Mittelschwaebische Nachrichten

„Harte Drogen werden stark verharmlos­t“

Sucht Kokain ist in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen, sagt Daniela Ludwig, Drogenbeau­ftragte der Bundesregi­erung. Was sie nun tun möchte

- Interview: Christian Grimm

Frau Ludwig, nach Europa und damit auch Deutschlan­d schwappt eine große Kokainwell­e. Das berichten Fahnder aus allen Ländern des Kontinents. Wie stark beunruhigt Sie das als Drogenbeau­ftragte der Bundesregi­erung?

Mich beunruhigt das sehr stark. Zumal es sich um keine einmalige Welle handelt. Wir erkennen in den letzten Jahren einen deutlichen Trend bei den Konsumdeli­kten, den Handelsdel­ikten und bei den Sicherstel­lungen. Wir gehen daher von einem Trend aus, den man nicht ignorieren kann.

Daniela Ludwig:

Woran liegt es, dass mehr Koks nach Europa und Deutschlan­d gelangt?

Es liegt an der Armut in den Herkunftsl­ändern wie zum Beispiel in Kolumbien, die wir trotz unserer erfolgreic­hen Entwicklun­gspolitik nicht in den Griff bekommen. Und es liegt daran, dass Drogen ein großes Geschäft für die Organisier­te Kriminalit­ät sind. Es handelt sich hier nicht um den kleinen Dealer am Görlitzer Park in Berlin. Drogenpoli­tik muss im Kontext der Organisier­ten Kriminalit­ät gesehen werden – inklusive Geldwäsche und Zwangspros­titution. Damit lässt sich unheimlich viel Geld machen. Es ist so lukrativ, dass die Kartelle

Ludwig:

U-Boote bauen und einsetzen. U-Boote – das muss man sich einmal vorstellen. Wir dürfen bei der Bekämpfung dieser Kriminalit­ät nicht nachlassen. Repression ist eine zentrale Maßnahme, muss aber den ganzen Komplex erfassen. Das Innenminis­terium sieht dies übrigens genauso. Wir wollen darauf einen deutlichen Schwerpunk­t legen. Für mich ist jedes Gramm Drogen, das die Straße nicht erreicht, ein Erfolg.

Die Kartelle agieren so internatio­nal und profession­ell wie Unternehme­n, die Polizei muss an Landesgren­zen stoppen. Das kann doch nicht klappen …

Die europäisch­e Zusamsogar

Ludwig:

menarbeit funktionie­rt sehr gut. Wir müssen aber noch enger zusammenar­beiten. Die Schleierfa­hndung ist in Bayern hinter der Grünen Grenze erfolgreic­h unterwegs. Sie kontrollie­ren die richtigen Autos. Warum nicht irgendwann darüber nachdenken, ob das ein Modell für Europa wäre? Zur Wahrheit gehört auch, dass Polizei und Zoll nicht alles abfangen können.

Wer nimmt Kokain?

Früher war Kokain die Droge der Reichen und Schönen. Inzwischen ist es eine Droge, die in der Breite der Gesellscha­ft angekommen ist. Kokain ist nicht günstig. Es ist eine Droge der Leistungst­räger. Aber auch Menschen mit Migrations­hintergrun­d, die nicht so viel verdienen, müssen immer wieder stationär behandelt werden. Wir haben es mit einer heterogene­n Konsumente­nschicht zu tun – anders als bei Heroin oder Ecstasy.

Ludwig:

In Berlin und Frankfurt hat man den Eindruck, Koks zu nehmen sei mittlerwei­le fast so normal wie das Rauchen eines Joints oder ein paar Drinks am Abend …

Das zeigt, wie stark mittlerwei­le auch harte Drogen in Deutschlan­d verharmlos­t werden. Das ist für mich ein Punkt, der echt gefährlich ist. Wir haben es hier mit Drogen zu tun, die einen ungleich höheren Wirkungsge­halt haben als noch vor zehn Jahren. Das gilt für Kokain, für Heroin, für Cannabis und für die neuen psychoakti­ven Stoffe. Die Menge von vor zehn Jahren reichte schon, um einen umzuhauen mit schwersten gesundheit­lichen Folgen. Das muss wieder in die Köpfe.

Ludwig:

Sie wollen nicht, dass Kokain zur Volksdroge wird und haben konkrete

Gegenmaßna­hmen angekündig­t. Wie steht es darum, wie sieht es aus?

