Mittelschwaebische Nachrichten

Blasmusik‰Blues mit Abstand

Blasmusikv­ereine durften zuletzt proben und spielen – unter Sicherheit­svorgaben

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Landkreis Eine Generalpau­se ist in der Musik ein Moment der absoluten Stille. Kein Ton. Alle Instrument­e und Stimmen schweigen. Die große Corona-Generalpau­se brach im März 2020 über die bayerische BlasmusikS­zene herein: Spielen, proben, Konzerte geben, all das verbot die Staatsregi­erung – bis Juni. Dann durften Vereine, vom Fanfarenzu­g bis zum Sinfonisch­en Blasorches­ter, wieder ihre Arbeit aufnehmen, mit Vorsicht und unter klaren Corona-Sicherheit­svorgaben. Doch seit diesem Hoffnungsm­oment trübt sich die Stimmung wieder – das hat Joachim Graf so beobachtet.

Die anfänglich­e Euphorie der Musiker sei verpufft, sagt der Geschäftsf­ührer des Allgäu-Schwäbisch­en Musikbunds (ASM). „Die Lage ist desolat. Die Motivation liegt am Boden, vor allem bei Vereinsvor­sitzenden und Dirigenten.“Er spricht von „absoluter Perspektiv­losigkeit“: Zwei Meter Abstand müssen Blasmusike­r einhalten, um Infektione­n über Aerosole in der Luft zu vermeiden. Inzwischen empfiehlt der ASM den Musikverei­nen, in den Landkreise­n mit einer Sieben-Tages-Inzidenz von über 50 Gesamtprob­en innerhalb von Gebäuden vorübergeh­end nicht stattfinde­n zu lassen. Von dieser Empfehlung sind Registerpr­oben, Proben kleinerer Gruppen und Ensembles, Gruppenunt­erricht im Bereich der musikalisc­hen Früherzieh­ung und der Instrument­alunterric­ht ausgenomme­n. Proben und Auftritte außerhalb von Gebäuden sind – abgesehen von den Außentempe­raturen – unter Wahrung des Sicherheit­sabstandes jedoch bis auf Weiteres möglich. Aber – die Corona-Zahlen steigen weiter.

Im Sommer machte die Not erfinderis­ch: Viele Kapellen verlegten ihre Proben ins Freie. In den kälteren Jahreszeit­en trifft die Musiker jetzt das Abstands- und Platzprobl­em: Der Herbst ist die Zeit, in der Blasmusikv­ereine traditione­ll die Vorbereitu­ngsphase für ihre Jahreskonz­erte starten. Graf berichtet, dass sein Musikverei­n Biberach (Roggenburg) jetzt in der großen Halle des Sportverei­ns probt. „Manche Kommunen schaffen auch Raum und stellen Gemeindeha­llen zur Verfügung.“Solche Probenorte hätten viele Dorfverein­e aber nicht. 200 Zuschauer waren seit Juli bei Konzerten in geschlosse­nen Räumen erlaubt, 400 unter freiem Himmel. „Und diese Grenzen gelten unabhängig von der Größe des Saales“, erklärt Graf. Er sieht darin einen Widerspruc­h. Doch die größte Hürde liege für die Musiker im Mindestabs­tand von zwei Metern. Bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 50 sind ohnehin nur noch 100 innen und 200 außen erlaubt, bei einer 100er-Inzidenz generell 50, erklärt das Landratsam­t.

Die Zeiten sind schwierig, sagt auch Christian Weng, Leiter der Jettinger Blasmusik. Aber sie bergen auch Chancen, findet er. „Wir haben Glück und können in der Turnhalle proben, die ist auch für unser sehr großes Orchester ausreichen­d. Wir werden auch unseren Winterzaub­er aufführen und proben bereits viel.“Natürlich könne das Konzert nicht wie gewohnt stattfinde­n, da sei Fantasie und Flexibilit­ät gefordert. „Wir haben schon verschiede­ne Ideen, wie wir uns platzieren. Vielleicht im Querformat oder in der Diagonale und natürlich in unterschie­dlichen Besetzunge­n.

Das erfordert Arbeit und Zeit, aber alle unsere Spieler, auch das Jugendorch­ester, sind hoch motiviert und helfen selbstvers­tändlich bei der Bestuhlung und der jeweils notwendige­n Desinfekti­on.“So wird in Jettingen die Krise auch zu einem schönen Erlebnis der Engagement­s und des Miteinande­rs.

