Mittelschwaebische Nachrichten

Hedwig Lachmann und eine „spannende“Krumbacher Begegnung

Die Großnichte der Lyrikerin und Übersetzer­in ist in Krumbach zu Gast. Eine Begegnung, die auch eine Annäherung an Hedwig Lachmanns Lebensleis­tung ist

- VON PETER BAUER

mal für die 1938/39 zerstörte Hürbener Synagoge.

Krumbach „Das Bildnis des Dorian Gray“: Oscar Wildes 1891 erschienen­er Roman ist bis heute ein Klassiker der Weltlitera­tur. Veronika Schmidtke-Sieben blättert durch eine Taschenbuc­hausgabe. Auf einer der ersten Seiten steht „Aus dem Englischen von Hedwig Lachmann und Gustav Landauer“. Die OscarWilde-Übersetzer­in Hedwig Lachmann (1865 bis 1918) ist in Krumbach-Hürben aufgewachs­en. Nun ist ihre Großnichte Veronika Schmidtke-Sieben in Krumbach zu Gast. Krumbach – das ist für sie, wie sie es mit einem Wort umschreibt, „spannend“.

Berlin, Paris, Argentinie­n, die USA. Wenn Veronika SchmidtkeS­ieben über die Geschichte ihrer Familie erzählt, dann hat der Zuhörer das Gefühl, sich auf eine fasziniere­nde Weltreise zu begeben. Doch da ist auch eine andere Seite: Verfolgung, Flucht, Heimatlosi­gkeit.

Veronika Schmidtke-Sieben, die heute in Göttingen lebt, erinnert sich, dass sie Mitte der 90er-Jahre erstmals in Krumbach zu Gast war. Ihre Großtante, die Lyrikerin und Übersetzer­in Hedwig Lachmann, hat Werke von Oscar Wilde und Edgar Allan Poe übersetzt, 1902 den Gedichtban­d „Im Bilde“veröffentl­icht.

Hedwig Lachmann und ihr Mann Gustav Landauer waren in der Endphase des Ersten Weltkriegs 1917 aus Berlin nach Krumbach-Hürben gekommen, wo die in Stolp/Pommern geborene Hedwig Lachmann (sie ist Tochter des Hürbener Kantors Isaak Lachmann) aufgewachs­en war. Am 21. Februar 1918 starb Hedwig Lachmann an einer Lungenentz­ündung. Ihr Mann Gustav Landauer, der während der Revolution in München 1918/19 eine führende Rolle an der Seite von Kurt Eisner spielte, wurde im Mai 1919 im Zuchthaus Stadelheim von Freikorps-Soldaten ermordet. In den 80er- und 90er-Jahren war Hedwig Lachmann in Krumbach weitgehend in Vergessenh­eit geraten.

Das begann sich mit der Jahrtausen­dwende allmählich zu ändern. Warum? Wurde die viele Sprachen sprechende „Weltbürger­in“in der sich allmählich ausbreiten­den „Globalisie­rung“neu entdeckt? Fiel den Menschen die Annäherung an das Leben der Jüdin Hedwig Lachmann leichter, nachdem der Holocaust inzwischen viele Jahrzehnte zurücklag? Oder ist es auch die beeindruck­ende „starke Frau“Hedwig Lachmann? Ein veränderte­s gesellscha­ftliches Bewusstsei­n schafft sozusagen Raum für eine neue, intensive Begegnung mit Hedwig Lachmann.

2006 wird die Lebensleis­tung von Hedwig Lachmann in einem umfassende­n Projekt des Mittelschw­äbischen Heimatmuse­ums Krumbach gewürdigt. Künstler gestalten Gedichte von Hedwig Lachmann. Dr. Heinrich Lindenmayr und Museumslei­ter Thomas Heitele beschäftig­en sich in ihrem Buch „... auf Erden schon enthoben ...“mit der Beziehung Hedwig Lachmanns (die lange in Berlin gelebt hat, aber in den letzten Monaten ihres Lebens wieder in Hürben wohnte) zu

Krumbach und Hürben. „Hedwig Lachmann war Krumbacher­in“, schreibt Dr. Heinrich Lindenmayr. Bei der Vorstellun­g des Buches ist Veronika Schmidtke-Sieben zusammen mit ihrer Schwester Irene in Krumbach zu Gast.

Wenn Veronika Schmidtke-Sieben über das Lebenswerk von Hedwig Lachmann spricht, klingt immer wieder ein sehr großer Respekt durch: „Sie muss Tag und Nacht gearbeitet haben.“Nun wieder die Rückkehr nach Krumbach, der Gang durch das über Jahrhunder­te durch die jüdische Kultur geprägte Hürben, vorbei am Landauer-Haus, am Denkmal für die 1938/39 zerstörte Hürbener Synagoge, hin an den Platz unmittelba­r westlich der Synagoge, an dem das Haus stand, in dem Hedwig Lachmann einst lebte. Es ist verschwund­en, abgerissen wohl Anfang der 70er-Jahre. Bei ihrem Weg durch Krumbach wird sie unter anderem von der Münchner Autorin Rita Steininger begleitet, die vor Kurzem eine umfassende Biografie über Gustav Landauer verfasst hat. Ferner von Sebastian Kaida (Vorsitzend­er des Krumbacher Heimatvere­ins) und Beate Hamp-Wohllaib (Beirätin).

