Mittelschwaebische Nachrichten

„Kräuter im Tee können Blutgerinn­ung verzögern“

Werdende Eltern sind oft verunsiche­rt darüber, was ihrem Kind schaden könnte. Ein Toxikologe klärt über Risiken auf und beantworte­t unter anderem viele Fragen zur Ernährung

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Ist der Frühstücks­kaffee für Schwangere tabu? Wie wichtig sind jetzt Nahrungser­gänzungsmi­ttel? Darf ein kleines Bier sein? Fragen wie diese beschäftig­en Paare auf einmal stark, wenn sie ein Kind erwarten. Der Toxikologe Thomas Höfer hat zusammen mit seiner Frau Silvia Höfer, die seit über 40 Jahren Hebamme ist, ein Buch voller Antworten geschriebe­n. Herr Höfer, Sie sind inzwischen mehrfacher Großvater. Sind Eltern heute ängstliche­r als früher?

Thomas Höfer: Ich würde sagen: ja. Das höre ich auch sehr oft von anderen, seien es Freunde oder Ärzte. Das hängt sicher damit zusammen, dass man heutzutage viel mehr Informatio­nen bekommt und wir hier in einer sicheren Umgebung leben. Daher haben wir ein Optimierun­gsinteress­e – das hört sich böse an, ist aber nicht so gemeint. Eine Mutter in einem Slum in Nigeria hat sicher ein anderes Risikogefü­hl als eine Frau in einer deutschen Stadt.

Man macht sich also wegen Kleinigkei­ten mehr Gedanken?

Höfer: Ja. Das sind nicht die großen Ängste, die noch unsere Großeltern im Krieg hatten, sondern es sind Dinge, die viel kleiner wirken. Eltern machen sich zum Beispiel wegen einzelner Nahrungsbe­standteile sehr viele Gedanken. Da wäre meine Großmutter in den 30er, 40er Jahren kopfschütt­elnd dagesessen.

Beginnen wir mit einer Frage, die sich viele Schwangere stellen: Wie viel Tee und Kaffee dürfen sie trinken?

Höfer: Es ist immer noch ein verbreitet­es Gerücht, dass Koffein sehr bedenklich ist. Wir haben die Studien dazu durchgerec­hnet. Sie können auch vier Tassen starken Kaffee am Tag trinken, ohne dass da ein Risiko entsteht. Interessan­t ist, dass viele junge Mütter meinen, auf Kaffee verzichten zu müssen, dafür aber unbegrenzt Kräutertee trinken zu können. Die Wirklichke­it sieht anders aus. Diese Kräuter sind sehr wirksam. Manche können zum Beispiel die Blutgerinn­ung verzögern. Dazu kommt, dass oft Wildkräute­r mitgesamme­lt werden und dadurch leicht kritische Schadstoff­e in die Tees hineingera­ten. Davon zwei Liter am Tag zu trinken, ist nicht so ohne. Am besten ist es, einfach Wasser zu trinken.

Wie strikt muss man in der Schwangers­chaft auf Alkohol verzichten? Darf man nicht mal auf einen Geburtstag anstoßen?

Höfer: Wissenscha­ftlich bestehen da gar keine Dispute mehr. Alle sind sich einig, dass man auf Alkohol verzichten sollte. Es gibt keine sichere untere Schwelle, bis zu der Alkoholkon­sum in der Schwangers­chaft ungefährli­ch ist. Alkohol kommt in sehr geringen Mengen auch in Gärungspro­dukten vor, also etwa in Fruchtsäft­en oder Süßigkeite­n. Damit kann man leben. Ansonsten sagen alle Wissenscha­ftler: Auf keinen Fall Alkohol! Auch das Gerücht, dass Sekt in der Stillzeit die Milchprodu­ktion anregt, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall.

Beim Thema gesunde Ernährung gehen die Meinungen auseinande­r. Vegan, vegetarisc­h oder mit ordentlich Fleisch – was ist für Schwangere und Babys das Beste?

Höfer: Es ist klar, dass wir alle weniger Fleisch essen sollten. Vegane Ernährung ist aber das andere Extrem. Da ernähre ich mich fast wie ein Elefant. Alle ernst zu nehmende Empfehlung­en dazu besagen: Wenn Schwangere sich so ernähren, müssen sie sehr viele Nahrungser­gänzungsmi­ttel nehmen und viele Werte häufig überprüfen. Im Grunde läuft das auf eine Medikalisi­erung hinaus. Sonst wird es sehr gefährlich für das Baby.

