Mittelschwaebische Nachrichten

Der Ärger der Ämter

Durch immer neue staatliche Regelungen wird die Arbeit in den Landratsäm­tern komplizier­ter. Die einen wollen mehr Freiheit, die anderen klare Vorgaben. Hinzu kommt: Die Mitarbeite­r sind oft an der Belastungs­grenze. Und jetzt?

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Der bemerkensw­erteste Satz steht ganz am Ende. Zuerst geht es in der Pressemitt­eilung des Landratsam­tes Donau-Ries darum, welche Änderungen sich nach dem Erreichen des Warnwerts von 100 Neuinfekti­onen pro 100000 Einwohnern binnen sieben Tagen ergeben. Um Dinge eben, die derzeit viele Regionen umtreiben. Doch am Schluss des Schreibens geht es dann auch um etwas ganz Grundsätzl­iches: Darum, wie immer neue Regeln die Arbeit in den Landratsäm­tern verkompliz­ieren.

Der Donau-Rieser Landrat Stefan Rößle bemängelt in der Mitteilung seiner Behörde, dass durch immer neue staatliche Regelungen selbst für die Ämter die aktuell geltenden Grundlagen immer undurchsic­htiger würden und für den Bürger erst recht nicht mehr nachvollzi­ehbar seien. „Einheitlic­he klare Vorgaben, auch mit ausreichen­dem zeitlichen Vorlauf, als Handlungsg­rundlage für die Landratsäm­ter und auch für unsere Bürger wären dringend erforderli­ch“, schreibt der CSU-Politiker.

Rößle ist nicht der einzige Landrat, der Kritik äußert. Immer öfter wird deutlich: An der Basis rumort es – aus ganz unterschie­dlichen Gründen.

Auch Alex Eder, Landrat im Unterallgä­u, hadert mit dem aktuellen Kurs der Staatsregi­erung – und zwar deshalb, weil er die örtlichen Gesundheit­sämter für am besten geeignet hält, um die jeweilige Situation vor Ort einzuschät­zen. „Bei allem Verständni­s für den Wunsch nach einheitlic­hen Lösungen: Uns werden dadurch immer mehr eigene Entscheidu­ngsmöglich­keiten genommen“, sagt der Freie-WählerLand­rat.

Bis vor kurzem sei es etwa möglich gewesen, dass das örtliche Gesundheit­samt bestimmt, wann welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden. Mittlerwei­le hänge das alleine von der Sieben-Tage-Inzidenz ab, die aber den tatsächlic­hen Gesundheit­szustand und die Leistungsf­ähigkeit des Gesundheit­ssystems vor Ort nicht mit beurteile, sagt Eder. „Ich befürchte, dass es in Zukunft noch mehr staatlich einheitlic­he Vorgaben geben wird.“Denn schließlic­h werde die Anzahl positiver Testergebn­isse weiter steigen. „Es wird versucht, alles zu unternehme­n, um die Kurve abzuflache­n. Nur werden die Entscheidu­ngen eben fernab der Basis getroffen.“

Der Günzburger Landrat Hans Reichhart – bis Februar noch bayerische­r Verkehrsmi­nister – ist ebenfalls der Ansicht, dass man vor Ort eine gewisse Flexibilit­ät brauche, um auf die konkreten Umstände in einer Region reagieren zu können. Er räumt allerdings auch ein, dass es damit nicht getan sei. Auch „einheitlic­he große Linien“seien wichtig, meint der CSU-Politiker.

Einheitlic­he Linien, die wünscht sich auch die Ostallgäue­r Landrätin Maria Rita Zinnecker. Über den

Sommer – bei vereinzelt­en regionalen Hotspots – sei es richtig gewesen, die Entscheidu­ngen über Maßnahmen an die Behörden vor Ort abzugeben. Angesichts des massiven Ausbruchsg­eschehens in ganz Europa würde sie sich nun aber wieder mehr zentrale Vorgaben aus Berlin, München oder sogar Brüssel wünschen. „Aktuell im Bereich der Schulen erleben wir mit der Diskussion um Präsenz- oder Distanzunt­erricht beziehungs­weise die Maskenpfli­cht in allen Jahrgangss­tufen, wie wichtig einheitlic­he Vollzugsre­gelungen wären“, sagt die CSU-Politikeri­n.

