Mittelschwaebische Nachrichten

Es ist nicht zu glauben

Formel 1 Sebastian Vettel fährt in Imola eines seiner besten Rennen in dieser Saison – dann stoppt ihn ein katastroph­aler Boxenstopp. Warum er Ferrari trotzdem keine Vorwürfe macht

- VON MARCO SCHEINHOF

Imola/Augsburg Sebastian Vettel muss das schmerzen. Auch wenn er in seiner Zeit bei Ferrari schon weit abgehärtet­er ist als zuvor. Als viermalige­r Weltmeiste­r mit Red Bull hatte er sich an gute Zeiten gewöhnt. Mit der Scuderia bekommt er nun die gesamte Härte des Geschäfts geboten. Glaubt man, schlimmer kann es nicht werden, so greift Ferrari einfach noch mal in die Schublade und zaubert einen Presslufts­chlagschra­uber heraus, der sich weigert, an einem schnellen Boxenstopp mitzuwirke­n. Mehr als 13 Sekunden stand Vettel am Sonntag in Imola in der Boxengasse. Er wollte sich einfach seine vier Reifen wechseln lassen. Von der Medium- auf die harte Mischung. Ein Vorgang, für den die besten Reifenwech­sler der Formel 1 gut zwei Sekunden brauchen. Vettel hätte wohl auch mit drei Sekunden leben können. Aber 13? Ein Unding. Ein Fehler, der ihm WM-Punkte kostete.

„Im ersten Stint war unser Tempo sehr gut“, sagte Vettel hinterher. Er hatte deutlich länger mit dem Reifenwech­sel gewartet als die Konkurrenz. Eine gute Taktik, die ihn auf Rang acht oder neun gebracht hätte. Für seine momentane Situation wäre das ein gutes Ergebnis gewesen. Der schwache Boxenstopp aber verhindert­e das. „Das ist natürlich schade. Das ist nicht das Ergebnis, das wir heute verdient gehabt hätten“, sagte Vettel lediglich. Keine Vorwürfe, keine schlechte Laune. Dafür hat Vettel in seiner letzten Saison schon zu viel erlebt.

Im Rennen hatte sich Vettel diesmal in seinem Dienstwage­n wohlgefühl­t. Das war in diesem Jahr nicht immer so. Das große Problem aber ist die Qualifikat­ion. Da fehlen dem 33-Jährigen einfach das richtige Gefühl und das Vertrauen. Von Startplätz­en außerhalb der besten Zehn ist es schwierig, gute Ergebnisse zu erzielen. Vettel weiß das. Er sagte: „Wenn wir etwas weiter vorne starten können, könnten uns die nächsten Rennen bessere Ergebnisse bescheren.“Das wäre immerhin ein einigermaß­en versöhnlic­hes Ende einer schauderha­ften Saison. Für Ferrari, aber speziell für Vettel.

Im Frühjahr hatten sich die Bosse der Scuderia dazu durchgerun­gen, Vettel den Abschied mitzuteile­n. Teamchef Mattia Binotto hatte dreimal die richtigen Worte geübt, ehe er zum Telefon griff. Sagte er zuletzt zumindest. Soll wohl heißen: So richtig leicht gefallen ist die Entscheidu­ng in Maranello keinem. Getroffen aber wurde sie trotzdem. Gegen Vettel und damit zeitgleich für Charles Leclerc, den sie bei der Scuderia als Mann der Zukunft sehen. Schaut man auf die reinen Ergebnisse, wohl zurecht. Denn Vettel hat gegen den 23-Jährigen derzeit keine Chance. 85 zu 18 WM-Punkte, das ist ein deutliches Zeichen. Aber kann es wirklich sein, dass Vettel gänzlich das Talent als Rennfahrer abhandenge­kommen ist? Wohl nicht. Er und das Team aber leisten sich zu viele Fehler.

Die Saison aber setzt allen Beteiligte­n zu. So sehr, dass sogar schon darüber spekuliert worden war, Leclerc bekomme von Ferrari ein besseres Auto als Vettel. Dem widersprac­h Binotto zuletzt heftig. Unbestritt­en aber ist, dass der Ferrari in diesem Jahr kein Spitzenaut­o und auch dem Fahrstil von Vettel nicht nützlich ist. Der Ferrari ist eher stabil auf der Vorderachs­e und hat ein unruhiges Heck. Vettel mag es lieber, wenn der hintere Teil des Fahrzeugs wie auf Schienen auf der Strecke liegt. So ist er auch mit Red Bull viermal Weltmeiste­r geworden. Das alles wirkt lange her.

Nun muss er ein weiteres Mal aus der Ferne anschauen, wie ein anderes Team feiert. Zum siebten Mal in Folge holte sich Mercedes den Konstrukte­urs-Titel. Noch kein Team war über einen solchen Zeitraum so dominant wie die Silberpfei­le. Teamchef Toto Wolff und der bald siebenmali­ge Weltmeiste­r Lewis Hamilton sind die treibenden Kräfte. Ausgerechn­et bei beiden gibt es Zweifel über die Zukunft. Hamilton hatte nach dem Sieg in Imola angedeutet, dass nicht garantiert sei, dass er auch 2021 für Mercedes fahre. Wolff dagegen hat zwar ausgerechn­et im nicht einfachen Jahr der Pandemie wieder mehr Freude an der Rennstreck­e, aber ob er auch künftig jedes zweite Wochenende im Jahr dort verbringen möchte? „Ich fühle mich nach dem ersten Lockdown und durch die letzten Monate stark verjüngt. Plötzlich liebe ich es auch wieder, zu den Rennen zu fahren“, sagte er. Dennoch sucht er bereits einen Nachfolger, den er 2021 einarbeite­n möchte. Kandidaten sollen Technik-Chef James Allison oder Strategieb­oss James Vowles sein. Wolff könnte sich künftig als Aufsichtsr­atchef einbringen – so wie Niki Lauda sieben Jahre lang.

 ?? Foto: Nordphoto ?? Sebastian Vettel schaut sich nach Rang zwölf in Imola noch einmal genau seinen Rennwagen an. Mit dem Ferrari kommt er weiter nur schwer klar.
Foto: Nordphoto Sebastian Vettel schaut sich nach Rang zwölf in Imola noch einmal genau seinen Rennwagen an. Mit dem Ferrari kommt er weiter nur schwer klar.

Newspapers in German

Newspapers from Germany