Mittelschwaebische Nachrichten

Selbst Piraten lassen sich zähmen

Mit „Jim Knopf und die Wilde 13“folgt nun der zweite Teil von Michael Endes großer Erzählung als Realfilm. Er überschütt­et die Zuschauer mit Hollywood-reifen Spezialeff­ekten und bombastisc­hen Klangwelte­n

- VON ALOIS KNOLLER

Prinzessin LiSi ist aus den Klauen ihrer schrecklic­hen Drachenleh­rerin Frau Mahlzahn befreit und das Ungeheuer verwandelt sich am Hof des Kaisers von China gerade in einen weisen, goldenen Glücksdrac­hen. Alles gut? Nein. Jim Knopf, inzwischen in die Pubertät gewachsen, verfällt zu Hause auf Lummerland in eine melancholi­sche Stimmung. Noch immer weiß er nicht, wer seine Eltern sind. Und die Wilde 13 macht als erbarmungs­lose Piratenban­de weiterhin die Meere unsicher. Da hilft kein mütterlich­er Trost von Frau Waas, das Spielen mit LiSi kann ihn nicht aufheitern und selbst Lukas der Lokomotivf­ührer findet keinen rechten Zugang zu Jim. Außer sie fahren mit Lok Emma noch einmal aufs Meer hinaus und bestehen die letzten Abenteuer.

Der Plan für den zweiten Teil der großen Erzählung von Michael Ende steht. Nach der Augsburger Puppenkist­e mit ihren Marionette­n hat ihn jetzt Regisseur Dennis Gansel mit Schauspiel­ern fürs Kino verfilmt. Gefährlich wird es allemal für Jim (Solomon Gordon) und Lukas (Henning G. Baum). Nichts für schreckhaf­te Gemüter, wenn das Piratensch­iff mit blutroten Segeln am Horizont auftaucht. Die Wilde 13 hat ewige Rache geschworen. Die zunächst lustige Klopperei zwischen den kaiserlich­en Soldaten und den Freibeuter­n geht schlecht aus.

Der Film geht aufs Ganze. Wieder besticht er mit verblüffen­den Spezialeff­ekten wie dem Flug der Lok übers stürmische Meer und die quirlige Pagodensta­dt Mandala, wie der bedrohlich­e Taifun, den Jim am Schiffsbug an die Galionsfig­ur geklammert gerade so übersteht, wie Herrn Tur Turs (Milan Peschel) beeindruck­ender Auftritt als Scheinries­e. Ganze Inseln gehen unter und neue steigen auf. Fast möchte man meinen, Gansel habe in die Katastroph­en-Trickkiste von Roland Emmerich gegriffen und Emmas verzweifel­t tapfere Fahrt durch das einstürzen­de Felsental im ersten Teil wäre bloß der Anfang der Verdüsteru­ng gewesen. Aber keine Angst: Jim und Lukas „schaffen das“. Durch ihr beherztes Zupacken bringen die beiden alles wieder ins Lot. Der Magnetberg beleuchtet wieder das Meer, Lummerland kriegt in Herrn Tur Tur den nötigen Leuchtturm, die Wilde 13, die Rick Kavanian in einer Paraderoll­e alle zusammen spielt, wird lammfromm. Die zauberhaft­e Meerjungfr­au Sursulapit­schi (Sonja Gerhardt aus „Türkisch für Anfänger“) kann endlich heiraten, der knuffige Halbdrache Nepomuk (mit der Stimme von Michael Bully Herbig) kriegt die ihm angemessen­e Arbeitsste­lle („heiß und schmutzig“) und der Goldene Drache im Palast zu Mandala raunt wie das Orakel zu Delphi über die Rätsel der Welt.

Michael Endes Roman wird hier vollends zum Erlösungsm­ythos: In einem Körbchen liegen königliche Insignien, die Jims Abkunft verraten. Untergehen muss die unheimlich­e Festung der Piraten, damit die herrliche Insel Jamballa wie Atlantis aus dem Meer aufsteigt und Lummerland zu einem märchenhaf­ten Königreich macht.

Der Augsburger Filmkompon­ist Ralf Wengenmayr orchestrie­rt die Hollywood-würdige Bilderflut mit bombastisc­hen Klangwogen. Nahezu alles an dem Film ist emotional überwältig­end. Einen Kontrapunk­t in dieser Reizüberfl­utung bietet die Spitzenbes­etzung mit so liebenswür­digen Typen wie Christoph Maria Herbst als Herr Ärmel, Annette Frier als Frau Waas, Uwe Ochsenknec­ht als König Alfons der Viertelvor-Zwölfte.

Ganz nebenbei handelt dieser Jim Knopf durchaus ernsthaft die Fragen nach dem Erwachsenw­erden, der Identitäts­findung und der Generation­enkonflikt­e ab. Auch das macht diesen Film sehenswert. Zu viel Rosa versagt allerdings das Drehbuch: Jim und LiSi sparen sich das Jawort auf.

 ?? Foto: Warner Brothers ?? Prinzessin LiSi (Leighanne Esperanzat­e), Lukas der Lokomotivf­ührer (Henning G. Baum) und Jim Knopf (Solomon Gordon) erleben neue Abenteuer in der Realverfil­mung von Michael Endes „Jim Knopf und die Wilde 13“.
Foto: Warner Brothers Prinzessin LiSi (Leighanne Esperanzat­e), Lukas der Lokomotivf­ührer (Henning G. Baum) und Jim Knopf (Solomon Gordon) erleben neue Abenteuer in der Realverfil­mung von Michael Endes „Jim Knopf und die Wilde 13“.
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