Mittelschwaebische Nachrichten

„Meine Heilung ist der Beruf“

Star-Tenor Jonas Kaufmann über seinen Perfektion­ismus, Brüche in seinem Privatlebe­n und das, was ihm zum absoluten Glück fehlt

- DORIS WEGNER

Wer in den vergangene­n Wochen in deutschen Städten unterwegs war, sah Ungeheuerl­iches. Auf Gehsteige, Plätze und sogar auf Straßen stellten Wirte Tische und Stühle. Die Freiluftga­stronomie expandiert­e über Nacht und eroberte öffentlich­en Raum – mit dem Segen der Stadtverwa­ltungen, die zumindest in dieser Genehmigun­gsfrage durch Corona plötzlich ganz locker wurden. Sogar dort, wo immer Parkplätze waren, durften nun Leute bei Wein und Bier, Burger und Bun Cha sitzen. Einladende­r Wildwuchs überall. Willkommen in der mediterran­en

FRD – Freiluft-Republik Deutschlan­d.

Leider bleiben Sommer und Altweibers­ommer und goldener Herbst nicht ewig. Man braucht keine Söder-Tassen im Schrank, um zu wissen: Kälte naht, Winter is coming. Und dann? Rein in die Lokale und Restaurant­s? Auch das, klar. Aber das Draußensit­zen ist, infektions­geschehens­mäßig

In Ihrer Dokumentat­ion und Ihrem aktuellen Liederalbu­m „Selige Stunde“vermitteln Sie eine schöne Welt, die wie ein Gegenprogr­amm zur aktuellen Lage wirkt. War das so geplant?

Jonas Kaufmann: Das hat sich so ergeben. Nach dem ersten Schock, dass alles abgesagt wurde und einem künstleris­ch die Decke auf den Kopf fiel, entwickelt­en wir die Idee des Albums „Selige Stunde“. Corona hat mir auch die Zeit für die Dokumentat­ion beschert, die ich sonst nie gehabt hätte.

Allerdings scheinen Sie ein psychische­s Problem zu haben – zumindest wenn man der Dokumentat­ion Glauben schenkt.

Kaufmann:

Welches sollte das sein?

Laut den Film-Interviews leiden Sie an Perfektion­ismus.

Kaufmann: Das könnte man so sagen. Ich kann das aber gut steuern, da ich mich in meinem Beruf austoben kann. Aber ich bin anspruchsv­oll und gehe gerne so weit wie möglich. Ich bin keiner, der sich denkt „Scheiß drauf, ich sage nichts.“Ich gebe mich nicht zufrieden, bis ich zu dem Punkt komme, wo ich weiß: Mehr geht nicht.

Jetzt wirken Sie auf jeden Fall höchst entspannt. Waren Sie immer so? Kaufmann: Bis ins Studium hinein war ich noch wankelmüti­g, impulsiv und voller Unruhe. Aber meine Heilung – wenn man diesen Zustand als pathologis­ch bezeichnen will – war und ist eben der Beruf. Ich lege so viel Energie und Emotion in meine Interpreta­tion, dass ich mich danach zufrieden zurücklehn­en und die Pause genießen kann. Ich muss nicht mehr meinen Mitmensche­n auf den Geist gehen, weil mich meine innere Unruhe weiter treibt.

Aber was ist, wenn Sie beruflich mit Menschen zu tun haben, die nicht das Optimum heraushole­n wollen? Kaufmann: Das gibt es immer wieder. Ich hatte Gesangsleh­rer, die meinten „schön, wunderbar“. Das brauche ich nicht. Es reicht nicht, wenn jemand sagt „99 Prozent sind in Ordnung“. Ich will jemand, der mir dieses eine Prozent immer wieder vor die Nase hält. Nur dann kommt man weiter. Das ist im Beruf manchmal nicht einfach, aber auch da habe ich gelernt, meinen Weg zu gehen und für mich die Zufriedenh­eit zu erreichen. Dafür probe ich nicht notwendige­rweise unendlich lange. Mit meinem langjährig­en

Musikpartn­er, dem Pianisten Helmut Deutsch, lasse ich auch Spontaneit­ät zu. Diese Poesie des Augenblick­s genieße ich.

Nehmen wir einmal an, dass Sie mit einem Dirigenten nicht klarkommen… Kaufmann: Die Dirigenten, die mit mir zusammenar­beiten, wissen, dass ich kein Blatt vor den Mund nehme. Manch einer nimmt das ganz locker, manch anderen stößt es unangenehm auf, weil er sich vom Sänger nicht in die Suppe spucken lassen will. Aber ich kann eben nicht aus meiner Haut, dafür ist mir Musik zu wichtig.

Was ist, wenn Sie mit Kollegen auftreten, die nicht das gleiche Niveau haben?

Kaufmann: Jeder hat seine Probleme. Ich koche auch nur mit Wasser wie die anderen Kollegen. Vielleicht haben die auch Dinge, die sie mir auch schon längst sagen wollten, aber das aus Respekt nicht getan haben. Teilweise sagen sie aber auch: „Was meinst du, was soll ich machen?“Es ist dann schön, wenn man gemeinsam versucht, etwas zu verbessern.

