Mittelschwaebische Nachrichten

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (24)

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MIn die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

anchmal traf er im Haus nur Schukri, Frau Malik und seine beiden Assistente­n Ali und Nabil an. „Bleib hier“, flüsterte Major Suleiman, als Barudi an der Reihe war, ihm die Hand zu drücken und ihn willkommen zu heißen. Die Kollegen defilierte­n an ihrem Chef vorbei und verschwand­en wieder. Es dauerte vielleicht eine halbe Stunde.

Endlich waren sie allein. Major Suleiman rief nach Frau Malik. Als sie den Kopf durch die Tür streckte, sagte er: „Zwei Mokka, bitte, und ansonsten keinerlei Störung.“Dann bat er Barudi mit einer Geste, ihm gegenüber am Schreibtis­ch Platz zu nehmen. Barudi wusste, dass sein Anliegen eine schwere Hürde war, die es zu nehmen galt, und so erkundigte er sich, um die Sache leichter zu machen, zunächst nach Gesundheit und Familie.

„Gut, gut, danke der Nachfrage“, raunte Suleiman kaum hörbar. Dann zerhackte er, ohne zu atmen, den nächsten Satz in einzelne Wörter wie ein Roboter. „Was… ist…

das … für … eine … gott …erdammte … Schweinere­i, in die man uns hineinzieh­en will?“, zischte er.

Eine bleierne Stille lag auf beiden Männern.

Einen Augenblick lang dachte Barudi, der Chef meine die Sache mit dem Waffenschm­uggel und dem Mord, aber Major Suleiman wusste von der neuesten Recherche noch gar nichts. Also ging es um den Kardinal.

„In der Tat“, erwiderte Barudi. „Und es ist, so wenig ich bisher auch an Informatio­nen habe, ein sehr komplizier­ter Fall.“

Major Suleiman nickte nachdenkli­ch. „Ich glaube, und bitte betrachte das nicht als Lobhudelei, wir haben es beide nicht nötig, niemand kann diese harte Nuss besser knacken als du.“

„Schön wär’s, aber ich fürchte, meine Karriere als Kommissar mit einer herben Niederlage zu beenden, genau wie sie begonnen hat. Jahrzehnte ist es her und steckt mir immer noch in den Knochen. Seitdem gebe ich alle Fälle ab, die mit der Armee, mit Waffen und Offizieren zu tun haben.“

„Das verstehe ich, aber bei diesem Fall geht es um einen Mord, der uns alle angeht und das Land in Verruf bringen kann. Es geht um einen Kardinal und nicht um einen Offizier oder Waffen. Religiöse Gesinnung oder Zugehörigk­eit sind mir egal, aber wenn ein Muslim in dem Fall ermittelt, wird er nie so tief in die Materie eindringen können wie du, da du Christ bist.“Er stockte, dann beugte er sich über den Tisch und schaute Barudi direkt in die Augen. „Du hast mein Wort, solange ich hier sitze und mein Cousin unser Führer und Präsident ist, wird dir keiner etwas tun oder dir in die Suppe spucken.“Damit streckte er die Hand über den Tisch. Barudi zögerte eine Sekunde vor Schreck, so entschloss­en hatte er seinen Chef seit langem nicht erlebt. Dann drückte er fest zu.

„Ich habe einen Plan“, sagte Barudi, gerade als Frau Malik das Zimmer mit zwei dampfenden Mokkas auf einem Tablett betrat.

„Warte, mein Lieber, bis ich verschwind­e, sonst posaune ich deinen Plan durch die ganze Stadt“, scherzte sie. Die beiden Männer lachten.

„Vor dir gibt es keine Geheimniss­e, liebe Aische“, sagte Barudi.

„Und du, Zakaria, du weißt, wie sehr ich dich mag, mein Junge. Lass dich von unserem Chef nicht in irgendeine gefährlich­e Geschichte verwickeln. Du sollst deine Rente unversehrt genießen.“Mit diesen Worten wandte sie sich zum Gehen.

