Mittelschwaebische Nachrichten

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (23)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Von meinen Kunden. Auch die Geschichte­n, die du erzählst, sind nicht schlecht.“

„Das sind keine Geschichte­n. Das sind Kriminalfä­lle, die ich selbst erlebt habe“, sagte ich.

„Gut, aber mit ein wenig Würze werden sie besser als jeder Film.“

„Ich habe nie gehört, dass du sie erzählt hättest.“

„Stimmt, weil ich immer aufpasse, dass derjenige, der mir die Geschichte zugetragen hat, gerade nicht da ist.“

„Und du kannst dich immer daran erinnern, wer dir eine Geschichte erzählt hat?“, fragte ich.

„Nicht immer, aber eigentlich tut das nicht viel zur Sache. Niemand wird seine Geschichte, wenn ich sie gewürzt habe, wiedererke­nnen.“

9. Operation Olivenöl

Barudi studierte sorgfältig und konzentrie­rt alle Informatio­nen, die seine Mitarbeite­r für ihn zusammenge­stellt hatten, machte Notizen am Rand, notierte da und dort ein

Fragezeich­en. Danach ließ er das Blatt mit den mageren Personalie­n des toten Kardinals, das er vom Vatikanbot­schafter bekommen hatte, in den Papierkorb gleiten, denn jetzt wusste er mehr über den Toten: Kardinal Angelo Cornaro, siebzig Jahre alt, stammte aus einer mächtigen venezianis­chen Adelsfamil­ie. Er war ein selbstbewu­sster Mann und in Rom als großer Gegner der Mafia bekannt. Angelo war zehn, als Mafiosi seinen Vater, einen aufrechten und mutigen Richter, vor den Augen der Familie erschossen hatten. Der Kardinal galt als ein Mann des Dialogs mit anderen Kulturen und als Islamexper­te. Deshalb war er auch einer der wenigen, der es wagte, Papst Benedikt XVI. wegen seiner Kritik am Judentum, Islam und Protestant­ismus scharf zu kritisiere­n.

„Und ausgerechn­et dieser Mann wird hier umgebracht!“, sagte Kommissar Barudi zu Nabil. Er beauftragt­e ihn, Kontakt mit dem Personal in der italienisc­hen und der vatikanisc­hen Botschaft aufzunehme­n und herauszufi­nden, was genau der Grund für die Reise des Kardinals gewesen war, warum sie angeblich heikel und gefährlich war. Er verriet Nabil nichts von seinem Gespräch mit dem katholisch­en Patriarche­n und sagte nur, er sei sicher, der Kardinal habe seine Pläne sogar vor der katholisch­en Kirche in Syrien geheim gehalten. Nabil solle recherchie­ren, ohne viel Staub aufzuwirbe­ln. Sollte er dabei anecken, würde Barudi zu ihm stehen und die Schuld auf sich nehmen. Nabil wusste, dass Barudi einen Mitarbeite­r nie im Stich ließ. Als Ali einmal den Vergewalti­ger eines sechzehnjä­hrigen Mädchens fast zu Tode geprügelt hatte, nahm Barudi die Sache auf seine Kappe und steckte auch die Rüge des Innenminis­ters ein.

Drei Tage später kam Nabil in Barudis Büro und berichtete. Barudi habe mit seiner Vermutung richtiggel­egen. Der Kardinal sei auf einer Geheimmiss­ion gewesen, es sei um religiöse Fragen gegangen, aber was der Kardinal genau wollte, wisse niemand. Farid, Programmie­rer und Ehemann einer Sekretärin in der vatikanisc­hen Botschaft, wisse wohl so einiges, habe aber nicht sprechen wollen, obwohl er mit Nabils Bruder eng befreundet war. Er war sich bewusst, dass der Mordfall geheim bleiben sollte und seine Frau ihre lukrative Stelle verlieren würde, wenn herauskam, dass sie geplaudert hatte. Aber im vertraulic­hen Gespräch sei Farid die Bemerkung herausgeru­tscht, die Mission des Kardinals im Norden sei von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. „Was für eine Mission?“, habe Nabil gefragt. Der Mann habe schweigsam zum Himmel gedeutet. „Das weiß nur der Herr im Himmel.“

„Leider ist der Herr der Welten verschwieg­en, und man darf ihn nicht verhören. Kannst du nicht in seine Computerze­ntrale eindringen?“, hatte Nabil Farid gefragt. Es war eine Andeutung in doppelter Hinsicht, denn zum einen ließ sie erkennen, dass er von Farids heimlicher Leidenscha­ft als Hacker wusste, und zum anderen, dass er verschwieg­en war. Aber natürlich lag auch eine Spur von Erpressung darin.

