Mittelschwaebische Nachrichten

Eltern wütend: „Chaos“an Schulen

Mit deutlichen Worten kritisiere­n Elternverb­ände die aktuelle Situation an Bayerns Schulen. Kultusmini­ster Michael Piazolo reagiert irritiert

- VON ULI BACHMEIER

München „Es reicht. Bis hierher und nicht weiter. Steuern Sie um, sofort!“Mit dieser und weiteren drastische­n Formulieru­ngen in einem vierseitig­en „Brandbrief“fordern bayerische Elternverb­ände Kultusmini­ster Michael Piazolo (Freie Wähler) auf, Druck von den Schülern zu nehmen. Sie werfen ihm sogar vor, Verspreche­n gebrochen zu haben. Piazolo zeigt sich in einer ersten Reaktion irritiert: „Offene Briefe zu schreiben, obwohl ich immer gesprächsb­ereit bin, ist befremdlic­h – zumal wir in zwei Tagen ohnehin ein Gipfelgesp­räch abhalten, zu dem auch der Elternverb­and eingeladen ist.“

Die Liste der Klagen und Vorwürfe, die Susanne Arndt (Landeselte­rnvereinig­ung der Gymnasien in Bayern) und Martin Löwe (Bayerische­r Elternverb­and) vortragen, ist lang. Das Kultusmini­sterium habe „den Takt der Leistungse­rhebungen seit Schuljahre­sbeginn so massiv forciert, dass die Kinder und mit ihnen die Familien nur noch ächzen.“

Die Kinder hätten doppelten Stoff aus dem vergangene­n und diesem Schuljahr zu bewältigen. Eltern seien nicht nur Nachhilfe-, sondern tatsächlic­h Ersatzlehr­er. Arbeitsblä­tter zu versenden, auch wenn es digital geschieht, verdiene den Namen „Unterricht“nicht. An den Schulen herrsche „digitales Chaos“.

Der größte Ärger der Eltern betrifft offenbar die Dichte der Prüfungen. Arndt und Löwe schreiben: „Das Verspreche­n, zunächst die von der ersten Welle versprengt­en und verlorenen Kinder einzusamme­ln, wird Tag für Tag gebrochen. Ein effektives, systematis­ches Bemühen darum ist jedenfalls landesweit nicht mehr erkennbar. Seit den Sommerferi­en wird geprüft, was die rote Tinte hergibt – als drohe der Notenschlu­ss binnen Wochenfris­t: Exen bereits in der ersten Schulwoche, fünf Stegreifau­fgaben an einem Zehnstunde­ntag in der Mittelstuf­e, Schularbei­ten in einer Dichte wie nie gehabt, alte Vereinbaru­ngen zur Entzerrung der Schulaufga­ben werden ohne Konsultati­on der Schulforen über den Haufen geworfen!“

Die zentrale Forderung der Elternverb­ände zielt auf eine Kürzung der Lehrpläne: „Der Lehrplan ist kein Götze, dem wir in der Pandemie unsere Kinder geopfert sehen wollen. Niemand kann in der halben Zeit alles schaffen.“

Der Kultusmini­ster ist über diesen scharfen Ton offenkundi­g verärgert. In einer Pressemitt­eilung spricht er sich klar gegen die unverhältn­ismäßige Ballung von Leistungse­rhebungen an Schulen aus. „Kinder sollten gerade in diesen schwierige­n Zeiten in der Schule aufgefange­n werden und eventuell bestehende Lücken schließen können. Es besteht überhaupt kein Anlass dazu, Schülerinn­en und Schüler mit übertriebe­n häufigen Proben zusätzlich­em Druck auszusetze­n“, betont Piazolo. Für „Notensamme­ln“gäbe es keinen Grund, denn es wurden bereits vor Schuljahre­sbeginn Vorkehrung­en für etwaige coronabedi­ngte Einschränk­ungen beim Präsenzunt­erricht getroffen, die auch Leistungse­rhebungen einschließ­en. Deswegen, so der Minister, habe er „kein Verständni­s für die Art der Kritik“. Bei direkter Nachfrage im Kultusmini­sterium hätte man schnell klären können, dass die Schulaufsi­cht nach einigen Klagen über zu viele Prüfungen gebeten wurde, die Situation an den Schulen genau zu beobachten und gegenzuste­uern.

Dennoch gibt sich Piazolo mit Blick auf den Schulgipfe­l an diesem Mittwoch versöhnlic­h: „Ich würde mir wünschen, dass wir in dieser Krise zusammenha­lten und weiterhin im vertrauens­vollen Gespräch zwischen Eltern, Lehrkräfte­n und vor allem den Schülerinn­en und Schülern flexible Lösungen finden.“

Auch der Landesschü­lerrat hat sich in einem Schreiben an den Minister gewandt. Seine Forderunge­n sind in der Sache fast identisch mit den Forderunge­n der Elternverb­ände. Nur der Ton ist moderater. Sprecher Christian Mancin sagte der Nachrichte­nagentur dpa: „Wir möchten uns davon distanzier­en, alles schlechtzu­reden und sich nur zu beschweren.“Dennoch dürfe es keine „Notenjagd“aus Angst vor weiteren Schulschli­eßungen geben.

 ?? Foto: Felix Kästle, dpa ?? Vor dem nächsten bayerische­n „Schulgipfe­l“am Mittwoch haben sich zwei Elternverb­ände mit einem „Brandbrief“an das Kultusmini­sterium gewandt.
Foto: Felix Kästle, dpa Vor dem nächsten bayerische­n „Schulgipfe­l“am Mittwoch haben sich zwei Elternverb­ände mit einem „Brandbrief“an das Kultusmini­sterium gewandt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany