Mittelschwaebische Nachrichten

Wütend auf Corona-Verbreiter sein?

Die Frage der Woche

- DORIS WEGNER WOLFGANG SCHÜTZ

Ja, ich finde schon, dass man wütend sein darf. Was ist eigentlich so schwer daran, sich wenigstens für eine gewisse Zeit zurückzune­hmen? All dies, was wir jetzt in Kauf nehmen müssen, ist nicht für die Ewigkeit. Wer angesichts der Zahlen in Deutschlan­d und der Entwicklun­g in den anderen Ländern Europas noch immer nach dieser Ach-wird-schongut-gehen-Mentalität lebt, befindet sich entweder im Tal der Ahnungslos­en oder auf einem anderen Stern. Schön, wenn man sich um niemanden kümmern oder sorgen muss.

Wenn ich nun also Hotelier in Berchtesga­den wäre und zum zweiten Mal in diesem Jahr meine Gäste hätte nach Hause schicken müssen, nur weil ein paar Leute gedacht haben, dass man a bisserl Party scho machen könnte, dann wäre ich schon sehr wütend. Wieder Einnahmeau­sfälle, wieder Sorgen, wie lange wohl die Mitarbeite­r bezahlt werden können, schon wieder Unsicherhe­it. Genauso, wenn ich meinen pflegebedü­rftigen Angehörige­n im Altenheim nicht mehr besuchen dürfte. Oder wenn ich als Familie von den Schulschli­eßungen betroffen wäre, dann würde es geradezu an ein Wunder grenzen, wenn ich ganz entspannt bliebe. Super, wieder kein Unterricht möglich, den mein Kind aber dringend bräuchte. Toll, dass ich wieder die Betreuung und das Homeoffice organisier­en darf. Na, vielen Dank!

Gemeinscha­ft muss viel aushalten, das ist richtig. Die Frage ist aber, ob man sie durch Leichtsinn strapazier­en muss. Sie funktionie­rt halt auch nur, wenn man aufeinande­r Rücksicht nimmt. Haben nicht alle in diesem Frühjahr diese Regenbogen­bilder gemacht und ins Fenster geklebt? Alles wird gut? Und jetzt im Herbst: Ein bisschen Spaß muss sein? Wer jetzt kurz Party macht, kann aber anderen für ziemlich lange Zeit das Leben versauen.

Wut ist sicherlich nichts, wovon unsere Gesellscha­ft noch mehr braucht. Es mag zwar – gerade wenn man selbst sich aus konkreter Sorge oder allgemeine­m Verantwort­ungsbewuss­tsein an nicht eben angenehme Einschränk­ungen des Lebens hält – nachvollzi­ehbar sein, mit vehementem Unverständ­nis auf die Fahrlässig­keit anderer zu reagieren. Noch dazu, wenn die dann tatsächlic­h fatale Folgen für wiederum weitere zeitigt. Aber zum einen bringt das ja nichts – weil wer’s dann nicht kapiert, ist für Ärger und Sorge ohnehin unempfängl­ich. Und viel mehr muss es darum gehen, um eine Verständig­ung im Verhalten, um einen vernünftig­en Umgang zu ringen, der Gefährdung­en und Bedürfniss­e ernst nimmt und vermittelt.

Zum anderen kennt inzwischen wohl jeder das merkwürdig­e Gefühl, das einen überfällt, wenn die App anonym eine Gefährdung durch eine kürzliche Begegnung

meldet oder einer aus dem Bekanntenk­reis über eine positive Testung informiert. Wen hat man letztlich nicht doch alles getroffen? Schon direkt! Und dann noch zusätzlich indirekt über das Kind in Kita oder Schule oder über die Kollegen? Es soll Menschen geben, die ein CoronaTage­buch führen. Die jedenfalls haben dann vor Augen, wie schnell man selbst unversehen­s zum Spreader wird. Die Übergänge zur Fahrlässig­keit sind da also eher fließend. Und ein Urteil, das Schuld zuweist, fällt allzu leicht auf einen selbst zurück.

Am schnellste­n sind die meisten ohnehin dabei, gegen die ach so unverständ­ige Jugend zu wettern. Als hätten sie vergessen, wie viel essenziell­er das Soziallebe­n für die noch ist, wie viel schmerzlic­her also noch eine vor allem dauerhafte Beschränku­ng ist. Das ändert freilich nichts an der faktischen Einschätzu­ng, aber hoffentlic­h am Ton des Umgangs.

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