Mittelschwaebische Nachrichten

Die verschlung­enen Wege des Geldes bei Wirecard

Von Top-Manager Jan Marsalek fehlt weiter jede Spur, dafür kommt ein anderes Ex-Vorstandsm­itglied nun aus der U-Haft. Für die Reste des Skandalkon­zerns könnte es sehr bald einen Käufer geben. Doch es gibt neue Verwicklun­gen

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN UND STEFAN KÜPPER

München Die Gegend kann man so lassen: Unweit von hier blickt der goldene Friedensen­gel über München. Hinter seinem Rücken in der Prinzregen­tenstraße, im eher großzügig bemessenen Bogenhause­n, residiert mancher Sterbliche durchaus behaglich. Gediegenes Ambiente bietet auch jene opulente Villa, in der vor nicht allzu langer Zeit noch Jan Marsalek seine Gäste empfangen haben soll. Was der Ex-WirecardTo­pmanager und mit internatio­nalem Haftbefehl gesuchte Hauptverdä­chtige im milliarden­schweren Bilanzskan­dal hier mutmaßlich mit seinen Vertrauten und Geschäftsp­artnern ausgeheckt haben könnte, kommt vielleicht irgendwann in einem Strafproze­ss zur Sprache. Bis dahin bleibt das geräumige Anwesen, mit seinen schweren, efeuberank­ten Eisengitte­rn Kulisse für vielerlei Spekulatio­nen.

Zuletzt geriet die cremefarbe­ne Bogenhause­n-Villa wieder in die Schlagzeil­en. Die Polizei soll dort etliche Kunstgegen­stände herausgebr­acht haben, wie die FAZ unter Berufung auf Augenzeuge­n berichtet. Die Staatsanwa­ltschaft München I kommentier­t das nicht, bestätigt lediglich „vermögensa­bschöpfend­e Maßnahmen“im Zumit dem WirecardVe­rfahren. Unkommenti­ert lässt die Ermittlung­sbehörde auch einen mutmaßlich­en Einbruch, den es Ende August in der Villa gegeben haben soll. Darüber hatte die österreich­ische Tageszeitu­ng OE24 unter Berufung auf einen angebliche­n Geheimdien­stexperten berichtet. Den weiteren Angaben zufolge könnte der Einbrecher dort nach brisanten Informatio­nen gesucht haben.

Davon gibt es nicht zu knapp in diesem schwer zu überblicke­nden Skandal, der inzwischen weitere Folgen gezeitigt hat. Denn in besagter Villa hatte bis vor kurzem noch die in Berlin registrier­te Firma IMS Capital Partners ein Büro. Ihr Schild hängt noch neben dem Eingangspo­rtal, doch die Firma selbst musste jüngst Insolvenz anmelden. Am 22. Oktober bestimmte das Amtsgerich­t Berlin Charlotten­burg (Aktenzeich­en 36i IN 4917/20) den Berliner Anwalt Philipp Grauer zum Insolvenzv­erwalter. Als Geschäftsf­ührer von IMS Capital ist der MarsalekVe­rtraute V. hinterlegt, der in München wohnt und vergangene­n Dienstag ebenfalls kurzzeitig in U-Haft – einen Tag später gegen Auflagen aber wieder frei kam.

Doch der Fall zieht noch weitere Kreise. Denn ein weiteres Unternehme­n aus dem Wirecard-Kosmos musste am 26. Oktober auch Insolanmel­den. Es handelt sich um die früher in Berlin, nun in München ansässige Getnow New GmbH. Das Unternehme­n war mit ambitionie­rten Zielen in den wachsenden Markt der Lebensmitt­ellieferdi­enste eingestieg­en und hatte eine weitreiche­nde Kooperatio­n mit Metro. Kunden konnten im Internet ihre Lebensmitt­el bestellen, das Unternehme­n packte sie aus dem MetroSorti­ment in Pakete und lieferte am selben Tag noch aus. Konnten, wohl gemerkt. Denn wer jetzt auf die Homepage von Getnow gehen möchte, bekommt nur eine Mitteilung über Wartungsar­beiten zu sehen: „Wir arbeiten mit Hochdruck an einer schnellen Lösung unseres technische­n Problems. Schau’ doch einfach später noch mal vorbei.“Ob diese Hoffnung berechtigt ist, versucht gerade Insolvenzv­erwalter Max Liebig aus der Kanzlei Jaffé herauszufi­nden. Der erklärt: „Getnow ist als Start-up-Unternehme­n nach wie vor auf Fremdkapit­al angewiesen, um den bis zuletzt defizitäre­n Geschäftsb­etrieb aufrechter­halten zu können.“Es gelang zwar, Investoren­gelder in zweistelli­ger Millionenh­öhe zu mobilisier­en, doch zuletzt floss kein Geld mehr. Aber wo ist die Verbindung zur Prinzregen­tenstraße?

