Mittelschwaebische Nachrichten
Die Sorge um die Senioren wächst
Pandemie Im Frühling gab es in vielen bayerischen Pflegeheimen Corona-Ausbrüche, mehrere Menschen starben. Nun rollt die zweite Welle an. Wie sich die Einrichtungen vorbereiten und ob Besuche weiterhin möglich sind
Augsburg
Wenn Peter Müller auf die steigenden Infektionszahlen blickt, auf die Kurven, die seit kurzem wieder steil nach oben gehen, dann beschleicht ihn ein ungutes Gefühl. Von Angst will er nicht sprechen – sehr wohl aber von Respekt. „Es ist noch nicht vorbei“, sagt Müller, Sprecher der Pro-Seniore-Gruppe, die deutschlandweit Pflegeheime betreibt. Etwa in Bissingen im Landkreis Dillingen. Während der ersten Corona-Welle im Frühling starben dort 25 Bewohner in Zusammenhang mit Covid-19 – die Sorge, dass sich derlei nun wiederholen könnte, dass das Virus SarsCov-2 in das Heim eingeschleppt wird, ist groß.
Wie schnell die Situation umschlagen kann, das haben die Bewohner und Mitarbeiter der Bissinger Einrichtung gerade erst erfahren müssen: Wegen eines Corona-Verdachtsfalls waren vier Tage lang keine Besuche möglich. Mittlerweile liegt ein negatives Testergebnis vor – die Sorge aber, dass es in den kommenden Wochen positive Tests geben könnte, die bleibt.
Solche Befürchtungen gibt es derzeit in vielen Einrichtungen im Freistaat, vor allem in Gebieten, die den kritischen Schwellenwert von 50 Neuinfektionen pro 100000 Einwohner in sieben Tagen weit überschritten haben. Besonders angespannt ist die Situation im Berchtesgadener Land. Die Menschen dort dürfen ihre Wohnungen nur noch mit triftigem Grund verlassen, in Kliniken, Alten- und Pflegeheimen gelten Besuchsverbote.
Solche Verbote könnte es bald in vielen bayerischen Einrichtungen geben, wenn sich die Pandemie weiterhin so entwickelt wie momentan, befürchtet Pro-Seniore-Sprecher Müller. Schließlich zählten die Bewohner zur absoluten Corona-Risikogruppe, sie seien besonders gefährdet, schwer zu erkranken oder an Covid-19 zu sterben. Doch derzeit wolle man es den Bewohnern weiterhin ermöglichen, ihre Angehörigen sehen zu können. „Denn wenn man isoliert ist, dann fehlen einem auch Lebensmut und Lebenskraft“, sagt Müller. Wie nah die An
den Patienten kommen, ob sie sie etwa in den Arm nehmen, das werde nicht überprüft. „Wir sagen aber: Passt bitte auf. Und die Besucher machen das auch.“Wichtig sei vor allem ein ausgeklügeltes Hygienekonzept. Am Eingang etwa gibt es Desinfektionsmittel, Mitarbeiter und Besucher tragen Mundschutz.
Im Senioren- und Pflegeheim in Waal im Ostallgäu, wo ebenfalls mehrere Menschen während der ersten Welle gestorben sind, überwacht nun eine Mitarbeiterin während der Hauptbesuchszeit die Einhaltung der Hygienevorschriften. „Dazu gehört vor allem das Messen der Körpertemperatur, eine Symptomabfrage, eine Erfassung der Kontaktdaten der Besucher mit Überprüfung der Richtigkeit der Angaben“, teilt Thomas Brandl mit, der Sprecher des Landratsamtes Ostallgäu. In allen kreiseigenen Heimen werde eine einheitliche Teststrategie vollzogen, welche eine Reihentestung der Bewohner und des Personals in regelmäßigen Abständen beinhaltet. Es sei zudem angedacht, diese Teststrategie um PoC-Antigen-Tests (Schnelltests) zu erweitern. Ein Besuchsverbot, fährt Brandl fort, sei derzeit nicht geplant.