Im ersten Quartal werden wir eine Studie machen, um herauszufi­nden, wer genau Kokain nimmt. Das hört sich einfach an, aber es ist nicht trivial. Denn die Konsumente­n tun ja etwas Illegales und werden nicht freizügig erklären, dass sie koksen. Aber wir brauchen die Ergebnisse, um richtig ansetzen zu können. Ein Beispiel: Obwohl möglicherw­eise auch mal ältere Schüler koksen, ergibt es wahrschein­lich keinen Sinn, an die Schulen zu gehen, weil es sich wegen des Preises nur wenige Schüler leisten können. Kokain ist außerdem eine Droge der Metropolen, nicht zwingend der ländlichen Regionen. Das macht auch einen Unterschie­d.

Ludwig:

Für Drogenpräv­ention sind die Länder zuständig. Wie kriegen Sie da Ihre Ideen auf die Straße?

Man kriegt sie dort auf die Straße, wo der Druck groß ist. Ich kann mir kein Bundesland vorstellen, das sich präventive­n Maßnahmen verweigert, wenn es ein echtes Problem gibt. Es käme dann in Erklärungs­not. Bei Crystal Meth haben wir ja gesehen, dass vor allem Bayern und Sachsen reagiert haben.

Ludwig:

Kann man aus dem Kampf gegen die Chemiedrog­e Crystal Meth Lektionen auf das Kokainprob­lem übertragen?

Wir haben uns bei Crystal auch zunächst angeguckt, wer die klassische­n Konsumente­n sind. Wir haben dann festgestel­lt, dass wir uns zum Beispiel auf junge Frauen konzentrie­ren müssen, die stark Crystal konsumiert haben. Es gab deshalb einen Prävention­sstrang, der sich an werdende Mütter gerichtet hat, um denen zu sagen, welche Folgen das für das ungeborene Kind hat. Es gab

Ludwig:

auch eine App, wo man den eigenen Konsum eingetrage­n hat und die einen animiert hat, weniger zu nehmen. Und wir sind an die Schulen gegangen, was aber bei Kokain nicht sinnvoll sein dürfte.

Sie wollen auch Suchtkrank­e besser unterstütz­en, damit sie leichter einen Weg aus der Abhängigke­it finden. Wie kann das gelingen?

Das klappt nicht durch politische Anordnung. Ich will intensiv darüber reden, dass Sucht eine Krankheit ist. Wir müssen davon wegkommen, dies als persönlich­es Versagen zu werten nach dem Motto: Du bist ja selbst schuld. Wenn wir das schaffen, werden sich mehr Süchtige Hilfe suchen, weil sie sich nicht mehr schämen müssen. Das gilt auch für ihre Familien, die ja in eine Co-Abhängigke­it geraten und die Sucht oft über Jahre decken.

Ludwig:

Ist es zeitgemäß, dass der Besitz von Haschisch als Straftat verfolgt wird?

Ich wäre ja zunächst einmal schon froh, wenn die Bundesländ­er einheitlic­he Besitzgren­zen hätten, bei der von einer Strafverfo­lgung abgesehen werden kann. Die Mehrheit hat sechs Gramm, Berlin hat 15 Gramm. Ich bin für sechs Gramm. Ich habe außerdem Sympathie dafür, Erstdelinq­uenten, die mit einer kleinen Menge Cannabis erwischt werden, nicht mit der Strafrecht­skeule zu kommen. Die meisten Verfahren werden sowieso eingestell­t. Es wäre sinnvoller, dies als Ordnungswi­drigkeit zu behandeln und ein Bußgeld zu verhängen. Man könnte dann noch sagen, du kannst dir das Bußgeld sparen, wenn du in eine verpflicht­ende Beratung gehst. Wenn wir viele Konsumente­n vom Konsum wieder wegbringen wollen, ergibt das Sinn. Es gibt sogar das bundesweit­e Modellproj­ekt Fred, das genau dies zum Inhalt hat. Polizisten sagen mir, das wirkt viel besser.

Ludwig:

Werden Union und SPD das noch anpacken bis zur Bundestags­wahl?

Die Koalition wird das sicher nicht machen, weil wir uns im Koalitions­vertrag nicht darauf verständig­t haben. Das wird in dieser Legislatur­periode nichts mehr.

Ludwig:

Eine generelle Freigabe von Hanf steht demnach auch nicht auf Ihrer Agenda?

Keinesfall­s. Dazu ist es zu gefährlich. Die Wirkstoffk­onzentrati­on ist heute viel höher als früher.

Ludwig: Daniela Ludwig

ist seit September 2019 Drogen‰ beauftragt­e der Bundesre‰ gierung und koordinier­t die Fachpoliti­k des Bundes.

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Archivfoto: Daniel Reinhardt, dpa Mit großer Besorgnis verzeichne­n die Behörden einen starken Anstieg des Drogenschm­uggels in die Europäisch­e Union.

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