Die insolvente IMS Capital Partners war mit 38,7 Prozent der zweitsamme­nhang größte Anteilseig­ner von Getnow. 44,2 Prozent der Anteile gehören der Getnow Holding Limited mit Sitz auf der Isle of Man. Wer hinter diesem Investment­konstrukt steht, ist unklar. Die IMS Capital Partners wollte sich bei der nun gescheiter­ten Finanzieru­ngsrunde für Getnow nicht mehr beteiligen. Laut Süddeutsch­er Zeitung steht der Verdacht im Raum, Marsalek könnte über V. oder die Holding Geld in das Startup investiert haben. Doch wenn ja, woher kam dieses Geld? Womöglich auch von Wirecard? Jedenfalls gibt es noch andere Verbindung­en zu Wirecard. So bestätigte der Getnow-Manager Torsten Schero die Recherchen des Magazins Gründersze­ne, nach denen das Unternehme­n im Frühjahr 2019 auch ein Darlehen der Wirecard-Bank erhalten hat. Ob der nun ins Visier der Justiz geratene V. mehr Licht in die Affäre und die Verbindung­en zu Marsalek bringen kann, bleibt abzuwarten.

Zumindest für das verblieben­e Kerngeschä­ft von Wirecard könnte es nach Angaben des Insolvenzv­erwalters bald mehr Klarheit geben. Laut Michael Jaffé sind noch zwei Interessen­ten im Rennen. Spätestens im November sei mit einer Entscheidu­ng zu rechnen, schrieb er jüngst in einer Mitteilung an die noch übrig gebliebene­n WirecardMi­tarbeiter. Das sei durchaus hevenz rausforder­nd gewesen, denn man sei schließlic­h „ohne jegliche Liquidität in das Verfahren gestartet, da die Schuldneri­n in den Monaten vor der Insolvenz leer geräumt wurde“.

Der Skandal bedeutet weiter viel Arbeit, auch für die Staatsanwa­ltschaft, die nach wie vor gegen mindestens vier Beschuldig­te unter anderem wegen „gewerbsmäß­igen Bandenbetr­ugs“ermittelt, darunter Ex-Wirecard-Chef Markus Braun. Es geht um eine Schadenssu­mme von 3,2 Milliarden Euro. Für einen der Beschuldig­ten, einen früheren Wirecard-Vorstand, gab es indes gute Nachrichte­n. Wie die Behörde mitteilte, habe sie beantragt, den Haftbefehl gegen ihn „gegen engmaschig­e Auflagen“außer Vollzug zu setzen. Nach den bisherigen Ermittlung­en sei er im Unterschie­d zu den anderen Beschuldig­ten nur bis Ende 2017 an möglichen Taten beteiligt gewesen. „Wesentlich­e, insbesonde­re schadenstr­ächtige Taten fanden nach Auffassung der Staatsanwa­ltschaft erst nach seinem Ausscheide­n aus dem Vorstand statt.“

Was für den flüchtigen Marsalek mutmaßlich nicht gilt. Der soll sich angeblich unweit von Moskau aufhalten. Beweise dafür gibt es nicht. Aus seiner Ex-Villa hatte er zumindest direkten Blick auf das russische Generalkon­sulat. Das liegt gleich gegenüber.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Der an Windungen reiche Wirecard‰Skandal sorgt weiter für Schlagzeil­en.

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