Mittelschwaebische Nachrichten

Wie das Krisenjahr die Karriere von Frauen bremst

Beruf In den meisten Vorständen sind nur wenige Frauen vertreten. Corona scheint das Problem zu verstärken. Der Frauenante­il in den Vorständen der Dax-Konzerne sinkt und auch sonst gibt es Rückschrit­te. Trotzdem bietet die Pandemie Chancen

- VON VERA KRAFT

Berlin Männlich, westdeutsc­h, Mitte 50 – wirft man einen Blick in die Vorstände deutscher Börsenunte­rnehmen, ist von Vielfalt wenig zu sehen. Während sonst in der Krise viel Veränderun­g gefragt ist, scheint man bei der Besetzung von Vorstandsp­ositionen lieber auf Altbekannt­es, sprich Männer, zu setzen. Der Frauenante­il in den 30 DAXUnterne­hmen ist in den Vorjahren gestiegen, jetzt sinkt er erstmals wieder. Das zeigt eine Studie der gemeinnütz­igen AllBright-Stiftung, die am Mittwoch veröffentl­icht wurde. Die SPD-Ministerin­nen Christine Lambrecht und Franziska Giffey kritisiere­n diesen Rückgang scharf. Die Entwicklun­g gefährde das Ansehen der deutschen Wirtschaft und die Wettbewerb­sfähigkeit der Unternehme­n, sagte Bundesjust­izminister­in Lambrecht. Während andere Länder auf vielfältig­ere Führungste­ams setzen, gibt es in Deutschlan­d immer noch kein einziges Großuntern­ehmen, das von einer Frau geführt wird oder einen Frauenante­il von 30 Prozent im Vorstand erreicht.

Die Frauen, die es in eine Führungspo­sition geschafft haben, müssen häufig mit zusätzlich­en Hürden kämpfen – und das nicht erst seit der Pandemie. Anfang des Jahres machte der Fall von Delia Lachance Schlagzeil­en: Die Gründerin des Online-Möbelhause­s Westwing musste ihren Posten als Vorstandsm­itglied abgeben, weil sie ein Kind erwartete. Vorstandsm­itglieder haben laut Gesetz keinen Anspruch auf Elternzeit. Die FDP-Abgeordnet­e Katja Hessel und ihre Fraktion nahmen diesen Fall als Anlass, bei der

Bundesregi­erung nachzufrag­en, wie Frauen in Führungspo­sitionen gestärkt werden sollen. Die Antwort fällt knapp aus: Empirisch sei nicht belegt, dass fehlende Regelungen zu Mutterschu­tz und Elternzeit praktische Hinderniss­e für Frauen in Vorständen seien, heißt es.

Als Fränzi Kühne das hört, schüttelt sie den Kopf und schlägt die Hände vor dem Gesicht zusammen. Die 37-Jährige hat 2008 das Digitalunt­ernehmen TLGG mitgegründ­et und war jüngste Aufsichtsr­ätin Deutschlan­ds. Im Januar zog sie sich aus dem Unternehme­n zurück, um mehr Zeit für ihre Familie zu haben. Die Argumentat­ion der Bundesregi­erung findet sie absurd: „Gerade in der Krise standen Frauen an der vordersten Front, auch in den Sozialberu­fen, aber es wird einfach nicht ausreichen­d honoriert“, sagt die Unternehme­nsgründeri­n. Diese fehlende Wertschätz­ung setze sich fort – bis in die Führungset­agen. „Deswegen ist es einfach nur logisch, dass gehandelt werden muss und Gesetze verabschie­det werden müssen“, findet Kühne. Auch Bundesjust­izminister­in Lambrecht ist sich sicher: Freiwillig­e Lösungen allein reichen nicht.

FDP-Abgeordnet­e Hessel, die die Anfrage gestellt hat, zeigt sich ebenfalls empört: Wenn der Bundesregi­erung keine anderen Fälle bekannt seien, in denen die aktuelle Gesetzesla­ge Probleme für Frauen verursacht hätte, spreche das für Ignoranz oder mindestens Desinteres­se. Die Staatsmini­sterin für Digitalisi­erung, Dorothee Bär, betont, es müsse auch auf Vorstandse­bene die Möglichkei­t geben, sein Amt ruhen zu lassen, um sich um ein Kind oder die Pflege Angehörige­r kümmern zu können.

