Mittelschwaebische Nachrichten
Wenn Wildtiere in der Stadt wohnen
Immer mehr Tiere, die eigentlich in der freien Natur im Landkreis zu Hause sind, wagen sich in bewohnte Gebiete. Welche Probleme das aufwirft und wie damit umgegangen wird
Immer mehr Tiere, die eigentlich in der freien Natur im Kreis Günzburg zu Hause sind, wagen sich in bewohnte Gebiete.
Krumbach Entdeckt man ein Reh oder auch einen Hirsch im Wald, ist die Freude oft groß. Man sollte bloß keine lauten Geräusche machen, um das scheue Tier nicht wieder zu verjagen. Doch was ist, wenn Wildtiere ihre Furcht vor den Menschen verlieren und plötzlich auf dem eigenen Grundstück zu finden sind?
Bei Erich Frey vom Jägerverein Günzburg stand eines Nachts unvermittelt ein Fuchs in der Einfahrt. Frey erzählt im Gespräch mit unserer Zeitung, er sei an einem Sonntagabend gegen 11 Uhr nach Hause gelaufen, als ihm das Tier aus seiner Einfahrt in Memmenhausen entgegengekommen ist. Er habe es noch
Jäger warnt: „Das Ökosystem ist bereits zerstört.“
mit einem freundlichen „Guten Abend“begrüßt, berichtet der Jäger und lacht. Der Fuchs habe sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen lassen und sei seelenruhig an ihm vorbei gelaufen.
Wo andere vielleicht Angst gehabt hätten, freut sich Frey. „Die Tiere müssen sich anpassen, sonst gehen sie unter“, erklärt der Jäger. Die Menschen würden den Lebensraum der Tiere – auch im Landkreis Günzburg – immer mehr einschränken. „Der Mensch ist die Plage der Natur“, sagt Frey. Da immer mehr Natur für Bebauungen weichen muss, seien die Tiere gezwungen, auch auf bewohnte Gebiete auszuweichen. Das Ökosystem sei bereits zerstört. Ein Gleichgewicht gebe es nicht mehr. Dazu komme, dass die Ansiedlung von Wölfen, Luchsen und auch Bären gefördert werde. Das belaste das Ökosystem zusätzlich.
Füchse in der Nachbarschaft sind derweil keine Einzelfälle. Viele weitere Wildtierarten, wie der Marder, der Siebenschläfer oder auch der Biber hätten sich bereits in bewohnten Gebieten im Landkreis Günzburg eingelebt. Frey zufolge ist diese Tendenz steigend und wird auch in Zukunft weiter zunehmen.
Laut Axel Dinger, dem Krumbacher Stadtförster, erhoffen sich die Tiere einen Vorteil von der Nähe zum Menschen. Für die sogenannten Kulturfolger seien besonders die warmen Gebäude als Unterschlupf die einfachere Essensuche attraktiv. Für Füchse beispielsweise erleichtere ein örtlicher Hühnerstall die Nahrungsjagd. Einmal habe er bei einen Vorfall geholfen, bei dem sich ein Marder in einem Dachboden eingenistet habe.
Das Problem dabei: Marder nagen oft an den Isolierungen und können dadurch Sachschäden verursachen. Dazu kommen Krabbelgeräusche und Kotspuren, die bei betroffenen Haushalten nicht sonderlich beliebt sind. Bei Füchsen hingegen könne der Fuchsbandwurm gefährlich werden, warnt Dinger. Ist ein Fuchs befallen, scheide dieser die Wurmeier im Kot aus. Wenn nun ein Mensch beispielsweise Beeren mit den Eiern zu sich nimmt, gelangt der Parasit in den Körper, erläutert Dinger. Glücklicherweise seien solche Fälle selten, berichtet der Stadtförster, doch auch in Krumbach schon vorgefallen. Ein solcher Befall könne im schlimmsten Fall für den Betroffenen sogar tödlich enden.
Auch der Biber ist im Vormarsch, sagt Daniel Sonntag, Biberberater im südlichen und südöstlichen Teil des Landkreises Günzburg. Das liegt daran, erklärt Sonntag, dass der Biber in Deutschland geschützt ist. Dazu kommt, dass dieser aktuell keine natürlichen Feinde habe. Deshalb wird sich das Nagetier auch in Zukunft zwangsläufig in bewohnten wassernahen Gegenden ausbreiten, schätzt Sonntag. Der Landkreis Günzburg sei durch die vielen Gewässer, wie die Mindel, die Kammel oder auch die Günz, ein idealer Lebensraum für Biber.
Bislang hat Sonntag etwa fünf bis sieben Anrufe von betroffenen Anwohnern in der Woche. Oftmals haben sie einen angenagten Baum auf dem Grundstück entdeckt. Diese Schäden werden dann von Sonntag begutachtet, um eine Lösung zu finund den. Meist helfe ein Drahtgitter, um den betroffenen Baum oder auch ein Elektrozaun. Das halte den Biber in der Regel fern. Im Extremfall müsse er den Nager einfangen und umsiedeln, wie im vergangenen Jahr, als einem Biber im Krumbächle eine Falle gestellt worden war. Andernfalls hätte der Biberdamm schnell zu Hochwasserschäden führen können. „Der Mensch muss lernen, mit diesen Problemen und auch mit dem Biber zu leben“, sagt Sonntag.
Im Gegensatz dazu seien Waschbären bislang noch nicht stark im Landkreis Günzburg verbreitet und kämen nur vereinzelt vor. Darüber ist Dinger froh. Waschbären würden scheue heimische Arten, wie den Baummarder, verdrängen und seien „rotzfrech“, begründet der Biberberater seine Meinung. Er könne sich aber vorstellen, dass Waschbären auch im Landkreis Günzburg in Zukunft immer mehr in bewohnten Gebieten zu finden sein werden – insofern sich der Waschbärenbestand weiter erhöhen wird.
Der Mensch muss lernen, mit dem Biber zu leben