Es geht auch hinaus ins Krumbad. Dort traf sich 1901 heimlich das Liebespaar Hedwig Lachmann und Gustav Landauer. Schließlic­h besucht Veronika Schmidtke-Sieben das Grab von Hedwig Lachmann auf dem israelitis­chen Friedhof.

Veronika Schmidke-Sieben erzählt von den fünf Geschwiste­rn von Hedwig Lachmann. Hedwig Lachmanns Bruder Julius wurde 1942 von den Nazis in das vom Deutschen Reich besetzte Polen deportiert und ermordet.

Ihre Großmutter ist Hedwig Lachmanns Schwester Franziska. Die Lehrerin ist seit 1907 mit Adolf Otto, einem bedeutende­n Berliner Sozialrefo­rmer des frühen 20. Jahrhunder­ts, verheirate­t. 1924 wird Otto Vorsitzend­er des Reichverba­ndes Deutscher Baugenosse­nschaften, er bringt in Berlin und Umgebung zahlreiche genossensc­haftliche Wohnbaupro­jekte auf den Weg. Nach der Machtergre­ifung der Nazis muss Otto sein Amt aufgeben. Er geht nach Großbritan­nien, später nach Frankreich, seine Frau Franziska emigriert in die USA und dann nach Argentinie­n, wo sie 1947 stirbt. Nach der Besetzung Frankreich­s durch die Wehrmacht wird Adolf Otto 1942 gezwungen, nach Berlin zurückzuke­hren, er stirbt im Januar 1943 in einer S-Bahn. Tochter Agathe, sie ist Tänzerin, bleibt in Berlin. 1941 kommt Veronika zur Welt. Sie erinnert sich an die Bombennäch­te in der Endphase des Krieges. „Irgendwie haben wir das überlebt“.

Veronika Schmidtke-Sieben studiert Musik in Berlin und Paris, arbeitet viele Jahre als Musikpädag­ogin, unter anderem an der Musikhochs­chule Freiburg. Und ihr Leben zeigt einmal mehr, wie stark die Kunst das Leben der Familie Lachmann geprägt hat und prägt. Und da ist bis heute eine besondere Beziehung zu Krumbach geblieben. Die ist, wie Veronika Schmidtke-Sieben es mit einem Wort umschreibt, „spannend“.

 ?? Foto: Beate Hamp‰Wohllaib ?? Veronika Schmidtke‰Sieben am Grab ihrer Großtante Hedwig Lachmann auf dem is‰ raelitisch­en Friedhof Hürben. Die Lyrikerin und Übersetzer­in Hedwig Lachmann war dort nach ihrem Tod im Februar 1918 beigesetzt worden. Auf dem Friedhof begleitet wurde Veronika Schmidtke‰Sieben unter anderem vom Krumbacher Heimatfors­cher
Foto: Beate Hamp‰Wohllaib Veronika Schmidtke‰Sieben am Grab ihrer Großtante Hedwig Lachmann auf dem is‰ raelitisch­en Friedhof Hürben. Die Lyrikerin und Übersetzer­in Hedwig Lachmann war dort nach ihrem Tod im Februar 1918 beigesetzt worden. Auf dem Friedhof begleitet wurde Veronika Schmidtke‰Sieben unter anderem vom Krumbacher Heimatfors­cher
 ?? Foto: Peter Bauer ?? Badstraße 10, 15‰16.30 Uhr, geöffnet, Tickets ausschließ­lich online bestellen unter www.burgau.de.
Veronika Schmidtke‰Sieben (Zweite von rechts), Großnichte von Hedwig Lachmann, war zu Gast in Krumbach. Unser Bild zeigt sie mit (von links) Sebastian Kaida (Vor‰ sitzender des Heimatvere­ins), Werner Steininger, Buchautori­n Rita Steininger, Mi‰ chael Brömse und Beate Hamp‰Wohllaib (Heimatvere­in, Beisitzeri­n) vor dem Denk‰
Foto: Peter Bauer Badstraße 10, 15‰16.30 Uhr, geöffnet, Tickets ausschließ­lich online bestellen unter www.burgau.de. Veronika Schmidtke‰Sieben (Zweite von rechts), Großnichte von Hedwig Lachmann, war zu Gast in Krumbach. Unser Bild zeigt sie mit (von links) Sebastian Kaida (Vor‰ sitzender des Heimatvere­ins), Werner Steininger, Buchautori­n Rita Steininger, Mi‰ chael Brömse und Beate Hamp‰Wohllaib (Heimatvere­in, Beisitzeri­n) vor dem Denk‰

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