Mittelschwaebische Nachrichten
Vier Frauen faszinieren
Über Beauvoir, Arendt, Weil, Rand
Er hat es wieder getan. Erst im vergangenen Jahr landete der Philosoph Wolfram Eilenberger einen Welterfolg mit dem Buch „Zeit der Zauberer“, in dem er die Jahre zwischen 1919 und 1929 im Leben und Denken von vier Geistesgrößen reflektiert hat, vier Männern: Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin, Ernst Cassirer und Martin Heidegger. Mit „Feuer der Freiheit“nun schreibt er das Prinzip fort. Diesmal nimmt er 1933 bis 1943 in den Blick und kontrastiert dafür vier große Frauenfiguren jener Zeit: Simone de Beauvoir und Hannah Arendt, Simone Weil und Ayn Rand. Ist ihm ein ebenso großer Wurf gelungen?
Nicht ganz. Weil Eilenberger im Vergleich einerseits szenisch manches fehlt – es gibt etwa keine direkte Konfrontation wie das Gigantentreffen zwischen Cassirer und Heidegger zur Davoser Disputation. Und weil andererseits das reine, erzählerisch unergiebige Rekapitulieren der historischen Ereignisse mehr
Platz einnehmen muss – die Machtergreifung der Nazis, die beginnende Juden-Verfolgung, die Eroberung von Paris, aber auch der Umsturz in der Sowjetunion, denn das alles war ja entscheidend für Denkund Lebenswege von der in die USA flüchtenden Arendt, der ebenfalls dorthin auswandernden Rand, von der in den Krieg drängenden Weil, der in den Cafés von Saint-Germaindes-Prés aufgescheuchten Beauvoir.
Doch ansonsten nämlich hat der 48-jährige Autor wieder alles richtig gemacht: Vier sehr gut gewählte Figuren, jede an sich spannend in Leben, Schaffen und Denken – und im wechselnden, kontrastierenden Erzählen über diese lassen sich Grundfragen des Daseins verhandeln, die damals zentral waren, bis heute philosophisch und politisch relevant geblieben, wenn nicht sogar aktuell von besonderer Brisanz sind. Zum Beispiel: die Frage des Verhältnisses zwischen ich und wir, dem Einzelnen und der Gesellschaft.
Ayn Rand (1905–1982), noch als Alissa Rosenbaum aus der UdSSR emigriert und sich in jenen Jahren in den USA mit aller Macht den Traum einer Karriere als Roman- und Theaterautorin erfüllend, ist da eindeutig: Es zählt allein das Individuum. Und im Aufkeimen von Sozialismus und Faschismus sieht sie die ultimative Bedrohung für das Ich durch den weltweiten Zug zum Kollektivismus. Ähnlich scheint Simone Weil (1909–1943) den Einzelnen gegen solche Vereinnahmungen zu verteidigen, bis hin zum Streit mit Trotzki. Doch Rand denkt atheistisch, libertär, geradezu visionär turbo-kapitalistisch, verehrt Nietzsche: die Vergöttlichung des Menschen; Weil dagegen liest die Bibel, sieht den Menschen mit individueller Würde als Abbild Gottes, aber damit auch bis zur Selbstaufgabe in dessen Dienst – und kämpft selbst bis zur tödlichen Entkräftung gegen die Nazis, für die Schwachen …
Und die prominenten Simone de
Beauvoir (1908–1986) und Hannah Arendt (1906–1975) erleben beide zunächst Jahre der Verlorenheit im Ich, der Einsamkeit, die Französin als Lehrerin in der Provinz, im fernen Arrangement mit Sartre, die Deutsche im amerikanischen Exil, fern mitleidend am Holocaust. Und beide (von Hegel inspiriert) finden darüber zum eigenen Schreiben und einem neuen Wir: Beauvoir in ihrer eigenen Mischung aus Emanzipation, freien Liebe und Existenzialismus, Arendt im aufklärerischen Engagement und der Hingabe (zwischen Heidegger und Augustinus).
Das ist von den Charakteren und der Sache her spannend und wird von Eilenberger gut komponiert und kurzweilig erzählt. Launigkeiten inklusive: „‚Wenn die Weltgeschichte nicht so beschissen wäre, wäre es eine Lust zu leben‘, ein Leitsatz Hannah Arendts, mit dem auch Ayn Rand sich lebenslang hätte identifizieren können…“Wieder ein sehr gutes Buch also. Wolfgang Schütz