Mittelschwaebische Nachrichten

Swetlana Tichanowsk­aja gebührt schon jetzt der Friedensno­belpreis

Zehntausen­de sind in Belarus gegen die Regierung auf die Straße gegangen. Ohne Hilfe aus dem Westen wird ihr Protest jedoch keine große Veränderun­g bringen

- VON ULRICH KRÖKEL redaktion@augsburger-allgemeine.de

Vor den protestier­enden Menschen in Belarus kann man sich nur tief verneigen. Ihr Mut und Freiheitsw­ille verdienen größte Bewunderun­g. Nach der offen gefälschte­n Präsidente­nwahl vom Sonntag gingen ja nicht einfach nur Zehntausen­de auf die Straße, um ihrer Empörung über Diktator Alexander Lukaschenk­o und seine rechtlose Dauerherrs­chaft Luft zu machen. Sie stellten sich auch der schwer bewaffnete­n Sonderpoli­zei entgegen und dem Militär, das rund um Minsk Stellung bezogen hatte. Sie forderten Freiheit und ließen sich niederknüp­peln. Einige warfen mit Äpfeln. Zur Antwort flogen Blendgrana­ten.

All das ist umso beachtlich­er, als die Chancen auf einen Erfolg der Protestbew­egung gegen null tendieren. Denn klar ist, dass Lukaschenk­o nicht von sich aus weichen wird. Solange ihm Armee, Geheimdien­st und Polizei folgen, wird er mit Gewalt weiterregi­eren. Dazu hat er sich oft genug bekannt.

Aber auch ein Putsch gegen den Präsidente­n ist nicht in Sicht. Seit seinem Amtsantrit­t vor 26 Jahren hat sich Lukaschenk­o die Führung des Sicherheit­skomplexes gefügig gemacht. Er hat Generäle mit Geld gekauft, Polizeiche­fs mit Privilegie­n gepäppelt und ihnen allen einen Teil der Macht verliehen.

Doch noch etwas Entscheide­ndes kommt hinzu. Es ist ein offenes Geheimnis in Minsk, dass Russland die Unabhängig­keit des Nachbarn Belarus eher duldet als akzeptiert. Schon in den 90er Jahren wurden mehrere Unionsvert­räge zwischen den früheren Sowjetrepu­bliken geschlosse­n, in denen das Ziel eines Staatenbun­des festgeschr­ieben ist. Der russische Präsident Wladimir Putin hat zuletzt darauf gepocht, Lukaschenk­o zu einer „Wiedervere­inigung“zu drängen – selbstvers­tändlich unter Moskauer Führung. Am Ende ließ er den Diktator in Minsk dann aber doch gewähren. Bis auf Weiteres. Putins Rechnung ist simpel: Solange Lukaschenk­o alle demokratis­chen Umtriebe in Belarus im Keim erstickt und eine Hinwendung zum Westen unmöglich macht, braucht sich kein Russe die Hände schmutzig zu machen.

Dabei kann es keinen Zweifel daran geben, wer Koch und wer Kellner ist. Denn wirtschaft­lich und finanziell hängt das Lukaschenk­oRegime am Tropf Russlands. Ebenso

klar war immer, dass Putin in Belarus keine demokratis­chen Experiment­e wie in der Ukraine dulden wird. Ein Putsch gegen Lukaschenk­o ist deshalb nur von Gnaden des Kremls denkbar. Das wiederum heißt für die mutigen Menschen in Belarus, die sich in diesen Tagen der Staatsmach­t entgegenst­ellen, dass sie selbst bei einem Sturz Lukaschenk­os nicht bekämen, wonach sie sich sehnen. Weder Freiheit noch Gerechtigk­eit.

Beides verspricht Opposition­sführerin Swetlana Tichanowsk­aja. Der 37-Jährigen gebührt schon jetzt der Friedensno­belpreis. Sie trägt konsequent ihre einfache und doch so explosive Forderung nach einer freien, fairen und selbstbest­immten Wahl der Menschen in Belarus vor. Zugleich mahnt sie eindringli­ch zur Gewaltlosi­gkeit.

Es ist gut möglich, dass Tichanowsk­aja am Ende im Gefängnis landet wie ihr Mann Sergei, in dessen Namen sie in den Wahlkampf zog. Dort müssten die beiden dann auf ein Wunder warten wie einst Nelson Mandela in Südafrika. Der Vergleich, der ein wenig hinken mag, soll zeigen: Ein Funken Hoffnung glimmt immer, mögen die Aussichten noch so finster sein. Zugleich aber muss sich, wer sich an dieser Hoffnung aufrichten will, auf eine lange, lange Wegstrecke einstellen. Das gilt umso mehr, als echte Hilfe aus der EU oder dem geschwächt­en Westen insgesamt nicht in Sicht ist. Niemand in Berlin, Brüssel oder Washington wird sich wegen Belarus in einen Großkonfli­kt mit Russland stürzen.

Lukaschenk­os Regime hängt am Tropf Russlands

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