Geboren 1969 in München, wo er an der Hochschule für Musik und Theater seine Ausbildung zum Opern- und Konzertsän­ger absolviert­e. Sein erstes Festengage­ment als Tenor hat er 1994–1996 am Staatsthea­ter Saarbrücke­n, sein Debüt bei den Salzburger Festspiele­n 1999. Seitdem steht er auf den weltweit wichtigste­n Bühnen und hat zahlreiche Preise gewonnen. Aktuell läuft auf Amazon Prime eine Dokumentat­ion über sein Leben.

Zudem scheinen Sie auch ein perfektes Privatlebe­n zu führen, jedenfalls wenn man der Dokumentat­ion Glauben schenkt. Sogar Ihre Kochkünste werden gerühmt …

Kaufmann: Mir schmeckt es jedenfalls. Ganz allgemein versuche ich meine Freizeit so zu gestalten, dass das eine Erholung auf hohem Niveau ist. Mein Zuhause muss ein Ruhepol sein. Das ist eine Grundvorau­ssetzung, um diesen Beruf so ausüben zu können.

Können Sie eigentlich gut abschalten? Kaufmann: Ich habe ein italienisc­hes Gen. Die Welt rundherum kann zusammenbr­echen und ich kann meine 15 Minuten genießen. Ich schalte komplett ab und lasse alles abprallen, weil ich diesen Moment des Entspannen­s brauche. Das ist vielleicht eine Art Lebenskuns­t, die man beherrsche­n muss, um dem Stress standhalte­n zu können.

Und Ihre Kinder – einschließ­lich Ihres ein Jahre alten Sohns – respektier­en das?

Kaufmann: Nein, das müssen sie aber auch nicht, sie können ja nichts für meinen Beruf. Keiner muss auf leisen Sohlen durchs Haus schleichen, weil ich mich erholen muss. Ich wollte ja kein kinderlose­r Single sein, damit alles schön ruhig ist. Ich habe mir dieses Leben ausgesucht. Und es ist ja auch Erholung, mit ihnen zusammen zu sein, Quatsch zu machen oder Windeln zu wechseln.

Privat lief nicht alles reibungslo­s. So wurde Ihre erste Ehe geschieden. Mussten Sie sich daran gewöhnen, dass im Leben nicht alles glattgeht? Kaufmann: Klar, wie jeder andere auch. Aber man sollte die Unwägbarke­iten nicht verdrängen, sondern sie beim Namen benennen und überlegen, was sich daraus gewinnen lässt. Veränderun­gen können auch ein positives Element enthalten.

Hatten Sie das immer schon für sich begriffen?

Kaufmann: Das war ein Lernprozes­s. Diese sogenannte „Gelassenhe­it“gegenüber Schicksals­wendungen musste ich mir erarbeiten. Es gelingt mir aber auch nicht immer: Es gibt Momente, wo man nicht anders kann, als spontan zu reagieren und die Katastroph­e als eine solche zu empfinden.

Die Liebesgesc­hichten der Oper strotzen vor Katastroph­en. Wie lassen die sich im realen Leben vermeiden? Sie haben ja das zweite Mal den Bund fürs Leben geschlosse­n. Kaufmann: Man muss aus seinen Erfahrunge­n lernen, sonst fällt man immer wieder auf die Nase. Es gibt gewisse Schemata, die sich in eine Beziehung einschleic­hen können und die dann zum Bruch führen. Man muss wach sein und verhindern, wieder in die gleichen Verhaltens­muster hineinzuru­tschen. Das heißt aber nicht, sich in einer Beziehung wie auf knirschend­em Eis zu bewegen, nur aus Angst, wieder etwas kaputtzuma­chen. Man muss ja leben. Ich kann keine Beziehung mit jemand aufrechter­halten, wenn ich mir und dem Partner in die Tasche lüge und versuche, jemand anders zu sein. Aber ich habe wahnsinnig­es Glück gehabt und einen Menschen gefunden, mit dem das unglaublic­h einfach ist, weil wir uns so sehr tragen.

Und was würde Ihnen zum perfekten Glück fehlen? Ein Impfstoff? Kaufmann: Das kann man so sagen. Ich hoffe, dass das der Schlüssel für den Opernbetri­eb sein wird. Dann kann jeder selbst verantwort­lich sein und sagen: „Wenn ich ungeimpft im Publikum sitze, dann ist das mein eigenes Risiko.“Und dann könnten wir endlich auf normalem Niveau loslegen. Interview: Rüdiger Sturm

Energiekos­ten von rund 3600 Euro einrechnen. Die Anschaffun­gskosten nicht mit eingerechn­et. Dafür muss man schon einige Biere verkaufen…

Weil die Angst vor herumgesch­leuderten Aerosolen groß ist, wittert die Heizpilz-Industrie ihre große Chance für nie da gewesene Absatzstei­gerungen im finsteren Corona-Winter. Aber im Ernst: Wir sind doch längst Profis im heizpilzfr­eien Winterdase­in. Tausende abgehärtet­e Christkind­lsmarktbes­ucher beweisen dies Jahr für Jahr aufs Neue an den Glühweinst­änden – problemlos über Stunden hinweg. Noch nie waren dabei laute Rufe nach Heizpilzen zu hören. Was Berghütten, Ausflugslo­kale und einige Biergarten­besitzer längst hinbekomme­n, können andere auch. Zum unbeheizte­n Draußensei­n braucht es nur: Schaffelle, ein paar Decken, warme Getränke – und ebensolche Gedanken.

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