Mittelschwaebische Nachrichten
Punk, Ehe und Fußball
Die Leidenschaften des Toten-Hosen-Sängers
Ob er nicht mal ein Buch schreiben wolle? Als Campino vor einem Jahr im Gespräch mit unserer Redaktion erstmals über ein Ende der Toten Hosen nachdachte, wirkte die Antwort auf diese Frage nach einer anderen Betätigung noch verhalten: Für jemanden, der sich für seine Musik eh mit Textschreiben beschäftige, stehe das natürlich irgendwie in Aussicht, irgendwann …
Aber schwupps, schon ist’s passiert. Wohl hat die Corona-Pause vom Konzert-Geschäft beigetragen. Sicher jedenfalls war es nicht Campinos Bedürfnis, der Welt mitzuteilen, dass er inzwischen heimlich geheiratet, das ihn zum Schreiben gedrängt hat – auch wenn das nun die meisten Schlagzeilen macht, da er auf 350 Seiten auch mal von „meiner lieben Frau“spricht. Und es ist kein etwaiger Ausstieg nach bald 40 Jahren an der Spitze einer der erfolgreichsten deutschen Bands, dass er nun die Bilanz eines Rock-‘n’-RollLebens ziehen wollte – auch wenn dazu unweigerlich einiges zu lesen ist: „Wir hatten gerade zugesagt, mit den Rolling Stones im Müngersdorfer Stadion zu spielen, waren nur noch auf Tour, saßen dauernd im Fernsehen rum und konnten uns endlich leisten, das ungesunde Speed durch Kokain zu ersetzen.“
Falls es Fragen über die Rangfolge der Lieben des 58-Jährigen gibt: „Mein Leben lang führe ich einen analogen Kalender, und ich kann mir nicht vorstellen, das jemals zu ändern. Halbjährlich bekomme ich eine frische Version vom Büro ausgedruckt, in die ich als Allererstes mit ritueller Liebe den Spielplan von Liverpool eintrage. Danach erst folgen meine eigenen beruflichen Termine.“Liverpool = FC Liverpool = Fußball! Darum heißt das Buch „Hope Street“, weil er immer in einem Hotel in dieser Straße wohnt, wenn er zu Heimspielen anreist. Darum lautet der Untertitel „Wie ich einmal englischer Meister wurde“, weil der Klub dies in der vergangenen Saison nach Jahrzehnten wieder geschafft hat, weshalb die Spiele auch das Gerüst fürs Buch liefern.
Natürlich, Campino zitiert die Liverpooler Trainerlegende Bill Shankly: „Einige Leute halten Fußball für einen Kampf um Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich versichere Ihnen, dass es viel ernster ist.“Und er drückt auch selber auf die Tube: „Fußballspiele können als Gegenpol zur sozialen Isolation dienen, die das Internet und die Welt der Computer mit sich bringen. Manche Momente im Stadion hinterlassen ein bleibendes Gefühl, das noch Jahre später abrufbar ist (...). Nur das gemeinsam Erlebte ist wirklich geschehen, der Rest ist auf Dauer wertlos.“Aber Spaß und Pathos beiseite: Ist das interessant?
Außer für eine Gruppe, die Toten-Hosenund Fußball-Fans ist, aber den FC Bayern nicht mag? Gegen den hat die Band in einem Song Stellung bezogen, was Uli Hoeneß poltern ließ: „Die Toten Hosen?
Das ist der Dreck, an dem unsere Gesellschaft mal ersticken wird.“– Und Campino jetzt hinzufügen lässt: „Es gehört zu den schönsten Dingen, die je über uns gesagt wurden.“
Aber sonst? Ja, interessant, wie aus dem in Düsseldorf geborenen Andreas Frege der Liverpool-Liebhaber geworden ist. Weil darin die Familiengeschichte aufgehoben ist: Die Mutter eine Britin, die es wagte, nach dem Krieg einen Deutschen zu heiraten; ihr Vater, der es vom Arbeiterkind bis ins Parlament schaffte; und ihr Sohn, der als eines von sechs Kindern am englischen Vorbild des Punkrock zum Star in Deutschland wurde und zum Brexit nun auch die britische Staatsbürgerschaft annimmt – Campino! Alles, was eigentlich wichtiger und interessanter ist als Fußball. Bloß bleibt es hier befremdlich untergeordnet. Und vor allem: Mehr als hinschreiben tut Campino das letztlich alles nicht, kein Fluss, kein Zug, kein Stil drin. Schade. Wolfgang Schütz