Mittelschwaebische Nachrichten
Die Rassismusdebatte erreicht das Neu-Ulmer Kreiswappen
Eine „Mohrin, die eine goldene Bischofsmütze in den Händen hält“ist ein Teil des Zeichens. Was steckt dahinter?
Neu-Ulm Die Rassismus-Debatte um die Mohrengasse in Ulm ist beigelegt. Der Name bleibt und wird erklärt; andernorts musste der Name weichen. Unter dem Radar der öffentlichen Empörung blieb lange Zeit das Wappen des Landkreises Neu-Ulm. Das gibt es nämlich in zwei Varianten – mit einer gekrönten hellhäutigen und einer gekrönten dunkelhäutigen Frau. Langes Haar hat die schlanke Schönheit im schwarzen Kleid immer, eine goldene Bischofsmütze in der Hand und ein Hifthorn unter sich.
Rassismus im Landkreis-Wappen? Kreisarchivar Peter Wischenbarth
hatte vor einiger Zeit bereits die Aufforderung erhalten, die „Mohrin“müsse wegen angeblich rassistischer Darstellung aus dem Wappen. Und da wären natürlich noch die Wappen von Illerkirchberg, Unterkirchberg und Oberkirchberg, die alle eine dunkelhäutige Frau zeigen. Was ist mit ihnen?
Bei jener Anfrage zum angeblich rassistischen Landkreis-Wappen platzte Peter Wischenbarth fast der Kragen, und er beschäftigte sich in der Folgezeit intensiv mit dem Thema der Frau im Landkreiswappen, die in alten Formen hellhäutig und etwa ab dem 13./14. Jahrhundert dunkelhäutig dargestellt wurde. Dass die Frau im Wappen auf die Grafen von Kirchberg zurückgeht, war klar gewesen, und dass das Landkreiswappen insofern mit den Wappen der drei anderen Gemeinden zusammenhängt, die die Kirchberger Grafen sogar im Ortsnamen tragen.
Gab es doch da diese wüste Sage, dass ein Kirchberger Graf seinen Vater ermordet haben sollte und man die Frau im Wappen seither zur Strafe schwarz darstellte – eine Sage, an der viele heute noch festhalten, die Wischenbarth aber zornig macht. „Das ist Unsinn und nicht haltbar, Zeitangaben zum Beispiel passen in der Geschichte absolut nicht zusammen. Wir müssen uns von dieser Sage verabschieden oder sie eben als das sehen, was sie ist – eine Sage. Wahr ist sie nicht.“
Wischenbarths Nachforschungen ergaben ein ganz anderes Bild: Die Grafen von Kirchberg, schwäbischer Hochadel des ausgehenden frühen Mittelalters und des Hochmittelalters und unter anderem Gründer des Wiblinger Klosters, waren äußerst religiös.
Die Frau auf dem Wappen, die die Mitra hält, ist definitiv eine Gestalt der Bibel. Ob die Grafen von Kirchberg, die an Kreuzzügen teilnahmen, die aus dem Osten zu jener Zeit nach Europa (und dort vor allem nach Frankreich) gebrachten schwarzen Madonnen-Darstellungen kannten und dieses Bild der Marienverehrung übernahmen, weiß Wischenbarth nicht. Wahrscheinlich ist es.
Sicher ist er jedoch: Der Wechsel der Hautfarbe der Frau muss auf eine Stelle im biblischen Hohelied des Königs Salomon zurückgehen, in der eine Frau selbstbewusst von sich sagt „Nigra sum sed formosa“(„Schwarz bin ich, aber schön“). Grundsätzlich werden in der Wappenkunde Farben als nicht realistisch betrachtet. Vielmehr geht es um althergebrachte Bedeutungen.
Zu Lebzeiten der Kirchberger Grafen wurde diese alttestamentarische Bibelstelle häufig interpretiert, das christliche Mittelalter sah in der schönen Fürstentochter Sulamith Maria repräsentiert – was die tatsächlich existierende Wappendarstellung einer blonden Frau mit dunkler Haut erklären würde, ergäbe sich so eine Verbindung aus dem Marienbild im Heiligen Land und dem in Schwaben.
Die Kirchberger starben am Ende des Mittelalters aus. Besitznachfolger waren die Fugger – und im obersten Teil von deren Familienwappen
Einer Sage nach ist die Frau eine Strafe für einen Mord
Kreisarchivar ist sich sicher: „Das ist kein Rassismus“
steht eine schöne, schlanke dunkelhäutige Frau mit langem Haar und mit Bischofsmütze in höfischem Gewand. Wischenbarths Forschungen zum Landkreiswappen werden im Spätherbst im neuen Jahrbuch „Geschichte im Landkreis Neu-Ulm“erscheinen.
Und auch wenn unsicher ist, ob die auf dem Landkreiswappen dargestellte Frau die von den Kirchberger Grafen sehr verehrte Maria mit eben dunkler Haut meint und sich damit die Hohelied-Interpretation des Mittelalters im Wappen spiegelt. Oder ob die Frauendarstellung eine andere alttestamentarische Frauengestalt abbildet. So oder so. Eine Sache ist Wischenbarth zufolge völlig sicher: „Rassismus ist es ganz gewiss nicht!“, sagt der Kreisarchivar.