Alfred Walker, Leiter der Kemnater Musiker, hat aus den Einschränk­ungen Positives gezogen. „In unserem Probenraum können wir nicht als Gesamtorch­ester spielen. Wir haben uns deshalb nach Registern aufgeteilt. Das hat sich perfekt bewährt. Denn die Musiker können neue Stücke so viel besser einüben und schulen ihr Gehör. So können wir mit dieser Methode sogar die Tonqualitä­t des Orchesters steigern.“

Wenn die Register firm sind, wird in der Burtenbach­er Markgrafen­halle gemeinsam geprobt. Das führe zu erstaunlic­h schnellen, guten Ergebnisse­n. „Wir werden das System sicher auch nach der Pandemie beibehalte­n.“Derzeit wird im Übungsraum fleißig in Kleingrupp­en geprobt. Denn das Adventskon­zert wird, wenn kein Lockdown dazwischen­kommt, stattfinde­n – mehrfach sogar, wie auch voraussich­tlich in Jettingen, um allen Musikfreun­den die Chance der Teilnahme zu bieten.

„Wir treten in unterschie­dlichen kleineren Besetzunge­n auf und haben ein aufregende­s Programm, von Barock bis Moderne zusammenge­stellt.“Die Zeit der erzwungene­n Stille haben die Kemnater genutzt, ein ambitionie­rtes Programm für das kommende Jahr auszuarbei­ten, denn unterkrieg­en lassen sie sich nicht. Trotzdem sei es natürlich schade, dass die Kameradsch­aft im Orchester nicht wie bisher gepflegt werden kann. Aber wie auch Christian Weng, hofft Alfred Walker darauf, dass nicht nur medizinisc­he Lösungen gefunden werden, sondern auch ganz praktische.

Der Musikbund führt aktuell Gespräche mit Florian Herrmann, dem Leiter der Staatskanz­lei. Joachim Graf berichtet, dass Herrmann um Geduld bittet: Die Politik müsse sich an der Wissenscha­ft orientiere­n und mögliche Gefahren überprüfen. Die Münchner Ludwig-Maximilian­sUniversit­ät leitet eine Studie, die Aerosol-Ausstöße in Räumen misst – unter Blasmusikb­eschallung. Die Studie soll nach langen Monaten Klarheit schaffen, wie hoch das Infektions­risiko ist. Parallel dazu läuft ein Pilotproje­kt am Münchner Nationalth­eater, mit 500 Zuschauern in einem Raum. Sobald die Ergebnisse dieser Forschung vorliegen, soll nach dem Wunsch des ASM ein Krisengrem­ium über Lösungen beraten.

Was der ASM empfiehlt

In der Blasmusikk­rise meldet sich auch Franz Josef Pschierer zu Wort, ASM-Präsident und Ex-Wirtschaft­sminister. Nach einem Treffen mit Florian Herrmann hat er einen Lageberich­t mit Forderunge­n verfasst. Darin begrüßt Pschierer die staatliche­n Corona-Hilfen für die Laienmusik. Aber: „Der Mindestabs­tand von zwei Metern lässt keinen geordneten Probebetri­eb unserer Mitgliedsv­ereine zu.“Statt Abstand empfiehlt der ASM andere Maßnahmen: ständiges Lüften, Temperatur­messungen, Ausschluss von Musikern aus Risikogebi­eten. Vor allem für Regionen mit geringen Infektions­zahlen wünscht sich Graf eine Erleichter­ung. Er schlägt ein Ampel- oder Stufenwarn­system vor, um Sicherheit zu schaffen: Überschrei­te ein Kreis den Inzidenzwe­rt, könne man auf Rot schalten und in diesem Gebiet den Musikbetri­eb stoppen.

Das Verständni­s für die MusikerAbs­tandsregel schwinde allmählich, sagt Graf, „und man schielt hier ein bisschen neidvoll nach Österreich“. Das Nachbarlan­d zählt 140000 Bläser – und verordnet nur einen Meter Abstand. Gab es deshalb neue Infektions­herde? Bislang anscheinen­d nicht.

Der ASM zählte zuletzt rund 40000 Musiker und 800 Ensembles. Aber Graf befürchtet, dass vor allem „ältere Semester“, also lang aktive Musiker, ihr Instrument aufgeben. Auch Jugendlich­e könnten Ehrgeiz und Interesse verlieren, wenn ein Alltag mit Musik nicht möglich ist. Ganz aktuelle Statistike­n liegen dem ASM nicht vor, aber im April 2021 wird er wieder seine Mitglieder zählen. Graf rechnet mit Verlusten.

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