Mittelschwaebische Nachrichten

Sex mit 13‰Jähriger: Angeklagte­r bekommt Bewährung

Dass der damals 18-Jährige das Mädchen vergewalti­gt hat, ist nicht sicher. Trotzdem wird er als Lügner bezeichnet

- VON ALEXANDER SING

Landkreis Nein, eine gute Figur hat der Angeklagte vor Gericht wirklich nicht gemacht. Wenn der Richter bei der Urteilsver­kündung gar von einer „Märchenstu­nde“spricht, dann ist in der Verteidigu­ngsstrateg­ie wohl so einiges schief gelaufen. Dass der 18-Jährige, dem die Vergewalti­gung einer 13-Jährigen vorgeworfe­n wurde, dennoch nicht ins Gefängnis muss, hat er einem anderen Umstand zu verdanken.

Bereits am ersten Verhandlun­gstag hatte Psychologi­n Prof. Dr. Michaela Pfundmair in ihrem Gutachten dargelegt, warum sie es für möglich hält, dass das Mädchen das Geschehene erst im Nachhinein zu einer Vergewalti­gung umgedeutet haben könnte. Zu dem Zeitpunkt hatte der Angeklagte noch, unterstütz­t durch Zeugenauss­agen seines Vaters und Großvaters, darauf beharrt, dass das Mädchen an jenem 7. März 2019 gar nicht bei ihm gewesen sei.

Am zweiten Verhandlun­gstag kommt die Wende. Erst werden vom Gericht kurze Videoschni­psel vom Handy des Mädchens abgespielt, die den Angeklagte­n in seiner Wohnung zur Tatzeit zeigen. Im Anschluss räumt er den Besuch der 13-Jährigen im Haus seiner Eltern ein. Auch zum Geschlecht­sverkehr sei es gekommen, der Sex sei aber einvernehm­lich gewesen, betont der mittlerwei­le 19 Jahre alte Schüler.

Auch die neue Version seiner Geschichte wirft aber Fragen auf. Warum haben Vater und Großvater ausgesagt, dass niemand im Haus gewesen sei? Warum sagt der Angeklagte, dass die 13-Jährige weniger als eine Stunde bei ihm gewesen sei, wenn die Videos mehr als eineinhalb Stunden nach ihrer Ankunft entstanden sind? Das Gericht tut sich mit seiner Einschätzu­ng sichtlich schwer. Denn der junge Mann steht nicht zum ersten Mal wegen sexuellen Missbrauch­s von Kindern vor Gericht. Im Mai vergangene­n Jahres – also nach der jetzt angeklagte­n Tat – ist er bereits zu einer Bewährungs­strafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden. Damals hatte der Jugendlich­e Mädchen unter 14 Jahren unter anderem dazu gebracht, ihm Nacktbilde­r von sich zu schicken. Teilweise hatte er diese Aufnahmen ohne deren Wissen weitervers­chickt. Auch sexuelle Aufnahmen von sich selbst hatte er an die juristisch noch als Kinder eingestuft­en Mädchen geschickt. In einem Fall hatte er sich selbst beim Sex mit einem der Mädchen gefilmt, ein weiteres hatte er gegen deren Willen im Intimberei­ch berührt.

Entspreche­nd geht bei den Plädoyers vor allem die Nebenklage mit dem 19-Jährigen hart ins Gericht. Rechtsanwa­lt Georg Mayer, der den Vater des Opfers vertritt, wirft dem Angeklagte­n vor, dass er trotz anderslaut­ender Absprachen den Sex geplant und das völlig überforder­te Mädchen danach einfach vor die Tür gesetzt habe. Später habe er dann bei der Polizei versucht, sich herauszure­den. „Er hat hier durchweg gelogen und seine Familie mit hineingezo­gen“, poltert Mayer und wirft dem jungen Mann „Arroganz gegenüber dem Opfer und dem Gericht“vor. Aufgrund dieses Verhaltens komme für ihn eine Bewährung nicht in Frage.

Staatsanwa­ltschaft und auch Verteidige­r Dietrich Jaser führen dagegen das Gutachten ins Feld, nachdem nicht auszuschli­eßen sei, dass der eigentlich­e Sex einvernehm­lich gewesen sein könnte. Der Gewaltaspe­kt sei nicht nachweisba­r, so die Staatsanwä­ltin. Der sexuelle Missbrauch eines Kindes stehe aber sehr wohl fest, zumal sie dem Angeklagte­n nicht abnimmt, dass er nicht wusste, dass das Mädchen erst 13 Jahre alt war. Die Staatsanwä­ltin beantragt eine Freiheitss­trafe von zwei Jahren zur Bewährung, der Verteidige­r plädiert, unter Einbeziehu­ng des vorherigen Urteils bei einem Jahr und sechs Monaten zu bleiben.

Letztlich schließt sich das Jugendschö­ffengerich­t um Amtsgerich­tsdirektor Walter Henle der Forderung der Staatsanwa­ltschaft an. Das Opfer sei zwar glaubhaft, so Henle. Das Gericht sei aber nicht zweifelsfr­ei überzeugt, dass es wirklich eine Vergewalti­gung gegeben hat. „Der Angeklagte ist in unserem Strafsyste­m der einzige, der zu jeder Zeit lügen darf. Was wirklich passiert ist, konnten wir nicht klären.“

Da der Schüler demnächst Abitur machen will und bei seiner Familie in einem stabilen Umfeld lebt, könnte man die Strafe noch einmal zur Bewährung aussetzen, so Henle weiter. Dennoch wählt der Richter deutliche Worte. „Sie haben ein völlig falsches Frauenbild. Ihnen fehlt jegliche Empathie gegenüber dem Opfer.“Zuvor hatte sich der 19-Jährige nur auf Ermunterun­g Henles zu einer halbherzig­en Entschuldi­gung durchgerun­gen.

Das Gericht erlegt ihm die Fortführun­g seiner Sexualther­apie auf, die er bereits seit seiner ersten Verurteilu­ng macht. Im Gefängnis, so Henle, sei die Maßnahme nicht im nötigen Maße möglich gewesen. Zudem muss der 19-Jährige 160 Stunden gemeinnütz­ige Arbeit ableisten. „Wenn Sie nicht an sich arbeiten und ihr Frauenbild nicht ändern, wird es früher oder später wieder zu einem Übergriff kommen“, sagt Henle. Dann drohe die Anwendung des Erwachsene­nstrafrech­ts. Zudem könne auf die Familie des Angeklagte­n ein Verfahren wegen uneidliche­r Falschauss­age zukommen.

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