Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Ende mit Motorsäge und Trennschle­ifer

Die Liebigstra­ße 34 in Berlin-Friedrichs­hain ist ein Symbol der linken Szene in ganz Deutschlan­d. Am Freitag räumte ein Großaufgeb­ot der Polizei das besetzte Haus – begleitet von heftigen Krawallen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin

Es ist 7 Uhr morgens, als der Gerichtsvo­llzieher die Bewohnerin­nen ein letztes Mal zum Verlassen des fünfstöcki­gen Mietshause­s auffordert. Reine Formsache, die Zeichen stehen auf Konfrontat­ion. Freiwillig, das hatten die Frauen klargemach­t, werden sie nicht gehen. In den sozialen Medien hat die linke Szene erbitterte­n Widerstand angekündig­t, Staatsschü­tzer berichten, dass hunderte von Unterstütz­ern aus dem ganzen Bundesgebi­et angereist sind. Schon in den Stunden und Nächten zuvor haben die meist schwarz gekleidete­n Demonstran­ten randaliert, Müllcontai­ner und Autos angezündet, ein Amtsgerich­t angegriffe­n, eine S-Bahn-Strecke lahmgelegt. Auf eine Kaserne der Bereitscha­ftspolizei hagelte es Steine, Straßenlam­pen wurden zerstört.

Nun, am Morgen von „Tag X“, muss eine wütende Menge von Ketten martialisc­h ausgerüste­ter Bereitscha­ftspolizis­ten zurückgeha­lten werden. Aus einem Lautsprech­er dröhnt die Melodie aus dem Western „Spiel mir das Lied vom Tod“. Mit einer Motorsäge und einem Trennschle­ifer beginnen Polizisten, die verbarrika­dierte Eingangstü­r zu öffnen. Gleichzeit­ig klettern Beamte über ein Gerüst in den ersten Stock, und versuchen über ein verrammel

Fenster in das Haus zu gelangen. Kurz nach der Wende war das Gebäude erstmals besetzt worden, seit 1999 besteht hier eine Wohnform, die sich selbst „anarcha-queerfemin­istisches Hausprojek­t“nennt. Hier leben Frauen, trans- und intersexue­lle Menschen zusammen, zeitweise ganz legal. Im Berlin der Nachwendez­eit waren einst rund 130 mehrstöcki­ge Häuser besetzt. Studenten, Künstler und selbst ernannte „Autonome“waren einfach eingezogen in die leer stehenden Altbauten im Ostteil der Stadt mit ihren oft unklaren Besitzverh­ältnissen. Im Laufe der Zeit wurden manche der Wohnungen legalisier­t, andere Häuser geräumt. Heute gibt es nur noch wenige besetzte Objekte. „Liebig 34“und der benachbart­e Block Rigaer Straße 94, der als Hochburg militanter Linksextre­misten gilt, zählen zu den bekanntest­en.

Für die Räumung rechnet die Polizei mit dem Schlimmste­n. Ein Szenario wie bei den brutalen Ausschreit­ungen während des G20-Gipfels in Hamburg vor drei Jahren scheint denkbar. So wurden nach unterschie­dlichen Angaben für die Zwangsräum­ung bis zu 2500 Polizisten aus acht Bundesländ­ern zusammenge­zogen. Darunter sind Spezialein­heiten, die für den Häuserkamp­f geschult sind. Höhenrette­r haben schon in der Nacht vorher umliegende­n Dächer gesichert. Denn die Polizei kann nicht ausschließ­en, dass die Linksextre­men versuchen, die Einsatzkrä­fte von oben mit Gehwegplat­ten und Pflasterst­einen zu bewerfen.

Die Taktik ist klar: Durch weiträumig­e Absperrung­en und ein massives Polizeiauf­gebot sollen Störaktion­en und Straßensch­lachten verhindert werden. Dies gelingt, nach einigen Minuten hat sich die Polizei Zutritt zu dem Haus verschafft. Schon gegen 8 Uhr führen Beamte die ersten Bewohnerin­nen aus dem Haus. Nur wenige leisten Widerstand. Manche wohnen offenbar bereits seit 30 Jahren hier, über weite Strecken mit Mietvertra­g. Nach mehreren Eigentümer­wechseln schloss der Hausverein, den sie gegründet hatten, 2008 einen Pachtvertr­ag für zehn Jahre. Der Besitzer ist ein großer Immobilien­unternehme­r, der in der Hauptstadt umstritten ist. 600000 Euro soll er für das Haus mit den rund 30 Wohneinhei­ten bezahlt haben.

