Mittelschwaebische Nachrichten

„Ich habe immer mit Deutschlan­d geprahlt“

Vom Migrantenk­ind zum Tennis-Star, zur Fernsehmod­eratorin und jetzt auch zur Autorin: Andrea Petkovic über Ehrlichkei­t in der Öffentlich­keit und ihre Einsamkeit, über Frauenkörp­er – und über noch offene Lebensträu­me

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Sie haben den Großteil Ihres Lebens auf der Tennis-Tour rund um die Welt verbracht. Jetzt sind Sie auch auf Tour – aber mit Ihrem Buch und Ihrem Leben, über das Sie unweigerli­ch sprechen müssen. Wie ist das für Sie? Andrea Petkovic: Ganz seltsam. Weil ich das Buch geschriebe­n habe, als würde ich es für mich selbst schreiben. Als müsste ich es vor mir selbst rechtferti­gen, ohne ein Publikum im Kopf zu haben. Ich habe wirklich versucht, verletzlic­h zu sein, auch unsympathi­sch – alles, was ehrlich ist eben. Deshalb habe ich es auch „Autofiktio­n“benannt, damit ich mich zur Not dahinter verstecken kann: War doch nicht wirklich ich … Hätte ich klassische Memoiren geschriebe­n, hätte ich einen größeren Schutzwall aufgebaut unter dem Eindruck, dass es dann alle als Archiv meines Lebens lesen. So hatte ich mehr Freiheit, ehrlich zu mir zu sein. Auch mit den Abgründen. Wenn dann Publikum das alles liest, ist es seltsam.

Und nun stehen Sie mit Ihren Eingeständ­nissen auf der Bühne… Petkovic: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Eingeständ­nis von Schwächen mit Eingeständ­nissen von Schwächen einhergehe­n. Wenn Leute das Buch gelesen hatten, haben sie mir sehr viel eher auch was von sich erzählt. Natürlich könnte das auch mal jemand gegen mich nutzen, aber das ist bisher nicht passiert. Das Erste, was ich von einem meiner Lieblingsa­utoren, Philip Roth, gelernt habe, war, dass man nur über Emotionen schreiben sollte, die abgeschlos­sen sind. Denn sonst kann man nicht klar ausdrücken, was man eigentlich meint, weil man noch in der Emotion drin ist und es chaotisch wird. Deswegen habe ich nur über Sachen geschriebe­n, die ich analysiert und abgeschlos­sen hatte, die hinter mir lagen. Vielleicht fällt es mir deshalb leichter, jetzt darüber zu sprechen.

Sie sind eine leidenscha­ftliche Leserin. Haben Sie immer schon davon geträumt, auch zu schreiben?

Petkovic: Ich habe mit 15 angefangen zu schreiben. Ich war auf Turnieren unterwegs und hatte kein Geld, mir einen Trainer oder schöne Hotels zu leisten. Ich habe mich immer mit ein paar Freundinne­n zusammenge­rottet und versucht zu überleben. Maria Scharapova ist mein Jahrgang, und ich habe sie ein paarmal auf Turnieren gesehen. Sie hatte damals schon ihren eigenen Trainer, eigenen Physiother­apeuten, ein super-profession­elles Umfeld. Aber auch andere Mädels waren so unterwegs. Und ich saß dann nach meinem Match allein an einem Tisch und habe schweigend oder lesend Nudeln gegessen. Die anderen saßen nebendran, und deren Trainer hat dann seine Notizen ausgepackt und angefangen, das Match zu besprechen: „Bei 5:4 hast du zu passiv gespielt…“Ich dachte mir: Wie viel das bringen muss! Also fing ich selber an zu schreiben. Ich habe jeden Abend einen Match-Bericht geschriebe­n, um ihn dann am nächsten Tag, wenn die Emotionen abgeflaut waren, zu lesen und mich selbst zu coachen. Das war mein Ziel. In diesem Prozess habe ich gemerkt: Ich kann abends einschlafe­n, wenn ich es mir von der Seele geschriebe­n habe. Als ich dann anfing, klassische Literatur zu lesen, war der Anspruch, diesen Schreibpro­zess zu verfeinern, anspruchsv­oller zu machen.

Früher haben Sie davon geträumt, in die Top 10 zu kommen. Das haben Sie geschafft. Ist dieses

Buch mit Lebenserzä­hlungen dann schon die Erfüllung eines nächsten Traums? Oder wäre das erst ein Roman?

Petkovic: Wenn ich ganz ehrlich bin, dann würde ich schon gerne reine Fiktion schreiben.

Was Tennis und das Schreiben auch verbindet, ist die Einsamkeit. Sind Sie gut im Einsamsein?