Besuche möglich machen, aber strenge Schutzmaßnahmen treffen – das ist auch der Weg, den man im Pflegeheim der Diakonie in Harburg im Landkreis Donau-Ries eingeschlagen hat. In der Einrichtung waren im Frühling ebenfalls mehrere Bewohner mit Corona-Infektion gestorben. „Wenn wir jetzt die steigenden Zahlen sehen, dann sind wir natürlich besorgt“, sagt Heimleiter Michael Kupke. Momentan dürfe ein Bewohner nur einen Gast empfangen. Kupke hofft, dass es weiterhin möglich sein wird, dass die Bewohner der Einrichtung besucht werden können. „Es tut den Mengehörigen schen nicht gut, wenn sie lange isoliert werden. Vor allem Demenzkranke können es nicht verstehen, wenn plötzlich niemand mehr vorbeikommt.“
Auch Heinz Münzenrieder, Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Schwaben, die viele Senioreneinrichtungen in der Region betreibt, verfolgt das derzeitige Infektionsgeschehen aufmerksam. Und auch er ist der Ansicht, dass es nun darum gehe, eine erneute Komplettschließung der Altenheime unbedingt zu vermeiden. Münzenrieder ist zuversichtlich, „denn wir haben seit März viel gelernt“, erklärt er. „Wir haben in gewisser Weise gelernt, mit Corona zu leben.“Die Situation sei heute auch nicht mehr vergleichbar mit der im Frühjahr. Damals war Corona ein Schock, sagt Münzenrieder. Die Altenheime, ihre Mitarbeiter, ihre Bewohner und deren Angehörige seien überrascht worden, „man wusste viel weniger über die Krankheit als heute“. Auch fehlte am Anfang unter anderem ausreichend Schutzkleidung, man konnte gar nicht so viele Vorkehrungen treffen wie heute. So gebe es nun Besuchsregelungen, ausreichend Abstand könne eingehalten werden, Masken sind Pflicht. „Und vor allem hat sich auch die Kommunikation zwischen Bewohnern, Mitarbeitern und Angehörigen intensiviert. Wir wissen jetzt, dass wir viel mehr miteinander reden müssen“, sagt Münzenrieder. „Auch passt jetzt die Kooperation mit Gesundheitsämtern und Heimaufsichten. Auch wenn es da anfangs etwas holprig war.“
Corona führt nach Einschätzung von Münzenrieder nicht dazu, dass die AWO-Heime in Schwaben weniger Plätze in ihren Seniorenhäusern oder in der Kurzzeitpflege anbieten. „Manchmal dauert die Aufnahme eben länger, weil ein negativer Test die Voraussetzung ist.“Ein Schnelltest würde hier Erleichterung bringen. Und wenn es in Einzelfällen zu Verzögerungen kommt, dann dürfe man auch nicht vergessen, dass die Senioreneinrichtungen ein generelles Problem haben, das ihnen schon vor Corona schwer zu schaffen machte: „Uns fehlt qualifiziertes Personal“, hebt Münzenrieder hervor. „Es wird immer schwieriger, gute Pflegekräfte zu finden.“
Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung will den Pflegeheimen demnächst übrigens einheitliche Corona-Regeln an die Hand geben. „In wenigen Wochen, deutlich vor Weihnachten, werden wir – unterstützt von Gesundheitsminister Jens Spahn und dem RobertKoch-Institut – eine Handreichung vorlegen, um dem Flickenteppich mehr Einheitlichkeit und Nachvollziehbarkeit zu geben“, sagte Andreas Westerfellhaus der Neuen Osnabrücker Zeitung. Grund für seine Initiative sei die Angst hunderttausender Pflegebedürftiger vor neuen Besuchsverboten in Heimen, machte Westerfellhaus in einem anderen Interview deutlich. „Diese Isolation, wie wir sie im Frühjahr hatten, darf es nicht noch einmal geben. Wir dürfen die Pflegebedürftigen nicht in die Verzweiflung treiben, das wäre fürchterlich, auch für ihre Angehörigen.“