Mittelschwaebische Nachrichten
Sie holen den BerblingerGeist in die Gegenwart
Filmaufnahmen In einem bunten, poppigen Musical spinnt ein Kreativ-Team die Geschichte des Schneiders von Ulm weiter. Ein Stück über das Fliegen, den Mut und das Scheitern – und einen Psychiater, der plötzlich seine weibliche Seite entdeckt
Ulm Das Filmteam, das sich unter dem Berblinger-Turm am Donauufer versammelt, will zwei Gefühle mit der Kamera einfangen: den Traum vom Fliegen – und den Sturz ins Unglück. Ohne Netz und doppelten Boden. So wie einst der Flugpionier Albrecht Ludwig Berblinger, der hier 1811 seine Flügel aufspannte und in den Fluss plumpste. Einen Stuntman braucht die Crew dafür nicht: Eine kleine Drohne schwingt sich in die Luft, kreist elegant um den Turmbau, den die Stadt dem Schneider von Ulm gewidmet hat. Was die Kamera-Drohne einfängt, gibt sie nach der Landung preis: Die halbe Crew schart sich um einen Bildschirm und sieht – bezaubernde Aufnahmen, im Vogelflug. Die Videos, die das Team filmt, werden bald im Ulmer Roxy auf der Leinwand flimmern. Sie ergänzen die bunte Musik-Show, die sich dann auf der Bühne abspielen soll. Das Musical „Ich bin ein Berblinger“soll im Januar 2021 Premiere feiern. Der Vorverkauf hat begonnen.
Berblinger ist ein Ulmer Held – aber das Kreativteam hinter dem Musical ist erstaunlich bayerisch: Der Komponist Hermann Skibbe stammt aus Burgau, sein Kollege Helmut Pusch lebt in Senden, Albert Hefele aus Elchingen hat die Texte verfasst. Die Grundidee hat dieses Team entwickelt, mit Christof Biermann und Regisseur Thomas Dietrich. 2011 starteten die kreativen Köpfe den ersten Anlauf, 200 Jahre nach der berühmten Bruchlandung. Aber das Projekt Berblinger-Musical strauchelte, scheiterte – auch weil das Team noch nicht die volle Unterstützung der Stadt hatte. Aber 2020 sollte die Zeit reif sein, zum 250. Geburtstag des Berlingers. Den Entholte die Crew aus der Schublade – und beinahe wäre er wieder darin verschwunden. Das Team hatte die Stadt längst auf seiner Seite, mit Zuschüssen von 90000 Euro, es gründete als Basis für das Projekt den Verein „Patchwork Kultur“– dann brach Corona herein. Im Juni schien eine Aufführung in der OriginalVersion undenkbar. Die Macher mussten das Werk überarbeiten.
Heute ist sich Helmut Pusch sicher: Zum dritten Mal das Projekt verschieben? Kommt nicht in Frage. „Statt mit 13 Darstellern spielen wir nun mit acht“, erklärt er. Und es wird digital: Videos erscheinen auf LED-Wänden, die Musik kommt bis auf den Live-Gesang der Darsteller vom Band. „Mit sieben Musikern ist die Bühne sonst voll.“
müssen Corona nicht nur berücksichtigen, sondern auch ins Musical einbauen“, erklärt Thomas Dietrich. Corona-Anspielungen haben sich in den Plot geschlichen und in der Notlage sind auch neue Ideen entstanden – mit Vorteilen. „Für die Originalfassung hätten wir sonst ein Modell des Berblinger-Turms nachbauen müssen und eine Showtreppe für das Roxy“, sagt Dietrich.
Wer an Berblinger denkt und ein historisches Kostüm-Stück erwartet, wird eine Überraschung erleben. Pusch erklärt: „Wir holen sein Erbe ins Heute. Es geht um einen Nachfahren des Berblingers, der im Hier und Jetzt lebt und sein ganzes Leben lang gemobbt wird.“Berblingers Image, der ewige „Loser“, wirkt auf den Held wie ein Fluch. Deshalb bewurf müht er sich, seinen gescheiterten Urahn zu rehabilitieren. Doch er übernimmt sich, finanziell und seelisch: Der junge Mann landet in einer psychiatrischen Anstalt. Helmut Pusch sucht nach Vergleichen: Das Stück habe durchaus Züge von „Einer flog über das Kuckucksnest“, dem Hollywood-Psychostreifen mit Jack Nicholson. Aber auch Liebe und Romantik sollen eine Rolle spielen.
„Ein Berblinger-Musical für Erwachsene, das gab es noch nie“, sagt Pusch. Bert Brecht schrieb ein Gedicht über die Fluglegende aus Ulm, Max Eyth widmete dem Pionier einen Roman. Und unter Eyths Denkmal am Donauufer rekelt sich jetzt ein Mann – im glitzernden DragQueen-Kostüm. Es ist die schillerndste Figur der Story, der korrup„Wir te Psychiater namens Rollinger, der in dieser Filmszene – eine Traumsequenz – seine weibliche Seite entdeckt. Und wie. Der Song „Ich bin ich“klingt aus den Boxen. Gehüllt in ein Glitzerkleid, mit voluminöser Diven-Perücke, bewegt der Darsteller Brix Schaumburg im Play-back zur Melodie die Lippen. Die Kostümbildnerin Sybille Gänßlen hat die Kluft für den Psychiater und alle weiteren Figuren geschneidert.
Der Clou: Schaumburg spielt gerade in der Web-Serie „Sunny – Wer bist du wirklich?“einen Transsexuellen – und er selbst ist im wahren Leben Transgender. Er wurde in einem weiblichen Körper geboren. „Ich bin ich“sei der erste Transgender-Musical Song überhaupt, vermutet Schaumburg – eine Pionierleistung, die für ihn zum BerblingerGeist passt und ihm auch musikalisch Laune macht. „Das ist kein MusicalLala“, sagt er. Sascha Lien spielt wiederum den Held des Musicals. In Ulm war er schon im Musical „Rock of Ages“zu sehen, in Köln im Queen-Stück „We Will Rock You“.
Skibbe und Pusch bauen auf Vielfalt in der Musik: Ein Streichquartett begleitet eine Ballade, auch die Ulmer Spatzen wirken mit. Ein Popmusik-Musical soll es sein, mit Discound Jazzeinflüssen. Pusch verspricht dem Publikum zwei, drei Ohrwürmer, mindestens.
Wie steht das Team nun selbst zum Scheitern, nach all den Jahren und Anläufen? „Wir sind Profis im Scheitern“, sagt Pusch und lächelt. Skibbe hält dagegen: „Stimmt, aber wirklich scheitern werden wir mit diesem Projekt sicher nicht.“
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Premiere Das erste Mal ausgestrahlt wird der Film am 5. Januar, 2021. Kar ten gibt es im Vorverkauf (Roxy, eventim), Infos unter berblinger.club.