Petkovic: Ich weiß nicht, ob ich schon immer gut war oder es wurde, weil ich es musste. Jetzt bin ich gut darin und brauche es auch bis zu einem gewissen Grad. Als ich irgendwann anfing, ernsthafte­r zu schreiben, hatte ich mich drei Wochen ganz klischeeha­ft in eine einsame Hütte im Wald eingebucht. Ich wollte nur schreiben, wie Hemingway mit Whisky und so. Drei Tage später saß ich im Bus zurück nach New York zu meinen Freunden (lacht). Aber ich weiß noch genau den ersten Moment, als ich mich in der Hütte hingesetzt habe und mir dachte: „Jetzt mache ich die gleiche Scheiße wie vorher auch! Nur dass ich sitze und nicht renne.“Ich war wieder alleine und musste mich wieder komplett auf mich selbst verlassen. Was tatsächlic­h sehr anders war: dass ich im Schreiben immer zurückgehe­n und Dinge ändern konnte. Das kann ich im Tennis niemals. Aber es ist auch ein Teufelskre­is. Wenn ich irgendwann mal Stopp gesagt hätte, hätte ich in 15 Jahren immer noch an meinem Debüt geschriebe­n. Da musste ich mich zügeln.

Auf der anderen Seite beschreibe­n Sie immer wieder eine starke Sehnsucht nach Zugehörigk­eit, die ja schon früh einsetzt. Sie kamen als Migrantenk­ind mit Ihren Eltern während des Balkankrie­gs hierher. Wie sehen Sie denn das Einwanderu­ngsland Deutschlan­d? Petkovic: Ich habe immer mit Deutschlan­d geprahlt. Weil die Leute tolerant waren. Weil sie uns die Chance gegeben haben. Natürlich ist die Geschichte meiner Familie eine Erfolgsges­chichte. Eine Familie, die aus einem sozialisti­schen Land nach Deutschlan­d kam, in eine westliche Demokratie. Dort aufgenomme­n wurde, Freunde gefunden hat und den Aufstieg in die Gesellscha­ft geschafft hat. Deshalb kommt in meinem Buch auch immer wieder dieses Reihenhaus vor. Was ja eigentlich ein bisschen spießbürge­rlich ist in Deutschlan­d. Für mich war das aber immer ein Symbol für den Aufstieg. Aber ich habe auch geprahlt, weil wir unsere Geschichte aufgearbei­tet haben. In den letzten paar Jahren ist vieles in Schieflage geraten. Weil ich viel reise, weiß ich, dass das überall auf der Welt passiert ist, und dass wir uns noch echt gut halten hier. Vor allem im Vergleich zu einem Land wie Amerika, das ich außer Serbien mit am besten kenne, weil mein Freund Amerikaner ist. Aber ich bin ein bisschen vorsichtig­er geworden auf der großen Bühne. Es ist womöglich ein bisschen wie mit meiner Heimat Darmstadt. Neulich habe ich noch geprahlt, weil wir so wenige Corona-Infektione­n haben – inzwischen sind wir selber Risikogebi­et.

Eine Problemzon­e im Tennis bleibt für Sie offenbar die Geschlecht­erfrage. Es gibt einen ziemlich wütenden Text im Buch, dass Frauen oft immer noch nach Äußerlichk­eiten beurteilt werden. Gibt es im Tennis Gleichbere­chtigung? Petkovic: Symbolisch haben wir Gleichbere­chtigung, faktisch noch nicht. Wir kriegen bei den vier größten Turnieren des Jahres, den Grand Slams, das gleiche Preisgeld – und das wird uns immer als Makel angehängt. Denn 90 Prozent der Menschen sehen Tennis nur im Zusammenha­ng mit den Grand Slams und denken dann: Die Männer spielen maximal fünf Sätze also bis zu fünf Stunden, die Frauen höchstens drei – das ist ja unfair. Die Krux an der Sache ist, dass die restliche Tennis-Tour 90 Prozent des Jahres ausmacht. Und da haben wir Frauen deutlich weniger Turniere und verdienen deutlich weniger als die Männer. Das heißt, die Frauentour WTA ist gegenüber der Männertour ATP nicht gleichbere­chtigt. Es gibt da schon noch was zu tun. Aber an dem Körperbild hat sich inzwischen zum Glück was getan. Auch athletisch­e Frauen können heute als schön gelten, weil sie für Fitness stehen.

Aber ist es denn nicht auch schön für Sie, dass durch Ihr Buch jetzt Bilder von Ihnen in die Öffentlich­keit kommen, die Sie nicht im Sportdress unter Volldampf zeigen?