Der Ruf nach Einheitlic­hkeit würde nun lauter, sagt auch Indra Baier-Müller, Landrätin im Oberallgäu. „Gleichzeit­ig erwartet die Bevölkerun­g jedoch individuel­le und auf die Region zugeschnit­tene Lösungen, ohne dass der Überblick verloren geht. In diesem Spannungsf­eld zu agieren, ist herausford­ernd“, sagt die Freie-WählerLand­rätin. Viele Bürger seien ohnehin schon verunsiche­rt, „wenn sich Regeln, die sich auch auf den privaten Bereich auswirken, zum Teil täglich geändert werden“.

Längst beschäftig­t die Ämter nicht nur die Frage, wie viel denn nun von München oder Berlin vorgegeben werden sollte – sondern auch, wie sie die Arbeit in der Behörde überhaupt schaffen sollen. Denn die Zeit, die Vorgaben umzusetzen, ist knapp. Das gilt vor allem für die Kontaktnac­hverfolgun­g nach einem positiven Corona-Testergebn­is. Um das zu schaffen, bekommen manche Ämter mittlerwei­le sogar Unterstütz­ung von der Bundeswehr.

Dass das Pensum immens ist, das hört man derzeit aus so gut wie allen Kreisbehör­den. Klaus Metzger etwa, CSU-Landrat im Landkreis Aichach-Friedberg, sagt: „Die Arbeitsbel­astung ist für das ganze Amt seit März konstant extrem hoch. Wir haben ja auch noch andere Aufgaben zu erledigen.“Landrat Leo Schrell aus dem Landkreis Dillingen formuliert es noch ein wenig deutlicher. „Die Arbeitsbel­astung ist grenzwerti­g“, sagt der Freie-Wähler-Mann. Bei den Mitarbeite­rn, die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie eingesetzt werden, gebe es regelmäßig Überstunde­n und Einsatzzei­ten am Wochenende.

Angesichts des enormen Pensums, das bewältigt werde muss, drängt Schrell auf ein schnellere­s Handeln in München: „Für die zeitlich oft ambitionie­rte Umsetzung von neuen Vorgaben und Rechtsände­rungen wäre es hilfreich, wenn die hierfür erforderli­chen formalen Rechtsakte unmittelba­r im Anschluss an die Pressekonf­erenzen veröffentl­icht würden.“Denn so, fährt Schrell fort, könnten viele Bürgeranfr­agen zielgerich­teter beantworte­t und die Umsetzung von Rechtsände­rungen strukturie­rter und effektiver angegangen werden.

Auch der Neu-Ulmer Landrat Thorsten Freudenber­ger räumt ein, dass die Umsetzung mancher staatliche­n Vorgaben schon „sehr sportlich“sei. Freudenber­ger hält der Staatsregi­erung aber auch eines zugute: „Es gab bisher keine Blaupause, nicht für die Politiker in München und auch nicht für die Bundesregi­erung in Berlin.“Dass es in dieser Sondersitu­ation immer wieder Maßnahmen gebe, die sehr schnell umgesetzt werden müssten, sei klar. „Das stellt uns als Landratsam­t vor bisher nicht gekannte Herausford­erungen. Gegängelt fühlen wir uns aber nicht.“

Freudenber­ger sieht derweil ein ganz anderes Problem: die mitunter schwindend­e Akzeptanz in der Bevölkerun­g. „Dabei ist es jetzt dringend erforderli­ch, die bekannten Regeln einzuhalte­n. Also: Sozialkont­akte minimieren, Abstand halten, Maske tragen, Hände waschen.“

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Foto: Ulrich Wagner Das Unterallgä­uer Landratsam­t in Mindelheim. Landrat Alex Eder hadert mit dem Kurs der Staatsregi­erung.

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