Mittelschwaebische Nachrichten
Hut ab, Elke!
Plauderei über Kleider und Leute
Da ist zum Beispiel diese weinrote Samtjacke. Nicht irgendeine, sondern die … Aus „Lesen!“. Die Literatursendung wurde abgesetzt, doch die rote Samtjacke gibt es noch. Und Elke Heidenreich trägt sie besonders gerne bei Lesungen. Ein Lieblingsstück also. Nicht alle Kleidungsstücke haben das Zeug zum ständigen Begleiter, manche aber werden sogar Teil der eigenen Biografie. Der Hut etwa, mit dem sich Elke Heidenreich für ihr erstes Buchmanuskript belohnt hatte. Ein aufsehenerregendes Modell mit Federn, in Lugano in der Schweiz erstanden. Zur Feier des Tages ein Foto in einem Automaten: „Hier sehen Sie die neue Vielleicht-Schriftstellerin.“
Viele Bücher sind den „Kolonien der Liebe“bekanntermaßen gefolgt, gerade ist ihr jüngstes erschienen. „Männer in Kamelhaarmänteln“heißt es und steckt voller fein geplauderter Erinnerungen, Gedanken, Anekdoten und Miniaturen über Kleider und Leute. Darin kann man auch das Foto mit dem Federhut bewundern.
Ein Buch über Kleider von der Literaturpäpstin? Wer hätte das gedacht. Als Schriftstellerin, Kritikerin, Moderatorin kennt man sie. Oder gar als die legendäre Putzfrau Else Stratmann, die in gemusterter Kittelschürze, einem um den Kopf geknoteten Tuch und mit RuhrpottSchnauze urkomisch, das Weltgeschehen kommentierte. Nicht aber als Stilikone. Aber Elke Heidenreich wäre nicht Elke Heidenreich, wenn sie dies nicht selbstironisch in ihrem Buch immer wieder anklingen lassen würde. In der Anekdote über ihre Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen etwa. Sie wusste nicht, dass ihr Auftritt live übertragen werden würde. Ein Drama. Keine gescheite Frisur, kein ProfiMake-up und dann auch noch das alte Abendkleid ihrer Mutter. „Es war von 1935, schwarze Seide mit weißen Punkten und es hatte auf dem Rücken Mottenlöcher, aber ich liebte dieses Kleid.“Die Rede gelang trotz großem Lampenfieber, doch das Urteil zweier Festspielbesucherinnen fiel, wie sie später auf der Toilette mithören konnte, ernüchternd aus: „Die Heidenreich, g’scheit ist sie ja schon.“Aber „fesch ist sie nicht“, so die andere. Wieder die andere: „Nein, das stimmt, fesch ist sie nicht ...“
Aber die 77-Jährige erzählt fesche Kleidergeschichten und blickt gleichzeitig unterhaltsam zurück auf ihr Leben. Ihre Kindheit in Essen, ihr Vater, der stets Kamelhaarmantel trug, sie schreibt über modische Irrungen und Wirrungen. Über Verrücktheiten, wie die Bestattung ihres geliebten Katers, das Vorbild für ihren Buchhelden Nero Corleone, in einem nie getragenen UngaroAbendkleid, schwarz mit roten Rosen. Oder über Kleider, die man einfach besitzen muss, obwohl man beim Kauf genau weiß, dass man sie niemals tragen wird. Das graue, federleichte etwa aus Samt und Seide. Aus Venedig. In Größe 34. „Es ist wie ein Bild, ein Kunstwerk, ich will es einfach nur ansehen.“Seit Jahren ist es Anschauungsobjekt „an einem schönen alten Paravent aus dem 19. Jahrhundert“.
Und es geht um Männer, Liebhaber und Charles Schumann, Stilikone, der in blütenweißer Schürze beim Kartoffelschälen mehr Ausstrahlung habe als einer, der im Lamborghini dahergefahren kommt. „Das Einfache muss man können, das Aufgeblasene kann jeder.“Geistreich sind ihre Episoden. Und ganz ohne Literatur und Kunstsinnigkeit geht es bei Elke Heidenreich sowieso nicht. Manchmal wünscht man sich ihre Schnodderschnauze im Ohr, weil man genau wüsste, welchen Charme sie ihren Kleidergeschichten verpassen würde. Etwa wenn sie über die verheerend unerotische Wirkung von Goldknöpfen an Männerjacketts sinniert. Doris Wegner