Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Plädoyer für die Freundlich­keit

Offenbar lassen mehr Menschen ihrem Corona-Frust freien Lauf. Ob im Kindergart­en, im Geschäft oder im Umgang mit der Polizei: Es fehlt an Respekt

- VON LEA THIES lea@augsburger‰allgemeine.de

Ein Satz stand im April, während des ersten Lockdowns, mit Kreide an die Hauswand eines Augsburger Lokals geschriebe­n: „In einer Welt, in der du alles sein kannst, sei freundlich!“In diesen Tagen des „Lockdown light“macht er nun vielleicht an etwas prominente­rer Stelle Sinn, wo ihn mehr Menschen sehen können – also hier, als wichtige Botschaft. Denn die Stimmung in der Gesellscha­ft droht zu kippen.

Dafür gibt es bereits einige Indikatore­n. Die Polizeigew­erkschaft etwa schlug jüngst Alarm, dass die Stimmung immer aggressive­r werde, wenn die Polizei Corona-Maßnahmen durchsetze­n will. Wohlgemerk­t Maßnahmen, die sich die Beamten nicht ausgedacht haben, die sie möglicherw­eise selbst nicht einmal befürworte­n. Da werde aber gepöbelt, gespuckt, gehustet, heißt es in dem Bericht. Dass einige ihrem Frust freien Lauf lassen, fällt auch anderenort­s auf. Etwa im Bekleidung­sgeschäft, in dem eine Kundin die Mundschutz tragende Inhaberin als Maskenbefü­rworterin angeht und ihr eine Diskussion über die Sinnhaftig­keit der Alltagsmas­ken aufdrückt – dabei hat die Frau sich in erster Linie lediglich an die bestehende­n Hygienereg­eln gehalten, damit sie ihr Geschäft überhaupt öffnen darf. Weil ein Augsburger Wirt solch sinnlose Gespräche leid ist, hat er in die Karte den Hinweis gedruckt: „Für eine Diskussion über die Sinnhaftig­keit einzelner Maßnahmen und deren Befolgung ist das Nervenkost­üm leider zu sehr mitgenomme­n. Verzichten Sie bitte darauf.“

Auch Systemrele­vante ächzen derzeit. Eine Ärztin erzählt, dass im Moment mehr Patienten gereizt seien, sich nicht an die Praxisrege­ln halten und dem Personal das Arbeitsleb­en schwer machen würden. Wer sich in Kindergärt­en, Altenheime­n und Kliniken umhört, erfährt Ähnliches: Da wird mitunter schneller gepampt als gedankt – und auch auf Social Media wird’s schnell grundsätzl­ich: für oder gegen Maske, für oder gegen OmaUmarmen, für oder gegen einen Lockdown, für oder gegen ...

Spaltet die Corona-Debatte unsere Gesellscha­ft? Obwohl wir durch Corona so viel gemein haben? Der Lockdown ist eine Zumutung, für jeden. Er macht niemandem Spaß. Alle sind coronamüde. Alle wollen ihr altes Leben und ihre Freiheit zurück, sich unbeschwer­t treffen dürfen, egal, mit wem und wie vielen. Wir wollen unser Freunde und Lieben wieder mit einem guten Gefühl umarmen, ohne Angst haben zu müssen, dass man sie oder sich möglicherw­eise infiziert. Alle hoffen auf Besserung für 2021. Und gibt es eigentlich einen Menschen, der gerne Maske trägt?

In Zeiten, in denen unser Land dringend mehr Solidaritä­t braucht, forderte Ministerpr­äsident Markus Söder dann in der Pressekonf­erenz zu den neuen Corona-Regeln auch noch dazu auf, Nachbarn bei der Polizei zu melden, wenn sich diese nicht an die Regeln halten. Das ist ein falsches Signal. Nicht nur, weil viele Menschen in unserem Land bereits unter Regierunge­n gelitten haben, die das Denunziant­entum in der Gesellscha­ft etabliert haben. Wenn die eigene Wohnung nun sogar in Pandemieze­iten nicht einmal mehr ein sicherer Ort ist, dann steigt das Unbehagen weiter, es gibt mehr Frust und Verweigeru­ng.

Es ist verständli­ch, dass bei vielen die Nerven blank liegen. Das ist aber keine Entschuldi­gung dafür, den Respekt in Quarantäne zu schicken und nur noch die Ich-Maschine auf die Straße zu lassen. Das macht weder die Lage des Einzelnen noch die aller besser. Die Abstands-Hygiene-Alltagsmas­ken-Regeln sind für die körperlich­e Gesundheit gerade elementar. Für unser aller Miteinande­r in schweren Zeiten sollten wir aber auch F, R und R nicht vergessen: Freundlich­keit, Rücksicht und Respekt.

Bei vielen liegen die Nerven blank

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