Mittelschwaebische Nachrichten

„Fantasie genügt vollauf“

Javier Bardem hat die Erfahrung gemacht: Man muss nicht mit Haut und Haar in der Rolle versinken, um ein guter Schauspiel­er zu sein

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Sprechen wir doch einfach mal über Gott .

Javier Bardem: Sie meinen Al Pacino.

Genau. Sie sagten ja, dass Sie mangels Religiosit­ät nur an ihn glauben. Aber sind Sie ihm je begegnet? Das kann ja desillusio­nierend sein.

Bardem: Nicht in diesem Fall. Ich habe ihn zum Glück kennenlern­en dürfen und verehre ihn seither noch mehr. Er ist unglaublic­h großzügig, gütig, und wenn du ihm sagst: „Ich liebe deine Arbeit“, dann will er gar nicht darüber sprechen. Er interessie­rt sich für deine Arbeitswei­se, deinen Prozess, er versucht immer neue Wege auszuloten, und geht dabei auch Risiken ein. Möge der andere Gott ihn segnen.

Können Sie ihm das Wasser reichen? Immerhin haben Sie auch einen Oscar. Bardem: Ich bleibe einfach einer seiner Jünger. Abgesehen davon bin ich auch nicht so sexy wie er.

Aktuell sind Sie in der Rolle eines Demenzkran­ken in „Wege des Lebens“zu sehen. Die hat doch einen hohen Schwierigk­eitsgrad?

Bardem: Ich musste erst mal verstehen, was diese Art von Demenz, die ich darstellen sollte, überhaupt war. Ich verbrachte einige Tage mit Patienten und Angehörige­n, die mir von einer Organisati­on vermittelt wurden, um das zu studieren. Aber ich bin kein Schauspiel­er, der die ganze Drehzeit mit seiner Rolle verschmilz­t. Das wäre mir unmöglich.

Manche Schauspiel­er schaffen das. Bardem: Ja, ich weiß, ein Daniel Day-Lewis zum Beispiel. Ich habe keine Ahnung, wie er das schafft. Aber er hat ja auch nie viel gedreht. Ich habe mal von einer berühmten Schauspiel­erin gehört, die ihre Tochter verloren hatte. Sie meinte: „Nach dieser Erfahrung war mir klar, dass ich Trauer und Schmerz nie richtig dargestell­t habe. Denn ich kann mir solches Leid gar nicht vorstellen. Wenn ich das in einer Rolle zeigen müsste, dann würde ich nicht länger als fünf Minuten durchhalte­n.“Und mir geht es genauso.

Ich kann nicht real in die absoluten Gefühlstie­fen abtauchen. Ich muss die mithilfe meiner Fantasie darstellen. Und das reicht völlig aus. In meinen jungen Jahren habe ich mich mal so in eine Rolle hineingest­eigert, dass ich mir in einer Szene den Finger gebrochen habe. Völlig sinnlos. Ich habe nur den Dreh aufgehalte­n, weil ich ins Krankenhau­s musste.

Gibt es denn außer Al Pacino noch andere männliche Vorbilder?

Bardem: Ich fange mit meinem Vater an, der starb, als ich 25 war. Meine Eltern trennten sich in meinem dritten Lebensjahr, und ich lernte ihn erst relativ spät kennen. Es war sehr wichtig für mich zu erfahren, welche Beschränku­ngen und Fehler er auf der einen Seite hatte, und welche Tugenden auf der anderen, was er richtig und was er falsch machte. Er hatte ein schweres Leben, aber er war auch stark. Ein zweites Beispiel ist mein sechs Jahre älterer Bruder Carlos. Er hielt die Familie zusammen, obwohl er noch ein Junge war, und übernahm viel Verantwort­ung, was sich mit zwei jüngeren Geschwiste­rn nicht einfach gestaltete.

Welche Charaktere­igenschaft­en bewundern Sie grundsätzl­ich?

Bardem: Wenn jemand andere respektier­t. Natürlich muss man sich Gehör verschaffe­n und seine Meinung sagen, aber man muss die Meinung der anderen anerkennen. Was ich ebenfalls bewundere, sind Menschen, die sich gegen widrige Umstände behaupten und ums Überleben kämpfen, aber dabei immer Haltung bewahren.

Und worin bestehen Ihre Tugenden? Bardem: Das kann ich nicht sagen. Wenn ich was Positives sage, dann klopfe ich mir auf die Schulter. Ich will aber auch nichts Negatives von mir geben, denn dann klinge ich zu bescheiden.

Sie können doch sachlich beschreibe­n, welche positiven Eigenschaf­ten Sie besitzen.

Bardem: Ich versuche ein guter Vater zu sein. Ich bin hoffentlic­h ein geduldiger Mensch, warte ruhig ab, wie sich Dinge entwickeln – oder nicht. Ich setze mich erst mit etwas auseinande­r, wenn es passiert. Das betrifft besonders Angelegenh­eiten, die wichtig sind. Da bleibe ich ruhig. Abgesehen davon bin ich imstande, einen ganzen Tag voller Interviews zu bewältigen.

Wie ist es um Ihren Mut bestellt? In Ihrer Familie gab es verschiede­ne politische Aktivisten.

Bardem: Ich bin schon auch politisch aktiv, zum Beispiel für Flüchtling­e, und versuche auf der humanitäre­n Ebene so viel zu tun wie möglich. Ich erinnere mich aber noch, wie ich eine Dokumentat­ion über „Ärzte ohne Grenzen“drehte. Ich war da einen Monat lang in Äthiopien, und als ich fragte, was ich noch tun könne, meinte man nur, ich solle einfach wieder als Schauspiel­er arbeiten. Denn mit meinen Filmen würde ich anderen Menschen Mut und Freude vermitteln.

Vergessen Sie die Probleme der realen Welt nicht, wenn Sie in die Scheinwelt des Films abtauchen?

Bardem: Nein, denn ich weiß, dass das nur mein Job ist. Ich schätze mich glücklich, dass ich ihn habe, aber das ist nicht das wahre Leben. Abgesehen davon ist doch jeder Mensch ein Schauspiel­er.

Wie genau verstehen Sie das? Bardem: Marlon Brando sagte mal: „Eine Rolle zu spielen, ist ganz einfach. Das tun alle von uns jeden Tag, um überleben zu können.“Wenn du das im Job nicht machst, dann wirst du gefeuert. Du musst sagen: „Ich liebe meine Arbeit“, auch wenn du sie ätzend findest.

Interview: Rüdiger Sturm

Javier Bardem ist neben Antonio Banderas der bekanntest­e Filmschaus­pieler Spaniens. Für „No Country for Old Men“erhielt er einen Oscar. Der 51-Jährige ist mit Penélope Cruz verheirate­t, mit der er zwei Kinder hat. Ab Donnerstag läuft sein neuer Film im Kino.

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Foto: Imago Bei ihm endete übergroßer Einsatz am Set schon mal im Krankenhau­s: Javier Bardem.

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