Petkovic: Doch, stimmt. Das hat mich selbst überrascht, als ich neulich ein Foto von einer Lesung in der Zeitung von mir gesehen habe: mal nicht mit zerzausten Haaren, sondern einer Frisur, nicht von der Anstrengun­g verschwitz­tem und verzerrtem Gesicht, sondern sogar mit ein bisschen Schminke… (lacht)

Das nächste Jahr, wenn dann hoffentlic­h alles wieder anläuft, wollen Sie aber selbst noch spielen?

Petkovic: Dieses Jahr habe ich nur ein einziges offizielle­s Match gespielt. 3:6, 3:6, erste Runde der French Open. Für mich war das okay, weil ich einen Fuß in das Leben danach halten konnte. Aber jetzt habe ich schon sehr viel Motivation, im November wieder mit richtigem Training anzufangen und ein paar Turniere zu spielen. Ich will angreifen.

Ist das immer noch der Ehrgeiz, der Sie von Kindheit an angetriebe­n hat, oder hat sich da was verändert? Im Buch kann man den Eindruck gewinnen, dass das Glücklichs­ein bei all den Erfolgen viel zu kurz gekommen ist… Petkovic: Das ist die größte Ironie, die mich ärgert. Dass ich jetzt viel glückliche­r bin in diesem ganzen Lifestyle des Tennis. Ich habe Freunde überall auf der Welt. Ich bin nicht mehr so alleine wie 90 Prozent meiner Karriere. Es ist ja nicht leicht, überall Freunde zu finden. Das kannst du erst, wenn du zehn Jahre in Folge an die gleichen Orte kommst. Das habe ich mir alles aufgebaut. Und ich kann inzwischen auch alleine mit einem Buch ins Restaurant gehen und happy sein. Aber dafür bleiben jetzt so ein bisschen die Erfolge aus. Teilweise hat das mit meinem Körper zu tun, der mich etnicht was im Stich lässt. Aber ich habe die Theorie, dass man innere Konflikte braucht, um richtig erfolgreic­h zu sein im Sport. Denn das treibt dich über die Grenzen, die man sonst eher nicht überschrei­tet. Ich bin jetzt glückliche­r und kann meine inneren Konflikte nicht mehr so auf dem Platz manifestie­ren, nach dem Motto: „Ich will euch alle zerstören!“Das hatte ich früher viel mehr.

Können Sie sich vorstellen, nach dem Ende Ihrer aktiven Karriere dem Tennis erhalten zu bleiben?

Petkovic: Ich dachte immer: Nein. Tennis war bisher mein ganzes Leben. Ich dachte mir immer, dass ich danach alles außer Tennis machen will. Dann war ich aber vor kurzem in München zu einem Trainingsl­ager. Barbara Rittner hatte fünf junge Mädchen zwischen 15 und 17 eingeladen und hatte mich gefragt, ob ich mit denen ein bisschen trainieren kann. Das hat mir wahnsinnig Spaß gemacht, weil ich gemerkt habe, dass das eine Wirkung hat. So viel Altruismus hätte ich mir gar nicht zugetraut. (lacht)

Inzwischen sind mehrere Spielerinn­en mit Nachwuchs auf der Tour. Wie sieht es bei Ihnen mit Gründung einer Familie aus?

Petkovic: Keine Ahnung, wirklich. Mit 28, 29 hatte ich eine Krise. Ich habe mich gefragt, ob ich jetzt einfach weiter Tennis spielen soll? Was ist mit Familie? Aber es ist schwer, eine Beziehung zu erhalten, wenn man 30 bis 40 Wochen im Jahr unterwegs ist. Und wenn man Kinder kriegen will, sollte man vorzugswei­se schon etwas länger mit jemandem zusammen gewesen sein. Aber mit den Gedanken kam ich zu keinem Schluss. Und zum Glück ist das ja alles ein bisschen entspannte­r geworden, was die Biologie betrifft. Ich will schon irgendwann Familie haben. Interview: Andreas Kornes

und Wolfgang Schütz

Andrea Petkovic wurde 1987 als Tochter eines Tennistrai­ners im ehe‰ mals jugoslawis­chen Tuzla geboren. Seit über 15 Jahren ist sie Tennis‰ Profi und gehört mit sechs Turniersie‰ gen auf der WTA‰Tour zu den erfolg‰ reichsten Deutschen dieser Zeit. Sie hat außerdem ein 1,2‰Abitur, an der Fern‰Uni Hagen Politikwis­senschaft studiert… – und moderiert immer wieder die ZDF‰Sportrepor­tage. Kürz‰ lich ist ihr Erzählungs­band „Zwi‰ schen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“erschienen (Kiepenheue­r & Witsch, 272 S., 20 Euro).

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Foto: Nils Heck Zweimal stand sie unter den besten Zehn der Welt im Tennis, jetzt hat sie ein Buch mit Erzählunge­n aus ihrem Leben geschriebe­n: Andrea Petkovic, 33.

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