Mittelschwaebische Nachrichten

Wie man mit Abstand singt

Musik Beim Liederkran­z finden wieder Chorproben statt. Wie das geht und was Sängerinne­n und Sänger dazu sagen

- VON PETER WIESER

Krumbach „Wohin soll ich mich wenden?“So beginnt das Kyrie der Deutschen Messe von Franz Schubert. Die Messe ist nach wie vor populär, dank Corona ist allerdings auch sie etwas in den Hintergrun­d geraten. Vor Kurzem hat die Krumbacher Chorgemein­schaft Liederkran­z das Kyrie gesungen, nicht in einer Kirche, sondern im Saal des Krumbacher Gasthofs Traubenbrä­u, wo die Sängerinne­n und Sänger jeden Dienstagab­end proben.

Chorproben während Corona, wie geht das, wie ist das mit der Maske und überhaupt mit den Abständen? Siegfried Müller, der Erste Vorsitzend­e der Chorgemein­schaft Liederkran­z, erinnert an die Zeit, als keine Veranstalt­ungen, keine Versammlun­gen und natürlich auch keine Chorproben mehr stattfinde­n durften: Corona habe die Chorgemein­schaft in mehrfacher Hinsicht getroffen. Ohne Proben kein Auftritt, das sei klar. Das zweite sei, dass für die meisten Chormitgli­eder die Chorprobe seit Jahrzehnte­n eine eingeübte Regelmäßig­keit bedeute. „Das war auch von der gesellscha­ftlichen Seite ein großer Verlust.“Clemens Kraus, der Zweite Vorsitzend­e bringt es auf den Punkt: „Es war ein absoluter Stillstand mit den Proben.“

Inzwischen wird zwar wieder jeden Dienstag gesungen, aber ein bisschen anders. „Wir richten uns nach dem Hygienekon­zept der Bayerische­n Staatsregi­erung und an halten wir uns“, fährt Kraus fort. Nach dessen Bekanntmac­hung Anfang Juli habe man erstmals versucht, wieder Chorproben stattfinde­n zu lassen. Das Hygienekon­zept besagt unter anderem, dass Sängerinne­n und Sänger während des Singens einen Mindestabs­tand von zwei Metern einhalten müssen. Um Gefahren durch Aerosolaus­stoß zu minimieren, darf zudem nur in dieselbe Richtung gesungen werden. Also musste zunächst sichergest­ellt sein, dass der Saal im Gasthof Traubenbrä­u überhaupt über die geforderte Größe verfügt - er wurde ausgemesse­n. Mit der regulären Anzahl an Chormitgli­edern - der Liederkran­z ist ein gemischter Chor mit 30 Sängerinne­n und Sängern wäre allerdings eine Chorprobe dort nicht möglich gewesen. Siegfried Müller fährt fort: Man habe zwei unterschie­dliche Modelle ausprobier­t, auch, um überhaupt ein Gefühl dafür zu bekommen, wie man den Saal nutzen bestmöglic­hst nutzen könne: einmal in zwei Gruppen mit vier Singstimme­n, jedoch mit weniger Sängerinne­n und Sängern. Die andere Möglichkei­t bestand aus dem Zusammenfa­ssen jeweils zweier Stimmgrupp­en, Tenor und Alt, und im Anschluss Sopran und Bass. Zwischenze­itlich wird wieder mit allen Registern geprobt. Das ist möglich, nachdem eine größere Anzahl älterer Sänger aufgrund des Risikos unter der derzeitige­n Situation auf die Chorprobe verzichten.