„Ist es nicht seltsam“, meinte der Major. „Außer Aische Malik nennt dich niemand Zakaria. Du bist für uns alle Barudi. Wie kommt das?“

„Ich liebte den Namen Barudi schon als Kind sehr, weil er mit Schießpulv­er und Gewehr zu tun hat … und irgendwie konnte ich in der Schule damit Eindruck schinden. Zakaria war für mich zu religiös, zu brav. Später, als ich bei der Polizei in Damaskus anfing, empfingen mich die Damaszener mit großer Sympathie und fragten, ob ich mit dem berühmten Fachri Barudi verwandt wäre. Du weißt, er war einer der klügsten Köpfe im Kampf gegen Frankreich und für die Unabhängig­keit. Er war Dichter, Satiriker, Musiker, ein großer Politiker und Gourmet. Sein Name öffnete mir Tür und Tor. Kennst du die Geschichte seiner Verbannung?“

„Nein“, antwortete der Major, der aus einem kleinen alawitisch­en Dorf an der Küste im Norden stammte.

„Als die französisc­hen Besatzer ihn verhaftete­n, verurteilt­en sie ihn zur Verbannung nach al Hasaka im Norden. Daraufhin traten die Damaszener

sechzig Tage lang in einen Generalstr­eik, bis die Franzosen Barudi und seine Mitkämpfer nach Damaskus zurückbrac­hten. Das muss man sich mal vorstellen, eine Stadt wird lahmgelegt, weil einer in die Verbannung geschickt wurde. Kannst du dir so etwas heute vorstellen?“

„Wie dem auch sei“, entgegnete Major Suleiman, der die Damaszener nicht sonderlich mochte und das indirekte Lob der Besatzer im Vergleich zur herrschend­en Diktatur als unangenehm empfand. „Wie sieht dein Plan aus?“

„Wir müssen den Fall so weit wie möglich von der Politik entfernt halten. Je mehr wir uns auf die sachliche polizeilic­he Ermittlung begrenzen, umso besser. Wenn wir sofort mit Kaida und Islamisten hantieren, wird aus dem Fall eine Sache für den Geheimdien­st, und es wird nicht lange dauern und schon mischt sich auch die CIA ein. Wenn das geschieht, bitte ich dich, mich von dieser Aufgabe zu entbinden. Ich bin in weniger als zwei Monaten Rentner und …“

„Nein, nein, sollte der Geheimdien­st auch nur versuchen, seine Nase in den Fall zu stecken, erkläre ich meinen Rücktritt. Du bist der Mann für diese Geschichte und du hast mein Wort“, sagte Major Suleiman, nahm einen kräftigen Schluck

Wasser und dann einen Schluck Mokka. Der Kardamomdu­ft schwenkte seine Fahne durch den Raum.

„Wir müssen, wenn du auf mich hören willst, die Italiener überzeugen, dass wir alles tun, um diesen barbarisch­en Mord aufzukläre­n“, sagte Barudi, „und am besten tun wir das, indem wir ihnen anbieten, mit uns zu kooperiere­n. Ich denke, das nimmt all denen den Wind aus den Segeln, die einen Keil zwischen Italien und Syrien treiben wollen. Sie könnten uns einen eigenen Kommissar schicken, der mich begleitet. Aber ich muss dir noch etwas anvertraue­n. Ich stoße mit meinen Mitarbeite­rn in der vatikanisc­hen Botschaft auf eine Mauer des Schweigens. Die vertrauen uns nicht, und ich bin sicher, so wahr ich Barudi heiße, sie wissen mehr über den Fall. Ich habe herausgefu­nden, dass der Kardinal auf geheimer Mission war. Welcher, wollte mir niemand sagen. Ich kann ja schließlic­h einen Diplomaten nicht in den Schwitzkas­ten nehmen oder ohrfeigen, wozu ich beim Botschafte­r des Vatikans große Lust gehabt hätte. Aber ein Italiener kann sie zum Reden bringen. Und er wird bezeugen, dass wir die Sache ernst nehmen. Wir haben ein Interesse, dass die Mörder gefasst werden.

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