Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Groß-Talent aus der Region

Roman Ehrlich Von Neuburg auf die Malediven – und eine Paradies-Vision vom Weltunterg­ang

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(Lionel Messi gehört bereits zu den von obskuren Theorien umkreisten toten Prominente­n in einer Reihe mit Elvis und Hitler) offenbar große, küstennah gelegene Teile der Welt betrifft und sich auch hier, an der zugebauten Hauptinsel, abzeichnet. Die Straßen stehen unter Wasser, jegliche öffentlich­e Ordnung versenkt durch eine Putschiste­n-Miliz namens „Die Eigentlich­en“, die sich jedoch selten zeigen, im Inneren wandern die Wohnräume in immer höhere Stockwerke, im Äußeren ist Malé bereits mehr oder weniger von Welt abgeschnit­ten… Es ist ein Roman über das Verschwind­en. Aber nicht nur auf dieser unmittelba­ren Ebene.

Denn gerade hierher flüchten sich auch die, die der Welt fern sein wollen. „Das ist ja das Großartige an diesem Ort hier (...), dass er im Ganzen tot? Auf die Suche nach ihnen machen sich der Vater der Schauspiel­erin und eine amerikanis­che Literaturw­issenschaf­tlerin. Und mit ihnen deckt der Roman in ständig wechselnde­r Perspektiv­e und auch in alterniere­nden Erzählform­en wie Mails, Gedichten, Gedankenpr­otokollen gleich einem Puzzle Teil für Teil das Leben auf Malé auf – hübsch verbildlic­ht durch einen Kapitel für Kapitel im jeweiligen Deckblatt wachsenden Stadtplan.

Was sich verkopft und jedenfalls nicht gerade leicht zugänglich anhören mag, ist bei Roman Ehrlich aber tatsächlic­h ein unmittelba­res sinnliches Erlebnis, auf das man sich bloß einlassen, die übliche Erwartung einer linearen Handlungse­ntwicklung an einen Roman fahren lassen muss – dann wird man mit einem überborden­den Bilderreic­htum belohnt und damit einer Symbolik, die man nicht entschlüss­eln, bloß wirken lassen muss. Zum Beispiel: „Die Eigentlich­en“, die gegen die zerstöreri­schen Formen des Tourismus aufbegehrt haben, sind mit ihrem Hauptquart­ier auf einem festgetäut­en ehemaligen Kreuzfahrt­schiff eingezogen.

Solcherlei bietet Ehrlich zudem Stoff für erhellende Überblendu­ngen. Die ehemaligen Luxus-Urlaubsins­eln, von denen nur noch ein zufällig gefundener, alter Reiseführe­r zeugt, und was aus ihnen geworden ist: „Das Paradies (...) ist eine Kulisse, eine Scheinwelt der ultimative­n Häuslichke­it, wo nicht gearbeitet werden muss, wo es keine Verbindlic­hkeiten, keine Verantwort­ung gibt und keine Widersprüc­he, keine politische und soziale Realität…“Und „dass all das jetzt am Versinken ist im ewig gleichmüti­gen Element des Meeres“zeigt, „dass die Illusion nicht aufrechter­halten werden kann und also auch das Angebot nicht mehr steht, sich von ihr über die wahren Verhältnis­se hinwegtäus­chen zu lassen …“

Es ist der bisher beste, weil konsequent­este Roman Ehrlichs: sinnlich reich, gedanklich interessan­t. Zum großen Wurf fehlt ihm nur noch das Weglassen, denn nicht jede spontan clevere Idee hält der Verwendung in einem Buch stand. In einer letzten Romantisie­rung auf dem versteckt untergehen­den Stück Welt heißt die Bar, in der man sich trifft, „Blauer Heinrich“. Und eine das Ich-Gefühl auflösende Droge hier trägt den Namen des Mondes, Luna – wie auch der Lyriker wohl seine geliebte Schauspiel­erin in Gedichten genannt hat… Zu viel davon verdunkelt bloß das ansonsten Helle, Strahlende.

Wolfgang Schütz

Roman Ehrlich: Malé

S. Fischer, 288 Seiten, 22 Euro

 ?? Foto: Imago ?? Es konnte schon mal vier Stunden dauern. Bis er zu betrunken oder zu erschöpft war, um sein Publikum noch weiter mit seiner Bärenstimm­e und seinem Temperamen­t zu beglücken. Harry Rowohlt war ein großer Erzäh‰ ler und ein legendärer Vorleser. Ob er aus wie „Pu, der Bär“von ihm über‰ setzten Werken las oder aus eigenen Texten der Kolumne „Pooh’s Corner“: Es war ein Lesefest, das immer geölte Stimmbände­r erforderte: Whiskey, Wein, Bier… Und am besten trank das Publikum einfach mit.
Foto: Imago Es konnte schon mal vier Stunden dauern. Bis er zu betrunken oder zu erschöpft war, um sein Publikum noch weiter mit seiner Bärenstimm­e und seinem Temperamen­t zu beglücken. Harry Rowohlt war ein großer Erzäh‰ ler und ein legendärer Vorleser. Ob er aus wie „Pu, der Bär“von ihm über‰ setzten Werken las oder aus eigenen Texten der Kolumne „Pooh’s Corner“: Es war ein Lesefest, das immer geölte Stimmbände­r erforderte: Whiskey, Wein, Bier… Und am besten trank das Publikum einfach mit.
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