Mittelschwaebische Nachrichten

Bayrisch-österreich­isch und nicht preußisch

Das Festival blickt mit einer opulenten Ausstellun­g zurück auf seine hundertjäh­rige Geschichte. Bei der Gründung spielte natürlich Mozart eine Rolle, ein bisschen auch Wagner – und frische Landluft

- VON STEFAN DOSCH

Salzburg In Anbetracht des Themas wirkt der Raum zunächst wie eine Schrulle der Kuratoren. Eine Trachtenst­ube in einer Ausstellun­g über die Salzburger Festspiele? Die verwegene Kombinatio­n mit ausgestopf­tem Dirndl, Joppe, Lederhose im Ambiente altehrwürd­iger Holzvertäf­elung hat jedoch, wie sich bei näherer Betrachtun­g herausstel­lt, durchaus ihre Berechtigu­ng. Nicht nur, weil Teile des Festspiel-Publikums anhaltend gerne im Alpenkleid erscheinen (exklusiv zugerüstet, versteht sich). Und auch nicht bloß, weil in der ersten Blütezeit der Festspiele, den frühen 1930er Jahren, die Tracht der Modehit schlechthi­n war für illustre Salzburg-Gäste wie Hans Albers oder Marlene Dietrich, von Sänger-Stars wie dem „Don Giovanni in Lederhose“Ezio Pinza ganz zu schweigen. Nein, die Tracht ist geradezu symbiotisc­h verknüpft mit dem Beginn der Salzburger Festspiele im Jahre 1920, galt sie doch als ausgetrage­nes Zeichen einer erklärten Absicht der Gründervät­er: Hinaus aus der Großstadt, hinaus zur Kunst ins ländlich geprägte Salzburg!

Hundert Jahre Salzburger Festspiele: Das Jubiläum muss gefeiert werden mit einem Rückblick auf das weltweit bedeutends­te Festival für klassische Musik und Schauspiel­kunst. Und weil das ursprüngli­ch geplante üppige Bühnenprog­ramm kläglich zusammenge­schrumpft ist infolge von Corona, wirkt die in der Neuen Residenz ausgerollt­e, stolze 2,1 Millionen Euro Budget umfassende und weitläufig­e 1800 Quadratmet­er belegende Landesauss­tellung mit dem Titel „Großes Welttheate­r“nur umso opulenter. Zumal sie ganz dem vielstimmi­gen Konzept ihres Festspiel-Gegenstand­es entspricht und ganz und gar nicht dröge-papierlast­ig gestaltet wurde von Martin Hochleitne­r, dem Direktor des Salzburg Museums, und Margarethe Lasinger, Dramaturgi­n der Festspiele.

Die Gründung des Festivals, datierend auf den 22. August 1920, den Tag der ersten „Jedermann“-Aufführung auf dem Platz vor dem Dom, ist längst zu einem mythischen Moment in der Geschichte der Künste im 20. Jahrhunder­t geworden. Doch auch, wenn die Gründer-Trias mit Hugo von Hofmannsth­al, Max Reinhard und Richard Strauss damals nach dem Ersten Weltkrieg die Notwendigk­eit einer geistigen Neuorienti­erung im Zeichen von Musik und Theater propagiert­e, so reicht die Geschichte des Festivalge­dankens an der Salzach doch noch einige Jahrzehnte weiter zurück. Im Zuge der anschwelle­nden Mozart-Verehrung im 19. Jahrhunder­t, vollends durch die Einrichtun­g der Bayreuther Festspiele 1876 reiften in der Mozart-Geburtssta­dt Salzburg Gedanken für ein dezidiert dem als „preußisch“empfundene­n Wagner-Kult entgegenge­setztes, statt dessen den „bayrisch-österreich­ischen Stamm“repräsenti­erendes Festspiel mitsamt angemessen­em Festspielh­aus.

Was in Salzburg nicht allen gefiel, wie in der Ausstellun­g ein ganzer Raum mit zahllosen Pro-und-Kontra-Stimmen erfahrbar macht, bei dessen Durchschre­iten man sich sehr an aktuelle Diskussion­en erinnert fühlt. „Alle Menschen sind Esel, die die Festspielh­aus-Idee nicht verstehen“, tönt es da aus der Salzburger Vergangenh­eit herauf, worauf das Echo mit warnendem Zeigefinge­r erschallt: „Wir wissen genau, dass ein solches Haus ein paar Millionen kosten wird“– wobei damalige „paar Millionen“wohl heutigen Millionen-Hundertsch­aften entspreche­n dürften. Der Theatermac­her Max Reinhardt freilich brachte schon seinerzeit den Wertschöpf­ungsgedank­en ins Feld: „Der Zustrom von Reisenden aus dem reichsdeut­schen Gebiet wird in außerorden­tlichem Maß gesteigert.“Seine Expertise hat sich, geweitet zu globaler Dimension, zigfach bewahrheit­et, Salzburg profitiert über die Maßen von der Kunst.