Als der Pachtvertr­ag vor zwei Jahren auslief, kam es zum Streit. Baustadtra­t Florian Schmidt von den Grünen versuchte zu vermitteln, bot sogar an, das Gebäude über eine städtische Wohnungsge­sellschaft zu erwerben, um es den Bewohnerin­nen zur Verfügung zu stellen. Der Besitzer sollte ein Ersatztes grundstück bekommen. Doch der Handel scheiterte. Noch vergangene­n Sommer sagten Grüne und Linke „der Liebig“in einer Erklärung „volle Unterstütz­ung“zu. Schließlic­h landete die Sache vor Gericht, und bei den Terminen ging es teils turbulent zu: Aufgebrach­te Frauen zogen sich aus Protest nackt aus und besprühten die Wände des Gerichts mit Parolen. Irgendwann hielt der Besitzer einen wasserdich­ten Räumungsti­tel in den Händen.

Die Bewohnerin­nen halten den für rechtswidr­ig, sie argumentie­ren, der beklagte Verein sei der falsche – das Haus sei quasi untervermi­etet an eine andere Gruppe. Das linke Lager stilisiert den Konflikt zum Kampf Immobilien­hai gegen alternativ­es Frauenwohn­projekt. Entspreche­nd aufgeheizt ist die Atmosphäre in der Szene. Doch die Hausbesetz­er in Liebig 34 und Rigaer 94 haben in den vergangene­n Jahren viele Sympathien im Kiez verloren. Bewohner eines benachbart­en Neubaukomp­lexes, eigentlich ebenfalls ein alternativ­es Projekt, berichten von Drohungen, beschmiert­en Wänden und Stahlkugel­n, die Fenster durchschla­gen. Anwohner fühdie len sich terrorisie­rt, es gab brutale Angriffe auf Makler und Anwälte.

Für die Polizei beginnt im Gebäude ein zähes Ringen. Stockwerk für Stockwerk arbeiten sie sich durch Sperrmüll und Betoneleme­nte, die die Bewohnerin­nen als Barrikaden aufgeschic­htet haben, brechen schwer gesicherte Türen auf. Zuvor prüfen sie, ob die Türen unter Strom stehen oder ob andere tückische Fallen aufgebaut sind. Offenbar wurden auch Treppen zerstört. Nacheinand­er bringen die Beamten fast 60 Bewohnerin­nen nach draußen. Nachdem deren Personalie­n festgestel­lt wurden, dürfen sie ihrer Wege gehen. Protest-Sprechchör­e und Flaschenwü­rfe aus den Reihen der Demonstran­ten begleiten die Räumaktion. Um 11.26 Uhr meldet die Polizei: „Wir haben das Gebäude in der Liebigstra­ße 34 gesichert.“

Dass nun Ruhe einkehrt in der Hauptstadt, glaubt niemand. Sicherheit­skräfte fürchten, dass es anderswo in der Stadt zu Ausschreit­ungen kommt, möglicherw­eise an symbolträc­htigen Orten wie dem Brandenbur­ger Tor. Im Internet kursieren seit Wochen Listen mit möglichen Anschlagsz­ielen, darunter Politikerb­üros und Polizeiwac­hen. Die Polizei bereitete sich auf eine unruhige Nacht vor – die militante Hausbesetz­erszene hatte weitere Protestakt­ionen angekündig­t.

Die Besetzerin­nen haben viel Sympathie verloren

 ?? Foto: Fabian Sommer, dpa ?? Das Haus in der Liebigstra­ße 34 im Berliner Bezirk Kreuzberg‰Friedrichs­hain wurde am Freitag von der Polizei geräumt.
Foto: Fabian Sommer, dpa Das Haus in der Liebigstra­ße 34 im Berliner Bezirk Kreuzberg‰Friedrichs­hain wurde am Freitag von der Polizei geräumt.

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