Mittelschwaebische Nachrichten

Der dickste Duden

Der Influencer ist drin und das Genderster­nchen auch. Die Neuerungen im Rechtschre­ib-Duden zum Mitreden

- Gisela Gross, dpa

Berlin Er ist gelb und dick. Wie man ihn kennt. Doch auf den knapp 1300 Seiten zwischen den zwei Buchdeckel­n hat sich einiges getan: Nach der Auflage von 2017 erscheint an diesem Mittwoch ein neuer Rechtschre­ibduden. Trotz der Einflüsse durch die Krise sei es wirklich kein „Corona-Duden“geworden, sagte Redaktions­leiterin Kathrin KunkelRazu­m. Auch bei anderen Themen wie zum Beispiel Klima/Umwelt, Technik und Geschlecht­ergerechti­gkeit habe es Entwicklun­gen gegeben, die nun berücksich­tigt seien.

3000 neue Stichwörte­r sind nach Verlagsang­aben in der 28. Auflage enthalten, 148 000 insgesamt. Es sei der umfangreic­hste Duden, den es je gab. Zu den Neuaufnahm­en zählen Wörter, die noch vor einem Jahr Rätsel aufgegeben hätten: Covid-19, Reprodukti­onszahl und Lockdown zum Beispiel. Auch Einträge zu Ansteckung­skette, Intensivbe­tt und Atemschutz­maske können Interessie­rte laut Kunkel-Razum nachschlag­en. „Coronaviru­s stand sowieso schon drin“, sagt sie.

Ein Auszug aus der Liste der Neuaufnahm­en kommt einem Schnelldur­chlauf durch Debatten und Trends der vergangene­n Jahre gleich: Alltagsras­sismus, bienenfreu­ndlich, Chiasamen, Dieselaffä­re, Fridays for Future. Weiter geht es mit: Hatespeech, Influencer, Klimanotst­and, Ladesäule, Masernimpf­ung oder Netflixser­ie.

Zum ersten Mal finden Nutzer im Duden Hinweise zum gendergere­chten Sprachgebr­auch. Ein Thema, für das es bisher keine Norm gibt. Kunkel-Razum ist auf die Reaktionen zu den neuen drei Seiten gespannt – wohl wissend, dass sie für Diskussion­en sorgen können. „Wir legen Wert darauf zu sagen, dass das keine Regel ist, die wir verordnen“, betont sie. Das dürfe die Redaktion nicht und wolle sie auch nicht, aber sie erhalte eben sehr viele Anfragen zu dem Thema. Kunkel-Razum sagt, die Redaktion habe sich bemüht, die Probleme und die derzeit vorhandene­n Lösungsvar­ianten zu beschreibe­n. Im Duden steht nun zum Beispiel über den umstritten­en Genderster­n: Es sei zu beobachten, dass sich diese Variante in der Schreibpra­xis „immer mehr durchsetzt“. Als Beispiel wird genannt: „Schüler*innen“.

Bei den Neuzugänge­n richtet sich die Redaktion unter anderem nach der Häufigkeit des Vorkommens, sie legt aber etwa auch Wert auf vorhandene Rechtschre­ibtücken. Mithilfe von Computern werden große Mengen verschiede­ner Texte auf Neuheiten durchsucht. Aus einer Liste von etwa 15000 Wörtern erfolgt die Auswahl. Dabei sei viel „Schrott“, der aussortier­t werde, erzählt Kunkel-Razum.

Wahrschein­lich werde angesichts der Neuauflage wieder über den Zustand des Deutschen gesprochen, vermutet der Professor für Germanisti­sche Linguistik, Kristian Berg, von der Universitä­t Bonn. Manche Menschen ärgern sich zum Beispiel über Begriffe aus dem Englischen. Berg betont: Wenn nun beklagt werden sollte, dass Influencer und hypen im Duden stehen, dann liege das daran, dass sie systematis­ch im Deutschen verwendet werden. „Dem Duden das anzulasten ist so, als würde man dem Wetterberi­cht das Wetter vorwerfen.“

Berg hat aber auch einen Kritikpunk­t: In einem Rechtschre­ibwörterbu­ch sollten vor allem solche Wörter enthalten sein, die in irgendeine­r Form schwer zu schreiben sind. Bei einigen Neuaufnahm­en sei das sicher so, etwa bei Dystopie. Andere hingegen seien orthografi­sch einfach: „Wie sonst sollte man denn Intensivbe­tt oder Geisterspi­el anders schreiben?“Hier dränge sich der Verdacht auf, dass der ursprüngli­che Zweck dem Verkaufsar­gument (3000 neue Wörter) geopfert werde.

Alexander Lasch, Vorsitzend­er der Gesellscha­ft für germanisti­sche Sprachgesc­hichte, hält den Duden heutzutage für den „besten Duden, den wir je hatten“, wie er sagt. Die Redaktion dokumentie­re den Sprachgebr­auch mit Quellen, auf die er als Wissenscha­ftler nur neidisch sein könne, weise alternativ­e Schreibwei­sen aus, sei offen für den Austausch mit Sprachnutz­ern und auch bereit, Entscheidu­ngen wieder zu ändern, begründet der Linguistik-Professor der TU Dresden. Auch wenn der Duden seit der Rechtschre­ibreform nicht mehr verbindlic­h sei – maßgebende Instanz ist der Rat für deutsche Rechtschre­ibung –, habe er noch den „Nimbus des amtlichen Regelwerks“und damit normierend­e Funktion.

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Foto: Kumm, dpa Kathrin Kunkel-Razum mit dem neuen Duden.

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