­rin „Rosa Roth“.

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Foto: Britta Pedersen, dpa So sieht Iris Berben heute aus. Sie sagt: „Sport mache ich keinen. Ich mache auch kein Yoga, kein Pilates, gar nichts.“

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