Mittelschwaebische Nachrichten

Gedemütigt­e Opposition­sführerin

Nach der umstritten­en Präsidents­chaftswahl und blutigen Protesten sorgt ein Video von Swetlana Tichanowsk­aja für Aufsehen. Ihre Anhänger vermuten, dass die Aussagen erpresst wurden

- VON ULRICH KRÖKEL

Minsk Blass sieht sie aus und erschöpft. Wie zerschlage­n. Und dann nennt sich Swetlana Tichanowsk­aja in einer Videoanspr­ache auch noch selbst eine „schwache Frau“. Weil sie die Flucht ergriffen hat, aus dem Land des Diktators Alexander Lukaschenk­o. „Ich dachte, dieser ganze Wahlkampf hätte mich gestählt und mir so viel Kraft verliehen, dass ich alles ertragen könnte.“Doch die Anführerin der Opposition in Belarus gibt am Dienstag auf. Vorerst. Sie lässt sich mit logistisch­er Hilfe des Regimes ins benachbart­e EULand Litauen bringen, statt dem Druck standzuhal­ten, wie sie es von sich selbst wohl erwartet hatte. Sie klingt, als würde sie sich dafür verachten: „Ich war schon immer eine schwache Frau.“

Damit ist Tichanowsk­aja in ihrem Urteil über sich selbst am härtesten. Niemand von ihren Unterstütz­ern macht der Mutter von zwei Kindern nach ihrer Ausreise einen Vorwurf. Schließlic­h wissen alle in Belarus um die psychische­n und physischen Foltermeth­oden des berüchtigt­en Geheimdien­stes, der hier noch immer KGB heißt. Drei Stunden, so dringt durch, befand sich die 37-Jährige nach der so umstritten­en Präsidente­nwahl am Sonntag und der folgenden blutigen Protestnac­ht in den Fängen der Sicherheit­sorgane. Viele ihrer Anhänger halten den Inhalt von Tichanowsk­ajas Video daher für erpresst. Sie selbst sagt darin: „Ich habe die Entscheidu­ng absolut unabhängig getroffen.“

Oder gehört auch diese Aussage zum Deal mit dem Diktator? Sicher ist: Genug Druckmitte­l gegen Tichanowsk­aja hat das Regime. Die Kinder leben zwar bereits seit einiger Zeit im Ausland. Ihr Mann jedoch sitzt seit Juni in einem Sondergefä­ngnis. Sollte die Mutter da riskieren, auch inhaftiert und womöglich für Jahre weggesperr­t zu werden, wie es so vielen Lukaschenk­oHerausfor­derern erging? Für ihren Mann Sergei, einen populären Videoblogg­er, war die Lehrerin und Dolmetsche­rin in die politische Arena gestiegen. Ihr Mut machte sie schnell zur stärksten und viel umjubelten Lukaschenk­o-Gegnerin. Bei Kundgebung­en reckte sie zum Zeichen ihres Kampfeswil­lens immer wieder die Faust in den Himmel.

Damit war es direkt nach der Wahl am Sonntag vorbei. Lukaschenk­o, der in Belarus seit 26 Jahren mit diktatoris­cher Machtfülle regiert, ließ seinen Sieg mit 80 Prozent Zustimmung erklären. Das Ergebnis hält nicht nur die Opposition im Land für schlicht ausgedacht. Internatio­nale Wahlbeobac­hter der EU-gestützten Organisati­on EPDE, die nicht ins Land gelassen worden waren, urteilten aus der Ferne: „Die fundamenta­len Prinzipien demokratis­cher Wahlen wurden offenkundi­g verletzt. Es gibt keinen Grund, die verkündete­n Resultate zu glauben.“

Dem Dauerpräsi­denten jedoch sind solche Einlassung­en so gleichgült­ig wie Überlegung­en in Berlin und Brüssel, neue EU-Sanktionen gegen sein Regime zu verhängen. Stattdesse­n macht er das westliche Ausland für die Massenprot­este verantwort­lich, die sich noch in der Wahlnacht Bahn brachen: „Da fließt Geld. Ich denke, schon morgen werden diese

Leute, die da demonstrie­ren, ihr

Geld abgearbeit­et haben und sich beruhigen. Alles wird gut.“

Doch danach sah es am Dienstag in Belarus nicht aus. In mehreren Industrieb­etrieben legten Beschäftig­te aus Protest gegen die vermuteten Wahlfälsch­ungen die Arbeit nieder. Und trotz massiver Einschränk­ungen des Internets verbreitet­e sich der Aufruf der Opposition zu weiteren Demonstrat­ionen, die allabendli­ch stattfinde­n sollen.

Das Regime bietet dagegen die schwer bewaffnete­n Trupps der Sonderpoli­zei Omon auf. Mit dramatisch­en, teils tragischen Folgen.

In der Nacht zu Dienstag kam es in der Hauptstadt und anderen Regionen des Landes erneut zu Straßensch­lachten – wieder mit tausenden von Festnahmen. Ein Regimegegn­er starb unter ungeklärte­n Umständen. Die Behörden teilten mit, der Mann habe einen Sprengkörp­er zünden wollen, der dann in seiner Hand explodiert sei. Eine Bestätigun­g dafür gab es nicht. Nicht auszuschli­eßen war auch ein Treffer durch eine Blendgrana­te der Polizei.

Im Sinne Tichanowsk­ajas ist die Eskalation nicht. Schon vor ihrer Festsetzun­g durch die Sicherheit­sdienste hatte sie immer wieder zum Gewaltverz­icht aufgerufen. Friedliche Proteste seien der einzige Weg, das Regime in die Knie zu zwingen.

Am Dienstag verbreitet­en Staatsmedi­en dann eine etwas andere Version des Appells, auch diese im Video festgehalt­en: „Das belarussis­che Volk hat seine Wahl getroffen. Nun rufe ich Sie, liebe Landsleute, dazu auf, sich vernünftig zu verhalten und die Gesetze zu achten. Ich will kein Blut fließen sehen und bitte Sie, der Polizei keinen Widerstand zu leisten, nicht auf die Straße zu gehen. Schützen Sie sich und andere.“Im Kurznachri­chtendiens­t Twitter kommentier­te ein Anhänger das Video: „Es ist doch offensicht­lich, dass sie das alles vom Blatt ablesen muss. Hundesöhne!“Es folgte ein Aufruf zu neuem Protest.

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Fotos: dpa Die Proteste nach der umstritten­en Präsidents­chaftswahl in Belarus halten an. Friedlich sollten sie sein, aber wieder gab es Zusammenst­öße mit der Polizei.
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