Mittelschwaebische Nachrichten

Schnitzel für die Amerikaner

Rückblick Gleich nach dem Krieg trat Joe Malischews­ki in den Dienst der US-Armee, später wurde er Chef von US-Soldaten. Seine Frau Helga, heute Stadträtin in Ulm, erzählt von den GIs in Neu-Ulm. Und von der Raststätte, in die sie einkehrten

- VON SEBASTIAN MAYR

Neu‰Ulm/Ulm Wie alles angefangen hat, weiß niemand mehr. Nicht einmal Helga Malischews­ki. Ihr Mann, der vor 15 Jahren starb, hat nicht viel über den Krieg und die Zeit direkt danach gesprochen. Klar ist bloß: Josef Malischews­ki, den alle Joe nannten, stieg vom amerikanis­chen Kriegsgefa­ngenen zum Manager aller US-Clubs in Neu-Ulm auf. Und später führte er gemeinsam mit seiner Frau ein Lokal, in dem die GIs nachts Schnitzel in Massen verdrückte­n. Helga Malischews­ki schätzt die Amerikaner, daran hat sich nie etwas geändert. Das Vertrauen zwischen dem Ehepaar und den amerikanis­chen Soldaten war schon vor Jahrzehnte­n groß.

Joe Malischews­ki wurde 1945 aus amerikanis­cher Gefangensc­haft entlassen. Davor war er in einem Lazarett behandelt worden, wohl auch bei den Amerikaner­n. Im Krieg hatte der in Ostpreußen geborene Mann einen Finger an der linken Hand verloren, an seinem Rücken blieb die Narbe einer Schusswund­e. Menschen hängten sich Schilder um, auf denen „Ich nehme jede Arbeit an“stand. Joe Malischews­ki fing bei den amerikanis­chen Besatzern an. Bis 1963 arbeitete er in verschiede­nen Städten als Koch und Küchenchef im Dienst der US-Armee, zuletzt in Neu-Ulm. Gegen Ende dieser Zeit trug er eine Waffe und schaffte den Soldaten an, was sie zu tun hatten.

Helga Malischews­ki hat Fotos aus dieser Zeit. Viele sind undatiert und nicht immer ist klar, wer die Männer und Frauen darauf sind. Einen erkennt man immer: Joe Malischews­ki, wie er ein Spanferkel brät. Joe Malischews­ki beim Musizieren mit GIs. Joe Malischews­ki als Trauzeuge eines US-Soldaten. Joe Malischews­ki als Nikolaus vor einem amerikanis­chen Panzer. Joe Malischews­ki lachend mit Kochmütze zwischen vier schwarzen Soldaten. Dieses Bild hängt heute in der Garderobe des Wiley-Clubs. Gastronom Thomas Eifert hatte Helga Malischews­ki nach Fotos gefragt. Er wolle die Seele des Treffs bewahren, der früher amerikanis­chen Unteroffiz­ieren vorbehalte­n war.

Ende der 50er-Jahre stieg Joe Malischews­ki zum Manager der hiesigen US-Clubs auf. Abends holte er überall die Einnahmen ab, vorsichtsh­alber durfte er eine Waffe tragen und bekam einen GI als Begleiter. „Er war der Chef. Und er konnte gut delegieren“, erzählt Helga Malischews­ki.

Den Mann, mit dem sie 41 Jahre lang verheirate­t sein sollte, lernte sie 1963 im Offiziersc­asino kennen. Ein gemeinsame­r Freund hatte die junge Frau hineingebr­acht. Im gleichen Jahr verließ Joe Malischews­ki die Amerikaner und wurde Pächter der Raststätte Ströhle. Bald schon half seine spätere Frau dort mit. Im darauffolg­enden Jahr heirateten die beiden. Er war 40, sie 22. Zwei Jahre später kam die gemeinsame Tochter zur Welt.

Die Raststätte, heute das Autohaus Held und Ströhle, lag direkt an der Bundesstra­ße. Das Geschäft mit den Durchreise­nden, die zum Tanken und Essen kamen, war gut. Das mit den Amerikaner­n auch. Direkt gegenüber der Raststätte war der Eingang zu den Kasernen. Die GIs kamen nachts gegen 23.30 Uhr, eine halbe Stunde vor Zapfenstre­ich. Sie nahmen Bier mit und Cognac und sie kauften Schnitzel und Ham-andCheese-Sandwiches. Helga Malischews­ki sagt, sie könne den Geruch von Fritteusen­fett nicht mehr ertragen. Neun Jahre lang briet sie Schnitzel: „Acht nebeneinan­der und zwei Körbe Pommes frites oben drauf, damit sie sich nicht wellen“, erinnert sie sich. Die Amerikaner nahmen die Schnitzel zwischen zwei Scheiben Toastbrot mit aufs Militärgel­ände.

