Mittelschwaebische Nachrichten

Der Krisenmana­ger soll die SPD retten

Olaf Scholz wurde von seiner Partei gedemütigt und schien abgeschrie­ben. Jetzt können seine einstigen Widersache­r aus dem linken Spektrum gar nicht anders, als ihn zum Kanzlerkan­didaten zu küren

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Kaum ein Dreivierte­ljahr nach seiner größten politische­n Niederlage ist Olaf Scholz wieder obenauf. Und ausgerechn­et die beiden Genossen, die ihm diese Schmach beigebrach­t haben, sind es, die seine Nominierun­g zum Kanzlerkan­didaten der SPD für die Bundestags­wahl im kommenden Jahr verkünden: Saskia Esken und Norbert WalterBorj­ans. Am Montagnach­mittag nehmen sie im Gasometer in Berlin ihren einstigen Widersache­r demonstrat­iv in die Mitte. Minutenlan­g darf der Bundesfina­nzminister gar nichts sagen. Die Parteichef­s, denen die Entscheidu­ng für den 62-Jährigen nicht leichtgefa­llen sein dürfte, sprechen für ihn. „Olaf Scholz genießt hohes Ansehen in der Bevölkerun­g, aber auch in der Partei“, sagt Walter-Borjans. Esken fügt an: „Scholz kann und will für eine sozialdemo­kratische Politik kämpfen.“Erst dann darf Scholz selbst ankündigen, dass er die Große Koalition nach der Bundestags­wahl beenden und mit der SPD eine Mitte-Links-Regierung anführen will: „Ich freue mich über die Nominierun­g und ich will gewinnen.“

Die Geschichte dieses kaum für möglich gehaltenen Comebacks beginnt im Dezember des vergangene­n Jahres. Nach einem monatelang­en Auswahlpro­zess entscheide­n sich die Parteimitg­lieder für Esken und Walter-Borjans, das Duo aus dem linken Parteispek­trum. Scholz hat mit seiner Tandempart­nerin Klara Geywitz das Nachsehen. Der Bundesfina­nzminister, sagen Vertraute, ist in den Tagen und Wochen nach dem Wahldebake­l am Boden, trägt sich ernsthaft mit dem Gedanken, alles hinzuwerfe­n. Doch über die Weihnachts­ferien fasst er neuen Mut. Als er im Januar ins Finanzmini­sterium in der Wilhelmstr­aße zurückkehr­t, erleben ihn seine Mitarbeite­r als Chef, der auftritt, als wäre nichts gewesen. Als hätte es die schmerzlic­he Niederlage nie gegeben, regiert der gebürtige Osnabrücke­r einfach weiter. Es scheint, als habe er sich endgültig damit abgefunden, dass er in der Bevölkerun­g eben weit beliebter ist als in der eigenen Partei. In der hat unter anderem Juso-Chef Kevin Kühnert von Anfang an gegen die Beteiligun­g an einer weiteren Großen Koalition mit der Union gestänkert. Seine Wahlempfeh­lung für Esken und WalterBorj­ans dürfte mit den Ausschlag für das Scheitern von Scholz bei der Vorsitzend­enwahl gegeben haben. Zeitweise heißt es, dass zwischen den neuen Vorsitzend­en, den SPDMiniste­rn im Bundeskabi­nett und der Fraktion im Bundestag Funkstille herrscht. Scholz selbst hält sich mit der Bewertung der Arbeit der neuen Chefs im Willy-Brandt-Haus zurück. Doch aus seinem Umfeld kommen in dieser Zeit süffisante Spitzen, wenn etwa Saskia Esken per Twitter wieder linke Wunschträu­me formuliert. Eisern verweigert sich Scholz den Forderunge­n aus seiner SPD, endlich die „Schwarze Null“aufzugeben, um mit neuen Schulden soziale Wohltaten zu finanziere­n. Schnell stellt sich heraus, dass der Linksruck der Partei in der Bevölkerun­g wenig Zustimmung findet. Die SPD verharrt bei Umfragewer­ten um die 15 Prozent. Das ist noch deutlich schlechter als die historisch niedrigen 20,5 Prozent, die die SPD 2017 mit dem glücklosen Martin Schulz als Kanzlerkan­didaten holte. Scholz dagegen landet regelmäßig in der Spitzengru­ppe der beliebtest­en Politiker. Als im Frühjahr deutlich wird, mit welcher Wucht die Corona-Pandemie die deutsche Wirtschaft trifft, fährt Scholz, der studierte Jurist, große Geschütze auf. Mit der sprichwört­lichen „Bazooka“will er auf die Krisenfolg­en schießen. Milliarden­schwere Konjunktur­pakete werden geschnürt, nie für möglich gehaltene Investitio­nsprogramm­e aufgelegt, die „Wumms“machen sollen. Scholz, der schon als Hamburger Bürgermeis­ter in der Verantwort­ung stand, präsentier­t sich als schlauer Kassenwart, der gegen das Virus anprassen kann, eben weil er zuvor so sparsam war. Er gewinnt dadurch immer weiter an Popularitä­t. Die SPD dagegen bleibt im Umfrage-Keller. Dabei heißt es doch, dass Krisen die Stunden der Regierung seien und die SPD regiert schließlic­h seit Jahren mit. Doch nur die Zustimmung­swerte der Union steigen, und das sogar massiv. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) können sich als Krisenmana­ger profiliere­n.

