Mittelschwaebische Nachrichten
Eine Million Euro für den Augustiner-Keller
Als das Münchner Traditionslokal wegen Corona schließen musste, wollte die Versicherung nicht zahlen. Gastwirt Christian Vogler hat geklagt – und in erster Instanz gewonnen. Was das Urteil für andere Betriebe bedeutet
München Die Gastwirte gehören zu den großen Verlierern der CoronaKrise. Während des Lockdowns konnten sie keine Kundschaft mehr einlassen, bis heute dürfen sie nur eine überschaubare Anzahl von Gästen bewirten. Genau für solche Situationen hatten viele von ihnen mit einer Betriebsschließungs-Versicherung vorgesorgt – so dachten sie zumindest.
Aber als mit den Zwangsschließungen im Frühjahr mit den Gästen auch die Einnahmen ausblieben, wollten die meisten Versicherungen nicht zahlen. Viele Gastwirte haben dagegen geklagt – nun hat Christian Vogler, der Pächter des Münchner Augustiner-Kellers, vor Gericht den ersten Sieg davongetragen. Er soll gut eine Million Euro von der Versicherungskammer Bayern bekommen und spricht von einer Vorarbeit für andere Wirte, die sich keinen teuren Prozess leisten können.
Die meisten Vertragspartner dürften bei Vertragsabschluss Ereignisse wie einen Salmonellenbefall oder einen Gast mit einer gefährlichen, ansteckenden Krankheit im Sinn gehabt haben, woraufhin das Gesundheitsamt den Betrieb vorübergehend schließen würde. Mit einer vorsorglichen Schließung wegen einer Pandemie rechnete zumindest vor Corona wohl niemand, weswegen diese Möglichkeit in kaum einem älteren Vertrag ausdrücklich ein- oder ausgeschlossen ist.
Ist das Urteil zugunsten von Gastwirt Vogler richtungsweisend für ähnliche Fälle? Nur bedingt, vermutet Thomas Geppert, Geschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga: „Wir begrüßen das Urteil außerordentlich. Es ist ein wichtiges Signal.“Er erwarte, dass die Versicherungen nun ihre bisherige Haltung überdenken. Man müsse aber abwarten, ob das Urteil vor höheren Instanzen Bestand hat. Weil nicht alle Versicherungsverträge gleich sind, sieht Geppert im Münchner Urteil keine Vorlage für alle noch laufenden Verfahren: „Wir werden sehen, wie Gerichte
entscheiden, sie werden sicherlich auch unterschiedlich entscheiden.“
Einige Unklarheiten hat das Landgericht München I aber doch beseitigt. Zum Beispiel heißt es im Urteil, dass es keinen Corona-Fall unter Gästen oder Personal eines Gastbetriebs brauche, damit die Versicherung in Kraft tritt. Und wenngleich der Augustiner-Keller damals keine Gerichte zum Mitnehmen angeboten hat, hätte ein solcher Außerhausverkauf nicht verhindert, dass die Versicherung zahlen muss, wenn er „lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäft“ist. Die Versicherung muss auch nicht weniger Schadensersatz leisten, wenn der Betrieb Kurzarbeitergeld oder staatliche CoronaLiquiditätshilfen bekommen hat. Diese seien nämlich keine Schadensersatzzahlungen für die Betriebsschließung gewesen.
Einigen Betrieben hilft das freilich wenig: Sie haben bereits die 15-Prozent-Lösung in Anspruch genommen, die in anderen Bundesländern den Namen „bayerische Lösung“trägt. Gastwirte mit einer Betriebsschließungs-Versicherung konnten sich ab Anfang April zehn bis 15 Prozent des Schadens für maximal 30 Tage sofort von der Versicherung erstatten lassen, verzichteten damit aber automatisch auf alle weiteren Ansprüche. Sie können also nicht mehr vor Gericht ziehen. Der Lockdown dauerte aber deutlich länger als einen Monat: Am 21. März schloss die Gastronomie, der Außenbetrieb war erst am 18. Mai wieder erlaubt. Ab dem 25. Mai durften die Gäste wieder in den Gebäuden essen.
Die bayerische Dehoga hat selbst an der 15-Prozent-Lösung mitgewirkt, die von vielen Gastwirten und Politikern kritisiert wurde. Sprecher Geppert erklärt das so: „Die 15-Prozent-Lösung in Bayern war eine freiwillige Option für die Betriebe, die nicht langwierig klagen konnten, weil ihnen jetzt Liquidität fehlte. Es war immer klar: Der Rechtsweg ist offen.“
Seine Organisation habe damals empfohlen, dass jeder sich genau seinen Versicherungsvertrag anschauen solle, denn: „Es gibt nicht nur zwischen den Versicherungen deutliche Unterschiede, sondern auch innerhalb von Versicherungen viele verschiedene Vertragsausgestaltungen.“Wer mit seinem Vertrag vor Gericht Chancen auf Erfolg habe und finanziell lange genug durchhalten könne, der könne den Rechtsweg nehmen.
Durchhalten muss auch Christian Vogler: Die Million hat der Augustiner-Keller-Pächter noch nicht auf dem Konto. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Versicherungskammer Bayern lässt wissen: „Die Auffassung des Gerichts respektieren wir, können diese jedoch nicht teilen. Wir werden uns nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe sorgfältig mit diesen auseinandersetzen und die Möglichkeiten der Berufung nutzen.“
Die Versicherung rechnet sich offenbar gute Chancen auf ein für sie günstigeres Urteil am Oberlandesgericht aus. Eine Sprecherin sagt: „Urteile, die in den vergangenen Wochen in Deutschland zur Betriebsschließungs-Versicherung ergangen sind, zeigen starke Unterschiede in der Rechtsauffassung der jeweiligen Gerichte und Instanzen.“Zum Beispiel am Landgericht Kempten im Allgäu seien einem Gastwirt seine Forderungen an die Versicherung nicht gewährt worden. „Dies zeigt deutlich, dass aus dem erstinstanzlichen Urteil keine abschließenden und allgemeinen Schlussfolgerungen gezogen werden können, da jeder Einzelfall individuell zu bewerten ist.“
Wie die Urteile bei weiteren ähnlichen Streitigkeiten ausfallen werden, wird sich bald zeigen: Wie das Landgericht München I mitteilt, sind dort inzwischen 86 Klagen wegen Betriebsschließungs-Versicherungen eingegangen. Thomas Geppert rechnet allerdings erst in einem Dreivierteljahr mit einem Urteil des Oberlandesgerichts, falls eine Partei in Berufung geht.
„Wir begrüßen das Urteil außerordentlich. Es ist ein wichtiges Signal.“Thomas Geppert, Dehoga-Sprecher