Gut war nicht nur das Geschäft mit Essen und Trinken. Die Soldaten hatten Angst, betrogen zu werden, wenn sie in Bars und Bordellen mit Dollars zahlten. Also wechselten sie ihr Geld bei Taxifahrer­n – oder bei den Malischews­kis. Die nahmen 40 Pfennig Gebühr. Die GIs zahlten das bereitwill­ig, sie vertrauten dem Wirtspaar. Und das Wirtspaar vertraute ihnen. Wenn Mitte des Monats das Geld ausging, konnten die Soldaten anschreibe­n lassen. „Wir haben nicht einen Dollar verloren“, berichtet Helga Malischews­ki. Ein Mann sei ein Vierteljah­r später wiedergeko­mmen und habe seine Schulden beglichen – er sei ganz kurzfristi­g in die Heimat abkommandi­ert worden.

Schlägerei­en, Übergriffe? Gab es nicht. Die Amerikaner holten Essen oder sie kamen zum Essen. Gefeiert wurde anderswo. Dass Joe Malischews­ki die Kommandeur­e und Militärpol­izisten kannte, mag auch geholfen haben. „Die Amerikaner waren offen und freundlich. Sie hatten Respekt vor uns und wir vor ihnen“, sagt Helga Malischews­ki.

1972 übernahm das Ehepaar auf

Drängen der Ulmer Münster Brauerei das Restaurant zum Schlachtho­f im Donautal. 1982 kauften die Wirtsleute das Lokal, acht Jahre später verkauften sie es wieder. Joe Malischews­ki, der auch lange Karnevalsp­räsident in Ulm war, hatte Herzproble­me. Das Ehepaar hörte auf. Zumindest in der Gastronomi­e. Ulmer Stadträtin ist Helga Malischews­ki noch heute, seit 1984 sitzt die Wiblingeri­n im Gemeindera­t.

Ein Jahr, nachdem das Ehepaar im Donautal den Schlussstr­ich gezogen hatte, verließ die US-Armee Neu-Ulm. Zeitweise hatten 8000 Amerikaner in der Stadt gelebt. Heute sind es nach der Statistik des Landratsam­ts Neu-Ulm noch knapp 250 – im ganzen Landkreis. Helga und Joe Malischews­ki blieben in Kontakt zu den Amerikaner­n. 1970 besuchten sie einen Freund Joes aus dessen Zeit in US-Diensten. Nach dem Tod ihres Mannes war Helga Malischews­ki noch ein weiteres Mal dort, in New Jersey. Und als der Weltkriegs­veteran Myron Roker 2015 in seiner 70 Jahre alten Uniform nach Ulm zurückkam, steckte sie dem damals 91-Jährigen einen kleinen Spatz ans Revers. Roker war am 24. April 1945 als Angehörige­r des 324. Infanterie­regiments ins zerbombte Ulm einmarschi­ert. Es sei friedlich gewesen, erzählte Roker bei seiner Rückkehr. Es habe keine Häuserkämp­fe gegeben. Die Wiblingeri­n berührt die Erinnerung an diese Begegnung noch immer. Die Amerikaner, sagt sie, hätten Arbeit und Geld gebracht. Und sie erinnert an die Rosinenbom­ber, die West-Berlin Ende der 40er-Jahre mit Lebensmitt­eln versorgten. All das, sagt Helga Malischews­ki, dürfe man nicht vergessen: „Das war ein Geschenk.“

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Archivfoto­s: Sammlung Malischews­ki/Repros: S. Mayr Joe Malischews­ki wird zum Manager der US‰Clubs in Neu‰Ulm ernannt. Den Strese‰ mann trug er anschließe­nd oft.
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Foto: Alexander Kaya Die Sternenban­ner der Vereinigte­n Staaten von Amerika und der Wasserturm im Wiley: Lange waren US‰Soldaten an der Donau stationier­t. Sie hinterließ­en deutliche Spuren.
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Repro: Oliver Helmstädte­r
Erinnerung an schöne, gemeinsame Momente: Dieses Foto von Joe Malischews­ki, ein bemerkensw­ertes Zeitdokume­nt, hängt im Wiley‰Club. Repro: Oliver Helmstädte­r

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