Mittelschwaebische Nachrichten
Das Leben des Fritz Walter vor dem Wunder von Bern
Ein neues Buch beschäftigt sich mit der Jugend des legendären Torjägers. Nur mit Glück überstand er die Kriegswirren
Augsburg Fritz Walter – der Name weckt Erinnerungen an diese Bilder: ein abgekämpfter, nicht mehr junger Mann, im vom Regen durchnässten Trikot der Nationalelf. Euphorisierte Menschen tragen ihn auf den Schultern, er hat ein scheues Lächeln auf den Lippen. Oder: Er steht still da, erschöpft, melancholischer Blick. Hätte er nicht diese kleine, schlanke Statue in Händen, niemand würde glauben, dass er gerade Weltmeister geworden ist.
Die kollektive Erinnerung an Fritz Walter, der am Samstag 100 geworden wäre, fokussiert sich im Wesentlichen auf das „Wunder von Bern“. Walter war damals, am 4. Juli 1954, bereits 33 Jahre alt, stand im Herbst seiner Karriere. Bilder, Geschichten, Fakten aus seinem Leben vor Bern? Überstrahlt, verdrängt, vergessen.
Dem jungen Fritz widmet sich nun das Buch „Unter Bombern“. Der Autor Stefan Mayr ist ein gebürtiger Augsburger, hat seine Laufbahn als freier Mitarbeiter für die Sportredaktion der Augsburger Allgemeinen begonnen, spielte im Bayernliga-Team des FCA und schrieb später für die Süddeutsche Zeitung.
Was sein Buch nicht nur für Fußball-Fans lesenswert macht: Es geht letztlich darum, wie Menschen versuchen, den Horror des Krieges zu verdrängen. Fußball ist da ein passendes Mittel. Der Untertitel des Buches ist programmatisch: „Fritz Walter, der Krieg und die Macht des Fußballs.“
Mayr erinnert an Episoden der deutschen (Fußball-)Geschichte, die friedensverwöhnten Generationen unglaublich absurd erscheinen müssen. Selbst als bereits Bomben auf Deutschland fallen, kommen noch Zehntausende in die Stadien. Bis Ende 1942 werden Länderspiele ausgetragen (sogar mehr als zuvor). Noch im Juni 1944 wird um die deutsche Meisterschaft gespielt. In der Wehrmacht gibt es Soldatenteams, die zur Truppenbetreuung auftreten. Ein Luftwaffen-Offizier baut eine Art private Mannschaft auf. Noch im Frühjahr 1945 spielen diese „Roten Jäger“.
Mit dabei: Fritz Walter. Er ist ein stiller Profiteur der Fußball-Leidenschaft der Deutschen. Er steht unter dem Patronat von Sepp Herberger. Mayr trägt aus zahlreichen Quellen zusammen, mit welchen Tricks der Reichstrainer „seine“Spieler vor dem Fronteinsatz zu bewahren versucht. Im Fall Fritz Walter gelingt ihm das.
Als Gegenbeispiel beleuchtet Mayr das Schicksal von August Klingler. Wie Walter ein junger, vielversprechender Nachwuchsstar. Aber ihn kann Herberger nicht ausreichend schützen. Er verliert sein Leben in den Wirren der letzten Kriegsmonate. Wie fast 40 weitere Nationalspieler. Mayrs Buch zeigt: Die Macht des Fußballs ist groß, manchmal grotesk groß. Aber auch sie hat Grenzen. Am Ende ist es nur das Glück, das Fritz Walter vor dem Tod bei Bombenangriffen oder der Gefangenschaft in Sibirien bewahrt. Und damit den Weg frei macht für das Wunder von Bern.
» Stefan Mayr, „Unter Bombern – Fritz Walter, der Krieg und die Macht des Fußballs“, riva Verlag, 19,99 Euro.