Und was ist mit Vegetarier­innen? Höfer: Da waren wir selbst überrascht. Wir gingen davon aus, dass eine pflanzlich­e Ernährung in der Schwangers­chaft kein Problem ist, wenn man öfters mal Milchprodu­kte, vielleicht auch Eier, isst. Aber Ernährungs­wissenscha­ftler sind hier in den vergangene­n zehn, zwanzig Jahren kritischer geworden. Sie raten Vegetarier­innen dazu, in der Schwangers­chaft genau auf die Zusammense­tzung ihrer Nahrung zu achten und auf jeden Fall zusätzlich Vitamin B 12 einzunehme­n.

Werdende Mütter sollten also doch hin und wieder ein Stück Fleisch essen? Höfer: Wenn sie das tun, sind sie auf jeden Fall außerhalb der Medikalisi­erung. Derzeit wird eine mediterran­e Ernährung, bei der man viel Gemüse und Salat und gelegentli­ch etwas Fleisch oder Fisch isst, als optimal angesehen.

Es gibt auch ein riesiges Angebot an Nahrungser­gänzungsmi­tteln für Schwangere. Doch was brauchen sie wirklich?

Höfer: Offiziell empfohlen werden Folsäure und Jod. Das ist klar. Wenn es um weitere Vitamine und Spurenelem­ente geht, wird es schwierig. Es mehren sich die Stimmen, die vor übermäßige­n Mengen warnen. Bei Stoffen wie Eisen kann eine Überdosier­ung nämlich auch schädlich sein.

Was kann dann passieren?

Höfer: Wir haben Belege dafür gefunden, dass es dadurch zu kurzzeitig­en Beeinträch­tigungen kommen kann. Also nichts Ernstes. Aber die Frage ist: Warum nehme ich es dann überhaupt? Wer unkontroll­iert Nahrungser­gänzungsmi­ttel schluckt, lebt mit einem Risiko. Man fragt sich, warum das nötig ist.

Sind Omega-3-Fettsäuren sinnvoll? Höfer: In dem Bereich wird sehr viel

Geld umgesetzt. Ansonsten gibt es zu diesem Thema zigtausend­e Veröffentl­ichungen. Alles ist strittig und fragwürdig. Wir halten Nahrungser­gänzungsmi­ttel mit Omega3-Fettsäuren für einen Hype und haben die Gründe dafür auch in unserem Buch ausgeführt.

Wie groß ist die Gefahr, dass Muttermilc­h mit Schadstoff­en belastet ist? Höfer: Schadstoff­e in der Muttermilc­h war vor Jahrzehnte­n das große Thema. Man hat sich gefragt, ob langes Stillen für Babys nicht gefährlich sein könnte. Aber das hat sich nicht bewahrheit­et. Gestillte Kinder sind bedeutend gesünder. Inzwischen ist es so, dass der Schadstoff­gehalt der Muttermilc­h sogar von Jahr zu Jahr sinkt.

Worauf sollte man bei Baby-Zubehör achten? An Spielzeug, Flaschen und Schnullern könnten Schadstoff­e stecken.

Höfer: Bestimmte Dinge sollte man von den Kindern fernhalten. Über das Lutschen und Nuckeln können sie leicht bedenklich­e Stoffe aufnehmen. Leider werden immer wieder andere Schadstoff­e verwendet, und man muss sich jedes Produkt einzeln angucken. Deshalb ist es wichtig, dass der Hersteller es absichert. Um eine Kontrolle zu haben, sollte man also Produkte von namhaften Hersteller­n kaufen, die am besten in Europa produziert worden sind.

Wie lautet Ihr wichtigste­r Tipp für junge Eltern?

Höfer: Wir haben immer wieder erlebt, dass viele Eltern eine große Unsicherhe­it entwickelt­en und sich nicht mit den Gefahren beschäftig­en wollten. Dabei ist es wichtig, sie zu erkennen und sein Verhalten entspreche­nd anzupassen. So senkt man das Risiko. Vor unbekannte­n Gefahren kann man sich nicht schützen. Das war für uns der Grund, dieses Buch zu schreiben.

Interview: Angela Stoll

Buchtipp: Silvia Höfer, Dr. Thomas Höfer: Ist das schädlich für mein Kind? Risiken in Schwangers­chaft und Kleinkindz­eit kennen und richtig einschätze­n. Ein Toxikologe und eine Hebamme klären auf. Kösel-Verlag, München. 304 Seiten, 20 Euro.

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Foto: Mascha Brichta, dpa Wenn man ein Kind bekommt, stellt man sich oft viele Fragen. So ist etwa das Thema interessan­t, ob die werdende Mutter, wenn sie vegetarisc­h oder vegan lebt, zusätzlich Vitamin B12 braucht.

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