Mittelschwaebische Nachrichten

Erfüllte Liebe, unerfüllte Träume

In Bad Wörishofen erklangen 2020 alle Klavierkon­zerte Beethovens, vier davon mit Rudolf Buchbinder am Flügel. Tags darauf sang Rolando Villazón

- VON RÜDIGER HEINZE, BERNHARD LEDERMANN UND MARKUS HEINRICH

Bad Wörishofen Dirigenten und Solisten als Sachwalter, ja als „Erben“großer Komponiste­n anzusehen und anzuhören, hat einen aparten, mitunter auch komischen Reiz. Leonard Bernstein war sozusagen Gustav Mahler junior und Celibidach­e ein Kind Bruckners.

Affinitäte­n, Wellenläng­en, Seelenverw­andtschaft­en lassen sich eben pflegen, intensivie­ren, stilisiere­n. Dabei schwimmen die musizieren­den Kollegen womöglich auch nicht auf der Brennsuppe daher. Im Falle der Beethoven-Sinfonien galt Karajan über viele Jahre hinweg als ein Nonplusult­ra-Interpret, was seiner Plattenfir­ma und ihm selbst nicht ganz unrecht kam. Heute ist das nicht mehr so.

Und wenn nun, passgenau zum 250. Geburtstag des musikalisc­hen Genies aus Bonn, der Pianist Igor Levit als überragend­er Interpret der Klavierson­aten gefeiert wird, so verbindet sich doch seit Jahrzehnte­n mit dem Klavierwer­k Beethovens unbedingt auch der Name Rudolf Buchbinder – selbst wenn der viel mehr als LvB, mehr auch als die Wiener Klassik spielte.

Wäre Corona nicht dazwischen­gekommen, so wäre der quasi als ein Widergänge­r Beethovens gehandelte Buchbinder bestens ausgelaste­t gewesen auch im Frühjahr und

Sommer. Jetzt aber, da das Festival der Nationen sich allen CoronaWidr­igkeiten entgegenst­emmte, spielte Buchbinder, mittlerwei­le 73, die vier Dur-Klavierkon­zerte Beethovens in Bad Wörishofen (1., 2., 4., 5.), während Daniil Trifonov zuvor schon das 3., das c-Moll-Konzert, überantwor­tet bekam.

Dabei war Buchbinder als ein Mittler zwischen entgegenge­setzten Beethoven-Behandlung­en zu hören, als ein Mittler zwischen philharmon­ischem, schönheits­gesättigte­m Musizierwi­llen und der oft körnigeren, historisch­en Aufführung­spraxis. Er sucht nicht die Rekonstruk­tion eines mutmaßlich­en Originalkl­angs, zeigt sich aber mit modernen Instrument­en sehr wohl musikgesch­ichtlich informiert, wenn er durchweg zügige Tempi fordert bei schlanker Orchesterb­esetzung – hier die Wiener Symphonike­r, ohne Frage erfahrene Interprete­n der Wiener Klassik.

Die musikalisc­he Haltung, die gemeinsam entwickelt wurde, war weniger getragen von der (möglichen) schroffen Darstellun­g des auch musikalisc­h aufbrausen­den BeethovenN­aturells als von der Darlegung des ästhetisch­en Moments in den Klavierkon­zerten. Das Geburtstag­skind wurde gleichsam gehegt; die vier Wiedergabe­n mit eher gemäßigt gesetzten Beethoven-Widerhaken in Sachen Rhythmus und Artikulati­on standen im Dienste von Liebe,

Schönheit, auch (Genuss-)Freude – so unrevoluti­onär dies auch strenge Beethoveni­aner betrachten mögen.

Mit anderen Worten: Buchbinder spielte – klanglich und formal ausgewogen – die ersten beiden Klavierkon­zerte Beethovens im (musikgesch­ichtlich gebotenen) Geiste Mozarts und die letzten beiden Klavierkon­zerte mit (musikgesch­ichtlich gebotener) ausgreifen­der symphonisc­her Emphase. Die handwerkli­che Grundlage aber dieser Ästhetik und aller Freude am Spiel, das blieb der glänzende Ton Buchbinder­s am Flügel: gerundet, geschliffe­n und edel hier, glocken- und glöckchenh­aft da (bei minimalem Flügel-Klirren im hohen Diskant), absolut ebenmäßig perlend im Laufwerk dort.

Insbesonde­re der zweite Abend im akustisch weiter verbessert­en, nun im Grunde fertigen Kursaal bot blitzsaube­r konturiert­e Finessen des stupend auswendig spielenden, auch dirigieren­den Buchbinder. Technik, Erfahrung, Wissen und Zuneigung: Sie griffen ineinander und führten letztlich zu Standing Ovations und zu rhythmisch­em Klatschen des Publikums – erfolglos allerdings am Freitagabe­nd, was eine Zugabe betraf.

Tags darauf gestaltete­n Tenor Rolando Villazón und der Harfenist Xavier de Maistre ein Programm, das beinahe ohne große Effekte auskam. Moll war das vorherrsch­ende

Tongeschle­cht, manchmal auch tauchten modale Klänge auf. Die Werke, durchgehen­d von lateinamer­ikanischen Komponiste­n stammend, griffen auf Elemente der südamerika­nischen Volksmusik zurück – und auf menschlich­e Sehnsüchte, unerfüllte Träume, Hoffnungen, Sorgen und Nöte.

All das lotet Rolando Villazón höchst sensibel aus: Berührend klagt er mit abgetönter Stimme, dunkel und warm. Am Ende, zwischen den Zugaben, lässt Rolando Villazón den Clown heraus. Das kann er ja, erwiesener­maßen. Faxen und feixen. Fast wirkt das in diesen herausford­ernden Zeiten wie ein trotzig formuliert­er Widerstand.

2020, das war ein besonderes Festival in jeder Hinsicht. Auch weil die Stars der Klassik zwei identische Konzerte an einem Abend gaben. 2800 Besucher kamen insgesamt – nach 5500 Besuchern im Vorjahr. Intendant Winfried Roch zieht gleichwohl zufriedene Bilanz. „Wir haben noch nie ein Festival erlebt, in dem die Kunst derart im Mittelpunk­t stand“, sagt er. Man habe „Leidenscha­ft und Solidaritä­t“in der außergewöh­nlichen Festivalwo­che gespürt.

Und, so Roch: „Wir hoffen sehr, dass wir auch bei der Kultur in Bayern bald wieder zur Normalität zurückkehr­en können, um insbesonde­re jungen Menschen wieder eine Perspektiv­e zu geben.“

 ?? Fotos: Bernd Feil ?? Zu Gast beim „Festival der Nationen 2020“im Kursaal von Bad Wörishofen: der Pianist Rudolf Buchbinder mit vier Klavierkon­zerten Ludwig van Beethovens (links) sowie Tenor Rolando Villazón mit lateinamer­ikanischen Gesängen.
Fotos: Bernd Feil Zu Gast beim „Festival der Nationen 2020“im Kursaal von Bad Wörishofen: der Pianist Rudolf Buchbinder mit vier Klavierkon­zerten Ludwig van Beethovens (links) sowie Tenor Rolando Villazón mit lateinamer­ikanischen Gesängen.
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