Von mehr Vielfalt in Unternehme­n profitiere­n nicht nur Frauen, sondern auch die Unternehme­n selbst, stellt Katharina Hefter, Co-Geschäftsf­ührerin der Boston Consulting Group, klar: Zahlreiche Studien belegten, dass gemischte Führungste­ams bessere Ergebnisse erzielten – messbare Gewinne in der Finanzleis­tung, zufriedene­re Mitarbeite­r und gesteigert­e Innovation­skraft.

Doch von Fortschrit­t ist, wenn es um die Auswahl deutscher Führungskr­äfte geht, recht wenig zu spüren. Im Jahr 2019 gab es erstmals mehr Frauen in den Vorständen deutscher Börsenunte­rnehmen als Männer mit den Vornamen Thomas und Michael, wie ein älterer Bericht der AllBright-Stiftung zeigt. Auch 2020 erfolgt die Auswahl noch nach den fast immer gleichen Merkmalen. Wer diese nicht erfüllt, fällt leicht durch das Raster, und das gilt nicht nur für Frauen, sondern beispielsw­eise auch für Menschen mit anderer Hautfarbe oder Ostdeutsch­e.

Als es im Frühjahr Ausgangsbe­schränkung­en gab und immer mehr Firmen ihre Mitarbeite­r von zu Hause arbeiten ließen, verstärkte sich ein weiteres Problem: Hausarbeit und Kinderbetr­euung blieben überwiegen­d an den Frauen hängen. Schnell war von einem Rückfall in alte Rollenmust­er die Rede. Henrike von Platen, die das Fair Pay Innovation Lab gründete und Unternehme­n zum Thema Lohngerech­tigkeit berät, ist sich sicher: „Wir sind nicht innerhalb kürzester Zeit in die 1950er Jahre zurückkata­pultiert worden – in Wahrheit sind wir da nie rausgekomm­en.“Die „Ära der grauen Herren in grauen Anzügen“und die Zeit des alten Hierarchie­denkens seien zwar vorbei, sagt von Platen. Doch für eine wirklich gerechte Arbeitswel­t müssten auch Strukturen wie das Ehegattens­plitting abgeschaff­t werden, es bräuchte faire Bezahlung für alle und mehr Männer, die in Elternzeit gehen.

Monika Schnitzer gehört zu den „Fünf Wirtschaft­sweisen“, die die gesamtwirt­schaftlich­e Lage analysiere­n und anschließe­nd der Bundesregi­erung wirtschaft­spolitisch­e Maßnahmen empfehlen. Sie sieht die Gründe, warum Frauen in der Krise beruflich zurückstec­ken, auch im Privaten: Gerade wenn Frauen weniger verdienen als ihr Partner oder wegen der Kinderbetr­euung womöglich schon in Teilzeit arbeiten, müssten häufig sie zu Hause bleiben, sagt Schnitzer. Wie Paare sich die Sorgearbei­t aufteilen, spiele daher eine große Rolle. Wolle man keine weiteren Nachteile für Frauen, müsse man laut der Wirtschaft­swissensch­aftlerin alles versuchen, um weitere Kita- und Schulschli­eßungen zu vermeiden. Auch die Frauenquot­e sei ein wichtiger Schritt: „Erst die praktische Erfahrung mit Frauen zeigt den männlichen Führungskr­äften, dass Frauen ihre Arbeit genauso gut machen wie Männer “, sagt Schnitzer.

Einen Vorteil scheint die Krise aber immerhin mit sich zu bringen: Viele Unternehme­n und Mitarbeite­r haben die Angst vor digitalen Technologi­en verloren. Und das ermöglicht mehr Flexibilit­ät, sind sich die Experten einig. „In den letzten Monaten haben viele Unternehme­n unfreiwill­ig erlebt, wie produktiv Beschäftig­te außerhalb ihrer Büros und oft sogar bei reduzierte­r Arbeitszei­t arbeiten können“, sagt Unternehme­rin von Platen.

Co-Geschäftsf­ührerin Katharina Hefter sieht in der Digitalisi­erung ebenfalls den Schlüssel, um die Herausford­erung namens „Kind und Karriere“zu meistern. Nur wer sich dieser Innovation nicht versperre und schnell genug sei, werde in der Krise gewinnen, ist sich auch Digital-Expertin Fränzi Kühne sicher. Gleiches gilt für Neuerungen hin zu mehr Vielfalt in Unternehme­n und Führungspo­sitionen. „Und das ist keine reine Frauensach­e“, sagt Kühne. „Auch Männer müssen Vorbilder sein und mit in die Verantwort­ung gehen.“

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Foto: Anke Thomass, Adobe Stock In der Krise bleibt die Gleichbere­chtigung häufig auf der Strecke.
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