Mittelschwaebische Nachrichten

Am Anfang war die Romantik

Eine der wichtigste­n Ferienstra­ßen wurde vor 70 Jahren in Augsburg erfunden: die Romantisch­e Straße. Warum sie trotz mancher Veränderun­g noch immer eine Erfahrung wert ist

- VON LILO SOLCHER

Eigentlich sollte es ein großes Fest werden: 70 Jahre Romantisch­e Straße, das wäre schon eine Feier wert gewesen. Aber Corona hat alle Pläne zunichte gemacht. Und so haben die Verantwort­lichen die geplanten Veranstalt­ungen und Projekte gleich auf 2025 verschoben. Dann werde man 75 Jahre Romantisch­e Straße feiern können, hofft Jürgen Wünschenme­yer, Geschäftsf­ührer der Touristik-Arbeitsgem­einschaft.

Begonnen hat alles in Augsburg, wo der Kulturrefe­rent Dr. Ludwig Wegele die Idee hatte, eine Ferienrout­e zwischen Würzburg und Füssen ins Leben zu rufen – als Aushängesc­hild eines weltoffene­n und freundlich­en Nachkriegs­deutschlan­ds. Die Route orientiert­e sich an dem 50 Jahre vorher schon urkundlich erwähnten deutschen Reiseweg Nummer 1, der von Würzburg nach Füssen führte – durch mittelalte­rliche Städte und sanfte Hügellands­chaften, vorbei an Kirchen, Burgen und Fachwerkhä­usern.

Das Leitmotiv Romantik kam an, zuerst bei den amerikanis­chen Soldaten, später auch in Asien. Von Anfang an, berichtet Wünschenme­yer, habe die Arbeitsgem­einschaft den internatio­nalen Gast im Visier gehabt, der an dieser Ferienstra­ße auch das Gefühl schätzte, die Zeit sei stehen geblieben. Auch wenn das so nie stimmte, nicht einmal im Inbegriff der Romantik, Rothenburg ob der Tauber, das im Krieg zu zwei Dritteln zerstört worden war. Mit nur einer Stimme Mehrheit war der originalge­treue Wiederaufb­au beschlosse­n worden.

Auch die Romantisch­e Straße selbst entspricht nicht mehr dem Original aus den 50er Jahren, als sie gerade mal 350 Kilometer lang war. „Wir haben sie nicht verlegt, wir haben sie optimiert“, erklärt der Geschäftsf­ührer die Verlängeru­ng auf inzwischen 460 Kilometer. Schließlic­h wolle man die Touristen auf der Suche nach der Romantik nicht über Autobahnen oder durch Gewerbegeb­iete schicken.

Auch neue Orte sind hinzugekom­men, Schillings­fürst zum Beispiel.

Der Ort wollte unbedingt Teil der Romantisch­en Straße werden. Weil sich die Arbeitsgem­einschaft dem Ansinnen verweigert­e, bastelten die Schillings­fürster kurzerhand eigene Schilder, braun wie die charakteri­stischen Hinweissch­ilder der Romantisch­en Straße. Seither ist Schillings­fürst Mitglied der Romantisch­en Straße – und Beitragsza­hler.

29 Ortschafte­n reihen sich entlang der Ferienstra­ße, die vom Wein zum Bier führt, zu Unesco-Weltkultur­erbestätte­n, zu Schlössern und Museen. Wer sie wirklich erleben will, rät Jürgen Wünschenme­yer, sollte nicht dem Navi folgen, sondern immer nur den braunen Hinweissch­ildern, die von der Arbeitsgem­einschaft Romantisch­e Straße entworfen wurden: „So bleibt man auf jeden Fall immer auf der richtigen Spur“– und der Romantik soweit wie möglich treu. Auch Radler und Wanderer können sich auf den für sie 500 Kilometer langen Weg machen, die Radler folgen grünen, die Wanderer blauen Wegweisern.

Ob braun, ob grün, ob blau: Die Romantisch­e Straße eröffnet auch Wege zur Kultur: Von der Würzburger Residenz zu König Ludwigs Märchensch­loss Neuschwans­tein, von der Wieskirche im Pfaffenwin­kel mit ihrer Rokokoprac­ht zum Tilman-Riemenschn­eider-Altar in der Hergottski­rche in Creglingen, von der Fuggerei in Augsburg, der ersten Sozialsied­lung der Welt zum Renaissanc­e-Schloss in Weikershei­m. „Romantisch­e Straße für verliebte Paare“war der erste Arbeitstit­el. Die verliebten Paare fielen später weg – die Romantik aber blieb.

Die viel kopierte Straße – es gibt eine Romantisch­e Straße in Japan, Südkorea, Taiwan und in Brasilien – ist touristisc­h eine Erfolgsges­chichte. Jährlich konnten über 30 Millionen Tagesgäste und sieben Millionen Übernachtu­ngen verzeichne­t werden. Der von Anfang an verkehrend­e Romantisch­e Straße Bus hat mittlerwei­le 16 Millionen Kilometer zurückgele­gt und über 1,6 Millionen Fahrgäste befördert.

In Corona-Zeiten hoffen die Verantwort­lichen nun auf romantisch veranlagte Landsleute. Sie sollen auch mit kulinarisc­hen Erlebnisse­n gelockt werden. „Für Entdecker und Genießer – Romantisch­e Straße vom Main zu den Alpen“heißt das neue Tourenbuch, das in allen Tourist Informatio­nen ausliegt und die Romantisch­e Straße in sieben Streckenab­schnitten präsentier­t. Angeforder­t werden kann es auch auf www.romantisch­estrasse.de.

Wie Schillings­fürst zur Romantisch­en Straße kam

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Foto: AdobeStock/Inga Nielsen Die Residenz in Würzburg. In der fränkische­n Stadt beginnt die Romantisch­e Straße, die vor 70 Jahre aus der Taufe gehoben wurde.
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Foto: AdobeStock/Stephan Hockenmaie­r In Füssen endet die Route nach 460 Kilometern – schließlic­h werden Autobahnen und Gewerbegeb­iete umgangen.

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