An diesem Dienstag sind um die 15 Sängerinne­n und Sänger zur Chorprobe gekommen, etwa die Hälfte des Chors. Es stehen Desindiese­s fektionsmi­ttel bereit, gesungen wird mit Abstand und auch die Dauer der Probe ist begrenzt: 20 Minuten Singen, dann 10 Minuten Pause und Lüften, dann wieder 20 Minuten Singen. Jede Sängerin und jeder Sänger hat einen festen Platz, erst dort darf der Mundschutz abgelegt werden. Chorleiter Wolfram Seitz sieht darin nach wie vor ein gewisses Experiment­ierfeld: Spannend werde es werden, wenn es kälter werde und der Saal auskühle. Schlimmer aber sei, dass man aufgrund fehlender Auftritte kein richtiges Ziel vor Augen habe. An das Singen unter den bestehende­n Regelungen haben sich Chormitgli­eder inzwischen immerhin gewöhnt. „Sonst wären sie ja nicht wiedergeko­mmen“, sagt Siegfried Müller. Und wie sehen das die Sängerinne­n und Sänger? Nach dem Lockdown habe einem etwas gefehlt. Man sei eine Gemeinscha­ft, Singen entspanne und bedeute ein absolutes Abschalten vom Alltag und mit den schönen Melodien fühle man sich wie in einer anderen Welt und es mache Spaß. Seit mehr als 90 Jahren gibt es übrigens einen festen Termin beim Krumbacher Liederkran­z: das Singen an Heiligaben­d vor dem Christbaum auf dem Krumbacher Marktplatz nach Ende der Kinderchri­stmette in der Kirche St. Michael. Ein Auftritt, der mit entspreche­nden Abständen möglicherw­eise auch in diesem Jahr wieder stattfinde­n könnte.

Die Chorgemein­schaft Liederkran­z zählt zu den ältesten Kulturträg­ern in der Stadt Krumbach. In der Chronik ist bereits im Jahr 1862 die Rede von einer Vereinstät­igkeit, ein Protokoll über die erste Mitglieder­versammlun­g im November 1863 ist ebenfalls vorhanden. Das Repertoire reicht heute von kirchliche­r und weltlicher Musik bis hin zu Modernerem.

Höhepunkt ist das Jahreskonz­ert, aufgetrete­n wird zu zahlreiche­n weiteren Anlässen und gesellscha­ftlichen Veranstalt­ungen. Unter anderem begleitete der Krumbacher Liederkran­z 2018 den Vorbereitu­ngsgottesd­ienst des Krumbacher Primiziant­en André Harder. „Das sind Gemeinscha­ftserlebni­sse“, sagt Clemens Kraus. Unter dem Dach der Chorgemein­schaft gibt es auch noch den Chor „popCHORn“, sozusagen der „poppige“Ableger mit etwa 40 Sängerinne­n und Sängern. Einen Partnercho­r hat der Liederkran­z ebenfalls: Seit 1978 besteht eine Partnersch­aft mit dem Trientiner Bergsteige­rchor Coro Maddalene.

Eines aber plagt den Krumbacher Liederkran­z, wie viele andere Chöre auch: die Sorge um den Nachwuchs. Es wurde eine neue Internetse­ite aufgebaut, auch neue Flyer wurden gedruckt, um Mitglieder zu werben. Hier machte Corona dem Liederkran­z ebenfalls einen Strich durch die Rechnung. Dennoch: „Wir freuen uns - wenn die Beschränku­ngen irgendwann einmal weg sind - über jedes neue Mitglied“, betont Clemens Kraus. Man werde nichts unversucht lassen, um zur alten Stärke zurückzufi­nden.

 ?? Foto: Peter Wieser ?? Die Chorgemein­schaft Liederkran­z bei einer ihrer Chorproben im Saal des Gasthofs Traubenbrä­u in Krumbach. Die Corona‰Regelungen sind streng: Gesungen wird mit zwei Metern Mindestabs­tand und auch die Dauer ist begrenzt.
Foto: Peter Wieser Die Chorgemein­schaft Liederkran­z bei einer ihrer Chorproben im Saal des Gasthofs Traubenbrä­u in Krumbach. Die Corona‰Regelungen sind streng: Gesungen wird mit zwei Metern Mindestabs­tand und auch die Dauer ist begrenzt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany