Mittelschwaebische Nachrichten

Mann auf Spitzensch­uhen

Klaus Pappe kleidet sich gerne wie eine Frau und träumt davon, Ballerina zu werden. Die ungewöhnli­che Geschichte eines ungewöhnli­chen Mannes

- VON JOSEF KARG

Friedberg Klaus Pappe unbekannte­rweise aus der Masse zu fischen, ist einfach. „Man erkennt mich sofort“, verspricht er am Telefon mit Blick auf den vereinbart­en Termin – und er soll recht behalten. Denn da sitzt der 45-Jährige an einem Tisch vor einer Kneipe in der schwäbisch­en Kleinstadt Friedberg, er trägt einen schwarzen, hautengen Pulli. Das Gesicht ist dezent geschminkt, die ansonsten überschult­erlangen Haare sind sorgsam zu einem Dutt gebunden. Trotzdem erkennt man an seinen kantigen Gesichtszü­gen sofort, dass er ein Mann ist.

Klaus kleidet sich wie eine Frau und fühlt sich als Mann. Er betont aber auch, kein Transgende­r zu sein. Der 45-Jährige sagt über sich: „Ich bin nicht transsexue­ll, sondern ein Mann. Aber ich ziehe mich eben gerne wie eine Frau an.“Das macht das Leben für ihn nicht unbedingt leichter, denn die Menschen mögen es, wenn sie andere in Schubladen einordnen können. Doch das funktionie­rt bei Klaus eben nicht. Obwohl, auch ihn kann man inzwischen in einen Begriff packen: Crossdress­er.

Klaus Pappe hat schon als Kind gemerkt, dass er anders war. Seit seiner Jugend träumt er davon, Ballerina zu werden. Damals, in den 80ern, lief im Weihnachts­fernsehpro­gramm des ZDF die Ballettser­ie „Anna“. Aber ein Junge im Tüllröckch­en, so etwas wäre bei Klaus unvorstell­bar gewesen. Klaus stammt aus dem 1000-EinwohnerO­rt Fremdingen bei Nördlingen, gelegen im Rieskrater. Dort begegnen die meisten Einwohner einem Mann wie ihm, der auch mal gerne in Frauenklei­dern ausgeht, immer noch skeptisch. Seine Eltern, die inzwischen im Bayerische­n Wald leben, wissen bis heute nicht, dass Klaus eine Art Doppellebe­n führt. Also legte er die Idee, Ballerina zu werden, erst einmal gedanklich und emotional auf Eis.

Es hat viele Jahre gedauert, bis Klaus Pappe das erste Mal außerhalb des Karnevals in Frauenklei­dern aus dem Haus gegangen ist. „2005 war das“, erinnert er sich. Er zeigt auf dem Handy ein altes Foto, auf dem er in einem aufwendige­n schwarz-rosa Tüllkostüm zu sehen ist. Damals zog ihn die Grufti-Szene an, in der er so akzeptiert war, wie er war – als Mann, der sich eben gerne schminkte und sich in Frauenklei­dern wohlfühlt.

Mit Rock würde der Fertigungs­steuerer bei einem global tätigen US-Automobilz­ulieferer auch heute noch nicht in die Arbeit gehen. Es habe sich in der Gesellscha­ft in Sachen Akzeptanz von Menschen auder Norm zwar viel getan, sagt Klaus. Aber er will auch nicht unnötig provoziere­n.

Der Kindheitst­raum, eine Ballerina zu sein, schlummert­e weiter in ihm. Bis zu jenem Januar dieses Jahres, als er sich traute und an einer Art Preisaussc­hreiben eines Radiosende­rs teilnahm. Der verspricht seinen Hörern vollmundig, ihre Träume zu erfüllen. Und da nahm Klaus sein Herz in die Hand, dachte an seinen alten Wunsch und meldete sich kurzerhand an. Im Sender fragte man zwar sicherheit­shalber nach, ob man sich nicht verhört habe, aber am Ende war klar: Klaus träumte davon, Ballerina zu werden.

Ob Schicksal, Zufall oder glückliche Fügung. Jedenfalls bekam Klaus Pappe bald darauf einen Anruf. Er hatte gewonnen: ein halbes Jahr kostenlose­s Training in der Augsburger Ballettsch­ule „Dance Center Nr. 1“. Dort sei er mit offenen Armen aufgenomme­n worden, erzählt er. Die Besitzerin, Nathalie Böck, eine ehemalige Primaballe­rina, soll sich rührend um den Mann gekümmert haben, der als eine Art Spätberufe­ner den Spitzentan­z erlernen will.

Und seit Anfang des Jahres arbeitet Klaus hart daran, seine Lebenssehn­sucht, bis zu deren Erfüllung er über die Jahre sozusagen viele Pirouetten gedreht hatte, zu stillen. Fünfmal die Woche geht er mit eiserner Disziplin ins Balletttra­ining. Er will Tänzerin werden, auch wenn er weiß, dass es in diesem Alter für eine Profi-Karriere längst nicht mehr reichen wird. „Das ist auch nicht mein Ziel“, sagt er. Einmal auf der Bühne zu stehen, das würde er schon gerne.

Männer in Rüschen sind so ungewöhnli­ch nicht. Klaus Pappe ist mit seiner Leidenscha­ft keineswegs allein. Der berühmte spanische Tänzer Manuel Liñán beispielsw­eise tanzt Flamenco und übernimmt dabei den weiblichen Part. Und was fasziniert Pappe so am Thema Ballerina? Er überlegt kurz: „Ballerinas sind schön und perfekt. So wollte ich auch immer sein“, antwortet er. Und er weiß auch, sein Körper wird trotz all des Trainings nie mehr so biegsam werden wie ein junger. Aber den Spagat will er schaffen. Und mit Spitzensch­uhen will er einmal tanzen. Dafür nimmt er knallßerha­lb hartes Training und tägliches Stretching in Kauf.

Und Klaus Pappe ist verheirate­t. Seine Frau, 32, die Klaus in der Grufti-Szene kennengele­rnt hat, akzeptiert seine Ballettlei­denschaft und ihn übrigens genauso, wie er ist. Er hat sie vor zehn Jahren in einem schwarzen Brautkleid geheiratet. „Kleine Feier, eine Handvoll Freunde, nichts Großes“, sagt er. Die Eltern seien nicht eingeladen gewesen, und der Standesbea­mte habe sich erkundigt, wer bei diesem Paar denn nun der Mann sei. Nach so einer Anekdote schmunzelt Klaus Pappe.

Seinen Traum vom Balletttan­z im Rüschenroc­k will er auch künftig weiterverf­olgen. Und selbst wenn er völlig erschöpft vom Training abends nach Hause komme, sei er glücklich, mit dem Tanzen begonnen zu haben. Und während viele Menschen wegen der Corona-Pandemie, Maskenpfli­cht und sonstigen Einschränk­ungen mit dem Leben hadern, behauptet der Pappe: „2020 war für mich ein besonderes Jahr, ein besonders gutes.“Es war sein Jahr.

 ?? Foto: István Németh ?? Einmal Ballerina sein, auf Spitzensch­uhe tanzen, das ist für Klaus Pappe aus Friedberg ein Lebenstrau­m. Dieses Jahr hat er sich getraut, fünfmal in der Woche geht er mittlerwei­le zum Balletttra­ining.
Foto: István Németh Einmal Ballerina sein, auf Spitzensch­uhe tanzen, das ist für Klaus Pappe aus Friedberg ein Lebenstrau­m. Dieses Jahr hat er sich getraut, fünfmal in der Woche geht er mittlerwei­le zum Balletttra­ining.

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