Mittelschwaebische Nachrichten
Mann, Mann, Mann
Andreas Steinhöfel Fabelhaft, wie der Autor die „Rico, Oskar“-Reihe beendet
Gut möglich, dass Zehnjährige demnächst in der Stadtbibliothek ganz neues Terrain erobern und in dem Regal stöbern, in dem die Liebes-Romane von Hedwig Courths-Mahler stehen. Dann haben sie zuvor wahrscheinlich Andreas Steinhöfels „Rico, Oskar und das Mistverständis“gelesen, den fünften und nun leider definitiv letzten Band der wunderbaren, vielfach ausgezeichneten Reihe um zwei Berliner Jungs, die dicke Freunde sind. Der eine, Rico, ein Kind mit ADS, „dem ein paar Sachen aus dem Gehirn fallen, und man weiß nie, an welcher Stelle“, wie der Junge im ersten Band beschrieben wird. Der andere, Oskar, ein Schlaumeier, hochbegabt, aber im täglichen Leben etwas umständlich und ängstlich. Zusammen sind sie ein tolles Team, das haben sie in den vier Vorgänger-Bänden hinreichend bewiesen, als sie gemeinsam Kriminalfälle lösten.
Im fünften Buch ist ihre Freundschaft einer großen Bewährungsprobe ausgesetzt, vielleicht der größten, die eine Jungen-Freundschaft erschüttern kann: der Liebe. Rico ist verknallt in Sarah und Oskar ist eifersüchtig. Also gehen die beiden getrennte Wege. „Mann, Mann, Mann“ist für Rico in solchen Situationen zum geflügelten Ausruf geworden, denn gerade jetzt wäre dieses starke Team gefordert: Das Hinterhof-Grundstück, das sie und ihre „Gang“zum Spielplatz erkoren haben, ist in Gefahr. Die Frau in Rot, die in Rico Erinnerungen an „Dracula“-Filme weckt, will das Grundstück verkaufen und ein Immobilienspekulant, ihr Großneffe, soll ihr dabei helfen. Zuerst muss sie aber ihren seit Jahrzehnten verschollenen Bruder, den Mitbesitzer des Grundstücks, für tot erklären lassen. Wenn man den finden und überreden könnte, bei diesem Geschäft nicht mitzumachen, meint Rico in seiner geradlinigen Logik, dann wäre der Spielplatz gerettet. Doch wegen dieses großen „Mistverständnisses“, das Rico und Oskar entzweit, muss nun jeder für sich in Aktion treten. Rico in einem Dorf in der hessischen Provinz, in das die Spur des abgängigen Bruders führt. Oskar in Berlin, wo er den unsauberen Geschäften des Immobilienmaklers auf die Schliche kommt.
Dumm nur, dass Rico bisher ja der Erzähler der gemeinsamen Abenteuer war. Andreas Steinhöfel greift deshalb zu einem literarischen Kniff: Rico, der versierte Tagebuch-Schreiber, wird nun selbst zum Romanautor und schreibt die Erlebnisse seines Freundes, von denen er später erfährt, nieder. Hier kommt nun die eingangs erwähnte „Kurzmaler“, wie Rico sie nennt, ins Spiel: Der Roman im Roman, typografisch und farblich abgehoben vom Rest des Buches, ist im Stil der Schmonzetten der Schriftstellerin geschrieben – „mit vornehmer Sprache und edlen Figuren“, wie sich Rico vornimmt. Draufgebracht hat ihn die Lektüre von „Griseldis“, die er während der Zugfahrt nach Hessen gelesen hat und von der er begeistert war. So entstehen „Oscars kapitale Abenteuer“, die in Berlin im Jahr 1907 spielen, wo sich der Junge zwischen Pferdefuhrwerken und Gaslaternen bewegt.
Andreas Steinhöfel verwebt diese beiden Handlungsstränge und Erzählstile ohne Bruch und vermittelt seinen jungen Lesern gleichzeitig die Vielfalt literarischen Schreibens. Manchmal ist das herausfordernd, auch komplexer als in den vorherigen Bänden, ein großer Spaß (bestimmt auch für den Autor) ist es allemal. Noch dazu weil Steinhöfel es nicht bei der Referenz auf CourthsMahler belässt. Das Buch durchzieht ein Spiel mit Anspielungen auf eigene Werke sowie Kinderklassiker wie „Heidi“, „Jim Knopf“und – naheliegend – „Emil und die Detektive“. Aber keine Angst vor literarischer Überforderung. Auch wer bei diesem Spiel nicht mitmachen kann, wird seine Freude an diesem vielschichtigen Kinderbuch haben. Denn „Rico, Oskar und das Mistverständnis“ist in erster Linie eine großartige, mit speziellem Humor und Sympathie für die Figuren geschriebene Freundschaftsgeschichte, in der keiner Angst haben muss, wegen seines Andersseins verurteilt zu werden. Sogar die Dracula-Frau kommt am Schluss noch gut weg.
Birgit Müller-Bardorff