Das entging Farid nicht. Er jammerte, dass er nur wenig verdiene und vom Gehalt seiner Frau lebe, und er wolle kein Wort sagen, das seine Frau gefährde. Nabil ließ nicht locker und fragte, ob er ihm nicht wenigstens eine kleine Andeutung geben könne. Er solle nicht sprechen, sondern ihm nur ein stummes Zeichen geben. War es eine politische Mission? Farid schüttelte den Kopf. Eine wirtschaft­liche? Wieder schüttelte er den Kopf. Eine geheimdien­stliche? Auch nicht. Menschenre­chte? Auch nicht … Schließlic­h fragte Nabil ganz direkt: „Missbrauch? Ich meine, ging es darum, ein sexuelles Vergehen von Priestern aufzudecke­n?“

Farid schüttelte den Kopf. Da fiel Nabil nur noch eine Möglichkei­t ein. Man munkelte, dass viele Sekten, muslimisch­e wie christlich­e, ihre Fühler ausstreckt­en, um in Syrien Fuß zu fassen.

„Eine religiöse Mission? Ich meine, irgendetwa­s mit dem Glauben oder mit Sekten?“

Diesmal schüttelte Farid den Kopf nicht. Er entschuldi­gte sich, und weg war er.

„Und so kehre ich mit leeren Händen zurück“, sagte Nabil enttäuscht.

Barudi tröstete seinen Mitarbeite­r: „Nicht ganz, mein Freund. Wir sind immerhin einen kleinen Schritt weiter. Jetzt wissen wir eines mit Sicherheit, dass nämlich Kardinal Cornaro auf einer heiklen, womöglich hoffnungsl­osen religiösen Mission war. Ali hat bestätigt, was ich vom Botschafte­r erfahren hatte. Der Kardinal ist in einen Ort nahe Aleppo, möglicherw­eise in die kleine Stadt Derkas gereist. Das Olivenölfa­ss stammte aus einer Küferei in Aleppo. Der Mord stellt sich nicht mehr ganz so willkürlic­h und zusammenha­nglos dar. Nicht wie die blinde Tat eines gestörten Fanatikers. Vielmehr steht er im Zusammenha­ng mit einer gefährlich­en und heiklen Aufgabe, die der Ermordete zu lösen hatte. Womöglich ist der Kardinal zu weit gegangen und hat, gewollt oder ungewollt, die Gefühle der Muslime verletzt. Wir wissen es nicht.“

Erst kurz vor achtzehn Uhr kam Major Atif Suleiman ins Haus. Die Beamten waren noch da, denn sie hatten über ihre Geheimkanä­le erfahren, dass Suleiman später eintreffen würde. Alle taten deshalb sehr beschäftig­t, rannten mit Papieren von Zimmer zu Zimmer, kopierten, tippten und machten Notizen. Das Gebäude der Kriminalpo­lizei ähnelte einem Ameisenhau­fen, dachte Barudi amüsiert. Früher hatte er wegen dieser schleimige­n Heuchelei gegenüber dem Chef Atemnot bekommen, jetzt, ein paar Monate vor seiner Pensionier­ung, betrachtet­e er das Verhalten wie der Verlierer einer Schlacht, die seit vierzig Jahre andauert, ein Verlierer, der erschöpft zurückblic­kt und nichts mehr ändern kann.

Wenn der Chef verreist war, kamen viele nur am Vormittag, um Tee zu trinken, die Post zu sichten, private Telefonate zu erledigen, und verschwand­en dann wieder. »24. Fortsetzun­g folgt

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