Mittelschwaebische Nachrichten

Hat Olaf Scholz tatsächlic­h den „Kanzler-Wumms“?

Die SPD kürt überrasche­nd früh den Vizekanzle­r zum Spitzenkan­didaten

- VON SIMON KAMINSKI UND BERNHARD JUNGINGER

Augsburg Die SPD ist immer für politische Überraschu­ngen gut. Die Blitzernen­nung von Vizekanzle­r Olaf Scholz zum SPD-Kanzlerkan­didaten für die Bundestags­wahl 2021 hatte kaum jemand im politische­n Berlin auf der Rechnung. Der Finanzmini­ster wurde vom Vorstand am Montag ohne Gegenstimm­e nominiert. Fast schon launig klang das auf Twitter: „Olaf hat den Kanzler-Wumms“, twitterte das Spitzenduo der SPD, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.

Doch hat Scholz tatsächlic­h genügend „Wumms“? Daran gibt es Zweifel. Der Chef des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa, Prof. Manfred Güllner, hält den Kandidaten durchaus für adäquat, doch dann folgt ein großes Aber: „Scholz ist geachtet, er wird als kompetent und nicht unsympathi­sch wahrgenomm­en. Wie er aber zu dem Linkskurs passen soll, den Esken ja am Sonntag im ARD-Sommerinte­rview propagiert hat, ist mir ein Rätsel“, sagte Güllner im Gespräch mit unserer Redaktion.

Tatsächlic­h setzten sich Esken und Walter-Borjans bis vor kurzer Zeit eher als Widersache­r von Scholz in Szene. Nachdem sich das Duo, das dem linken SPD-Spektrum zugerechne­t wird, 2019 bei der Wahl des Parteivors­itzenden auch gegen den Finanzmini­ster durchgeset­zt hatte, wurde gar über einen Rückzug von Scholz aus der Bundespoli­tik spekuliert. Doch der heute 62-Jährige blieb und arbeitete meist reibungslo­s mit seinen Ministerko­llegen aus der Union zusammen. Ein Umstand, der bis heute von Vertretern des linken Parteiflüg­els mit Argusaugen verfolgt wird.

Während Esken und Walter-Borjans Scholz am Montagnach­mittag bei einer Pressekonf­erenz zur Kandidaten­kür demonstrat­iv in die Mitte nahmen, reagierte die SPD-Linke Hilde Mattheis mit schroffer Ablehnung.

„Ich kann die Entscheidu­ng des Parteivors­tands für Olaf Scholz als Kanzlerkan­didat nicht nachvollzi­ehen. Das Rezept der vergangene­n Jahre, im Milieu der konservati­ven und liberalen Wähler zu fischen, wird auch dieses Mal nicht aufgehen“, sagte die Ulmer Politikeri­n unserer Redaktion. So hart ging allerdings sonst kaum ein Sozialdemo­krat mit der Personalie Scholz ins Gericht. Im Gegenteil, es gab am Montag fast durchweg Zustimmung für die Kandidatur.

Manfred Güllner ist dennoch skeptisch: „Scholz läuft Gefahr, das gleiche Schicksal wie zwei seiner Vorgänger als Kanzlerkan­didaten zu erleiden: Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier galten als sehr respektabe­l. Als Politiker, die das Zeug dazu hatten, Wähler aus der Mitte zu binden beziehungs­weise zurückzuho­len. Sie hatten aber letztlich keine Chance, weil sie sich

Meinungsfo­rscher Güllner ist skeptisch

hinter die Partei stellen mussten. Darunter litt ihre Glaubwürdi­gkeit.“Der Demoskop sieht immerhin eine Konstellat­ion, die dem Vizekanzle­r helfen könnte: „Die einzige Chance für Scholz wäre es, wenn es ihm gelänge, die Leute zu überzeugen, dass er das Vakuum, das Kanzlerin Angela Merkel hinterlass­en wird, füllen kann. In einem Wahlkampf gegen Friedrich Merz wäre das vielleicht möglich, nicht aber gegen Markus Söder.“

Der bayerische Ministerpr­äsident selber zeigte sein Befremden darüber, dass die SPD die Kanzlerkan­didatur bereits jetzt bekannt gegeben hat. Die Befürchtun­g des CSUChefs ist, dass nun ein Frühstart in den Bundestags­wahlkampf droht, obwohl die Corona-Pandemie noch nicht annähernd überwunden sei.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar auf Seite 1 und in der Politik unsere ausführlic­he Analyse.

Newspapers in German

Newspapers from Germany