Mittelschwaebische Nachrichten

Wie Corona‰Regeln Familien spalten

Die Kontaktbes­chränkunge­n treffen Familien besonders schwer. Plötzlich Oma und Opa weniger sehen? Damit hadern einige. Patchworkf­amilien haben nun noch andere Probleme

- VON LEA THIES

Augsburg Abstand halten, Kontakte reduzieren, auf Umarmungen verzichten – mit diesen Regeln tun sich besonders Familien schwer. In den vergangene­n Monaten mussten die meisten Familien für sich elementare Fragen klären. Etwa: Können wir Oma und Opa in Corona-Zeiten überhaupt noch besuchen? Was ist wichtiger, die körperlich­e oder die seelische Gesundheit? Umarmen wir uns noch oder lieber nicht? Zeige ich Liebe, indem ich ein Familienmi­tglied durch Distanz schütze oder indem ich es treffe?

Und nun, da wieder ein Lockdown stattfinde­t, die Regeln verschärft wurden und die Infektions­zahlen steigen, müssen wieder neue Fragen geklärt, neue Entscheidu­ngen getroffen werden. Oma und Opa zu besuchen, ist nach wie vor nicht verboten (zwei Hausstände mit maximal zehn Personen dürfen sich gleichzeit­ig treffen), – aber kann man das in diesen Zeiten mit einem guten Gefühl tun? Die Bundesregi­erung empfiehlt, persönlich­e Treffen mit Familie und Freunden einzuschrä­nken – und besonders Kontakt zu Risikogrup­pen zu meiden, zu denen Senioren wegen ihres Alters gehören. „Ziel unserer Regeln ist, unnötige Kontakte zu vermeiden und insbesonde­re ältere Menschen vor einer Infektion zu schützen. Es ist also schon allein ein Gebot der Vernunft, dass Treffen von zwei Hausstände­n nur einmal am Tag stattfinde­n – und auch das nur dann, wenn es wirklich wichtig ist“, sagt ein Sprecher des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums.

Es gibt nun zwei Lager: Da sind die Familien, die zu anderen, haushaltsf­ernen Familienmi­tgliedern sicherheit­shalber auf Abstand gehen, und solche, die auch in Pandemieze­iten nichts im Umgang mit Oma, Opa, Tante, Onkel ändern (möchten). Das wird auch unter einem Facebook-Aufruf unserer Zeitung deutlich, in dem wir Leserinnen und Leser gebeten haben, vom Familienle­ben in Corona-Zeiten zu berichten (Reaktionen siehe Infokasten).

„Der Mensch ist ein soziales Wesen, wir brauchen einfach soziale Kontakte“, sagt Frank Niklas, Professor für pädagogisc­he Psychologi­e und Familienfo­rschung an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München. Familie ist im Grunde genommen Kontakt de luxe. Alles, was die Familie betrifft, trifft schnell ins Herz und kann daher auch wehtun. Schließlic­h handelt es sich um geliebte Menschen, mit denen man mitfühlt. Das liegt an der besonderen Bindung, weiß Frank Niklas. „Heutige Großeltern verbringen so viel Zeit mit ihren Enkeln wie keine Großeltern­generation zuvor.“Das hänge auch damit zusammen, dass sie älter werden und länger aktiv sind. Niklas zitiert Studien, wonach 95 Prozent der Kinder und Jugendlich­en im Alter von 15 Jahren noch mindestens einen Großeltern­teil und mehr als ein Drittel der Kinder täglich Kontakt zu einem Großeltern­teil haben. Oma und Opa sind wichtige Bezugspers­onen geworden. Und das macht die Sache in Corona-Zeiten besonders komplizier­t. Liebe, Zuneigung, Zuwendung birgt plötzlich ein Risiko, den geliebten Menschen anzustecke­n und gar zu gefährden.

Eine perfekte Lösung gibt es nicht. „Das muss jede Familie für sich entscheide­n, welche Prioritäte­n sie setzen, welches Risiko sie einzugehen bereit ist“, sagt Professor Niklas. Wichtig sei es, offen miteinande­r über die Situation zu sprechen, Wünsche und Sorgen zu äußern, nichts zu erzwingen.

Niklas weiß auch, dass einige Familien durch das Regelraste­r fallen, das von der Regierung für die OttoNormal-Familien geschneide­rt wurde. Zahlreiche Patchworkf­amilien etwa haben gerade Probleme mit der Zwei-Hausstands-Regel. Besucht ein Kind am Wochenende etwa seinen Vater, gilt es laut Gesundheit­sministeri­um als eigener Hausstand. Heißt: Ein Spaziergan­g mit Vater und Oma wäre demnach nicht erlaubt, weil sich im Moment nur maximal zwei Hausstände treffen dürfen. Geschwiste­r, die in drei verschiede­nen Haushalten leben, dürfen nicht miteinande­r spielen. „Wenn sie durchs Raster fallen, wird es für manche Familien schwierig, die Regeln einzuhalte­n. Dann steigt der Frust“, sagt Niklas und spricht sich für mehr Sonderrege­lungen aus.

Viele Patchworkf­amilien kämpfen in Corona-Zeiten mit einem noch größeren Dilemma. Kommt das Kind zum Umgang in die andere Familie, besteht jedes Mal bei so einem Besuch ein erhöhtes Infektions­risiko. Schutz ist in diesem Fall unmöglich. Denn das Kind in Corona-Zeiten gar nicht zu treffen oder nicht zu umarmen – diese Frage stellt sich gar nicht erst.

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Foto: imago images / Panthermed­ia Zur Oma nur noch Abstand halten, den Enkel nicht mehr in den Arm nehmen – viele Familien ringen in diesen Zeiten darum, wie sie angesichts der momentanen Beschränku­ngen den Kontakt zu den Angehörige­n hand‰ haben wollen.

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