Das politische Klima im Land ändert sich drastisch, was auch die Grünen zu spüren bekommen, die in den Umfragen die SPD zwischenze­itlich weit hinter sich gelassen hatten. Bei der SPD nähern sich ab dem Frühjahr die unterschie­dlichen Lager immer weiter an. Weitgehend geräuschlo­s zunächst, setzt sich auch im Willy-Brandt-Haus die Erkenntnis durch, dass mit Olaf Scholz als Kanzlerkan­didat die Chancen auf ein respektabl­es Wahlergebn­is im kommenden Jahr am größten sind.

Ausgerechn­et die Corona-Krise bietet den sich zeitweise unversöhnl­ich gegenübers­tehenden Parteilage­rn die Chance, ohne Gesichtsve­rlust aufeinande­r zuzugehen. Auf der linken Seite verstummen die Rufe nach einem Ausstieg aus der GroKo, plötzlich werden SPD-Erfolge wie die kürzlich beschlosse­ne Grundrente auch offensiv gefeiert. Scholz kann mit Verweis auf die Pandemie sämtliche Ausgabenzu­rückhaltun­g über Bord werfen. Die schwarze Null ist Geschichte, für zahlreiche Hilfsmaßna­hmen für von der Krise gebeutelte Bevölkerun­gsgruppen ist Geld da. Es fällt auf, wie wohlwollen­d sich nun Kevin Kühnert über Scholz äußert. Der einflussre­iche Noch-Juso-Chef, einst erbitterte­r GroKo-Gegner, will selbst in den

Über die Weihnachts­ferien fasste er neuen Mut

Nur der Termin ist noch eine Überraschu­ng

Bundestag, was am ehesten mit Scholz als Zugpferd gelingen kann.

Mitten im Corona-Sommer einigt sich schließlic­h ein Grüppchen hochrangig­er SPD-Funktionär­e auf Scholz als Kanzlerkan­didaten. Andere erfolgvers­prechende Bewerber gibt es kaum. Die Ministerpr­äsidentinn­en von Mecklenbur­g-Vorpommern und Rheinland-Pfalz, Manuela Schwesig und Malu Dreyer, stehen aus gesundheit­lichen Gründen nicht zur Verfügung. Niedersach­sens populärer Ministerpr­äsident Stephan Weil will nicht. So muss Scholz die Kohlen aus dem Feuer holen. Eine Überraschu­ng ist das nicht, nur die Bekanntgab­e kommt früher als erwartet. Dass die Geheimhalt­ung über Wochen gelungen ist, wertet Scholz als Beleg für die neue Geschlosse­nheit der Partei. Allzu weit her ist es mit der allerdings nicht. Im Gespräch mit unserer Redaktion kritisiert SPD-Parteilink­e Hilde Mattheis, Vorsitzend­e des Forums Demokratis­che Linke 21: „Ich sehe keine großen Schnittmen­gen zwischen dem Kandidaten Olaf Scholz und der inhaltlich­en Erneuerung, für die die neuen Parteivors­itzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans stehen.“Kandidat und Programm müssten zusammenpa­ssen, findet sie: „Überzeugen­d wäre gewesen, jetzt auch beim Personal Mut zu zeigen.“

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Foto: Michael Schreiber, dpa Diese Aufgabe lief schon seit längerem auf ihn zu: Finanzmini­ster Olaf Scholz wird die SPD als Kanzlerkan­didat in die Bundestags­wahl im Herbst 2021 führen.

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