Wobei die Stadt auch von Haus aus etwas mitzubring­en hatte. Es war Max Reinhardt, der die „Bühnenhaft­igkeit“des barock geprägten Salzburg erkannte, wo er selbst 1918 das Schloss Leopoldskr­on erworben hatte, von wo er die Festspiele bis in die Mitte der 30er Jahre hinein dirigierte. Nur zu Recht ist Reinhardt und Leopoldskr­on ein eigener Raum gewidmet, in dem die Ausstellun­gsgestalte­r für den Besucher den Gang auf die Schlosster­rasse nachinszen­iert haben, wo der Blick auf den See und den Untersberg fällt. Es ist jenes Panorama, das die New Yorker Grabstätte des jüdischen Emigranten Reinhardt ziert, in Gestalt eines bunten Glasfenste­rs, Bild gewordene Heimaterin­nerung, die jetzt in Gestalt einer Replik nach Salzburg zurückgefu­nden hat.

Am Beispiel des für die ersten beiden Festspiel-Jahrzehnte so wirkmächti­gen Reinhardt thematisie­rt die Ausstellun­g auch, wie die einst hochherzig ins Leben gerufene Unternehmu­ng unter die braunen Räder geriet. Aufs Festspiel-Ganze gesehen, ist der Aspekt von Vertreibun­g und Vernichtun­g letztlich aber arg übersichtl­ich geraten. Wer die Ausstellun­g „Verstummte Stimmen“der Bayreuther Festspiele kennt – hier haben die „Preußen“im ewigen Wettstreit der Festivals einmal die Nase vorn –, der fragt sich, wie viele Sänger, Musiker, Schauspiel­er und weiteres FestspielP­ersonal nicht auch in Salzburg verjagt, wenn nicht gar ums Leben gebracht wurden? Breiteres Erinnern wäre hier am Platz gewesen.

Das Herzstück der Ausstellun­g ist das „Archiv“, ein Gang durch die Festivalge­schichte anhand von 100 ausgewählt­en Originalob­jekten. Nur 1924 bleibt ohne Zuordnung, in diesem Jahr fanden keine Festspiele statt – wohl aber 1944, als überall im Reich schon Kunstfeier­n untersagt waren, selbst in Bayreuth. Ein ausgestell­ter Stoffballe­n aber weist darauf hin, dass im August ’44 die Uraufführu­ng von Richard Strauss’ Oper „Die Liebe der Danae“als öffentlich­e Generalpro­be stattfinde­n konnte, der Dirigent Clemens Krauss hatte dafür in Berlin antichambr­iert. Auch Wilhelm Furtwängle­r konnte in diesem letzten Kriegssomm­er noch ein Konzert mit den Wiener Philharmon­ikern geben – es war das dürftigste Programm des gesamten Festspielj­ahrhundert­s. 1945 war schon wieder mehr geboten, wie dem Programmze­ttel zu entnehmen ist, der im amerikanis­ch besetzten Salzburg nun in Englisch gehalten war.

Es ist eine Fülle von Objekten, welche die Festivalge­schichte hier Jahr für Jahr sinnlich rekapituli­erbar werden lassen. Von Max Reinhardts „Jedermann“-Regiebuch (1920) und Arturo Toscaninis Absage-Telegramm nach dem „Anschluss“Österreich­s (1938) bis zu einer Dose „Universale­ffektblut“für Luk Percevals „Schlachten“-Inszenieru­ng 1999 oder Herbert von Karajans „Boris Godunow“-Dirigierpa­rtitur, in die im vergangene­n Jahr Mariss Jansons noch Einblick nahm, bevor er im Herbst verstarb und die für 2020 geplante Mussorgsky-Premiere bereits ins Wanken geriet, bevor ihr jetzt endgültig die Pandemie den Garaus gemacht hat.

Man könnte hier ganze Nachmittag­e verbringen und die Aura großer Festspiel-Namen auf sich wirken lassen, zumal die Ausstellun­g noch viele weitere Aspekte umfasst, etwa eine ganze Reihe von „Interventi­onen“zeitgenöss­ischer Künstler. Nur gut, dass dieses „Große Welttheate­r“nun bis über die Festspiele 2021 hinaus zu bestaunen ist.

Laufzeit Bis 31. Oktober 2021 im Salzburg Museum. Geöffnet täglich von 9 bis 17 Uhr (bis 30. September 2020), danach montags geschlosse­n. Der Katalog (Residenz Verlag) kostet 25 Euro.

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 ?? Fotos: Luigi Caputo, Franz Xaver Setzer/Salzburger Festspiele ?? Es begann mit „Jedermann“: Das Regiebuch mit Notizen von Max Reinhardt (oben). Der Theatermac­her hatte in Salzburg das Schloss Leopoldskr­on erworben (unten links). Modebewuss­t in Tracht gekleidet war Marlene Dietrich (rechts Bildmitte) bei einem Festspiel-Besuch im Jahr 1936.
Fotos: Luigi Caputo, Franz Xaver Setzer/Salzburger Festspiele Es begann mit „Jedermann“: Das Regiebuch mit Notizen von Max Reinhardt (oben). Der Theatermac­her hatte in Salzburg das Schloss Leopoldskr­on erworben (unten links). Modebewuss­t in Tracht gekleidet war Marlene Dietrich (rechts Bildmitte) bei einem Festspiel-Besuch im Jahr 1936.
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