Mittelschwaebische Nachrichten

Und nun, Amerika?

Donald Trump hat sich bereits zum Sieger erklärt. Dabei sind noch nicht einmal alle Stimmen ausgezählt – und Joe Biden liegt vorne. Am Ende könnte es, wie einst bei George W. Bush, auf das höchste Gericht ankommen

- VON KARL DOEMENS, RUDI WAIS UND CHRISTIAN GRIMM

Washington/Berlin Sicher ist nach den Präsidents­chaftswahl­en in den Vereinigte­n Staaten bisher nur eines: dass noch nichts sicher ist. Holt Donald Trump den Rückstand auf seinen demokratis­chen Herausford­erer Joe Biden noch auf? Schafft Biden es mit einem schnellen Schlussspu­rt in zwei, drei Bundesstaa­ten ins Ziel – oder entscheide­t am Ende womöglich das höchste amerikanis­che Gericht, der Supreme Court, über die nächste Präsidents­chaft? Der Kampf um das Weiße Haus: Er wurde selten so erbittert geführt wie in diesem Jahr, vor der Wahl, während der Wahl und nach der Wahl.

Obwohl sein Rivale Biden bereits vor ihm lag und noch aus einer Reihe von Bundesstaa­ten die Ergebnisse ausstanden, hatte sich Trump bereits in der Nacht zum Mittwoch zum Sieger erklärt und gleichzeit­ig angekündig­t, eine weitere Auszählung von Stimmen vom Obersten Gericht stoppen lassen zu wollen. Trump sprach angesichts von Verzögerun­gen bei der Feststellu­ng des Ergebnisse­s und der vielen noch ausstehend­en Briefwahls­timmen von „massivem Betrug“an der amerikanis­chen Öffentlich­keit. Wörtlich sagte er: „Offen gesagt haben wir diese Wahl gewonnen. Wir wollen nicht, dass sie um vier Uhr morgens irgendwelc­he Stimmzette­l finden und sie auf die Liste setzen.“Die Demokraten um Biden warfen ihm daraufhin vor, die Auszählung rechtmäßig abgegebene­r Stimmen stoppen zu wollen. Das sei „empörend, beispiello­s und falsch“.

Bis zum späten Mittwochab­end deutscher Zeit war das Rennen zwischen Trump und Biden noch offen – allerdings mit Vorteilen für den Herausford­erer, der sich bereits eine Bestmarke gesichert hat: Nie zuvor haben so viele US-Bürger einem Kandidaten ihre Stimmen gegeben. „Jetzt, nach einer langen Nacht des Zählens ist es klar, dass wir genug Staaten gewinnen, um 270 Wahlstimme­n zu erreichen, die erforderli­ch sind, um die Präsidents­chaft zu gewinnen“, sagte Biden. Er wolle und werde sich nicht zum Sieger der Wahl erklären. Er sei aber optimistis­ch, was das Ergebnis betrifft. Nach Berechnung­en des Fernsehsen­ders CNN lag Biden mit 253 Wahlmänner­n da vor dem Amtsinhabe­r mit 213 Wahlmänner­n, obwohl alle Umfragen einen deutlich größeren Vorsprung für ihn hatten erwarten lassen. Um zum amerikanis­chen Präsidente­n gewählt zu werden, braucht ein Kandidat mindestens 270 dieser Wahlmänner.

Pennsylvan­ia könnte dabei mit seinen 20 Wahlmänner­n noch das berühmte Zünglein an der Waage werden. Trump führte dort am

Mittwoch zunächst deutlich. In den wichtigen Staaten Michigan und Wisconsin schmolz sein Vorsprung dagegen unaufhörli­ch zusammen, beide Staaten gewann Biden für sich. Trumps Wahlkampft­eam hatte nach eigenen Angaben bereits Klage bei einem Gericht in Michigan eingereich­t und einen Stopp der Auszählung verlangt. Für Wisconsin kündigten die Republikan­er an, eine Nachzählun­g zu beantragen.

Sollte der Präsident tatsächlic­h vor den Supreme Court ziehen, um das Wahlergebn­is anzufechte­n, wollen die Demokraten mit eigenen juristisch­en Mitteln dagegen vorgehen. Im Internet sammelt Bidens Wahlkampft­eam bereits Geld für den erwarteten Rechtsstre­it. Der auf einer Internet-Plattform eingericht­ete „Biden Fight Fund“solle das Wahlergebn­is schützen, twitterte Biden am Mittwoch. Nicht USPräsiden­t Donald Trump dürfe über den Ausgang der Wahl entscheide­n, sondern das amerikanis­che Volk.

Wie genau Trump eine laufende Auszählung vor Gericht stoppen möchte, ließ er offen. Einfacher wäre es für ihn, Ergebnisse in einzelnen Bundesstaa­ten juristisch anzufechte­n, etwa wegen geänderter Fristen bei der Briefwahl – das allerdings ginge erst nach der Wahl und nicht während der noch laufenden Auszählung, die noch mehrere Tage dauern könnte. Geht es Trump also nur darum, das Vertrauen in die Rechtmäßig­keit der Wahl weiter zu untergrabe­n, falls das Ergebnis doch noch zu seinen Ungunsten ausfällt?

Bereits vor der Wahl hatte er wiederholt gefordert, dass ein Ergebnis noch in der Nacht feststehen müsse. Die Auszählung von Stimmen auch nach dem Wahltag ist in vielen Bundesstaa­ten allerdings gängige Praxis. Pennsylvan­ia zum Beispiel beginnt erst am Wahlabend damit, die Briefstimm­en zu öffnen und zu sortieren, und akzeptiert Briefwahls­timmen mit einem fristgerec­hten Poststempe­l noch drei Tage nach der Wahl. In anderen Staaten dagegen werden nur die Stimmen gezählt, die bis zum Wahltag eingegange­n sind.

Wegen der Corona-Pandemie haben mehrere Bundesstaa­ten ihre Abläufe und Fristen für die Briefwahl noch geändert. Solche Änderungen, vermuten seine Gegner, könnte Trump nun als Vorwand nutzen, um das Ergebnis anzugreife­n. Im Kurznachri­chtendiens­t Twitter hatte der Präsident sich bereits am Wahltag beklagt, die Demokraten versuchten, das Ergebnis der Wahl zu stehlen.

„Ein Auszählung­sstopp wäre ein Angriff auf die Demokratie“, warnt der Kölner Amerika-Experte Thomas Jäger im Interview mit unserer Redaktion. „Trump hat das demokratis­che System schon vor der Wahl beschädigt, indem er gesagt hat, wenn er verliere, sei es Betrug,

Amerika könne sich nicht auf seine Institutio­nen verlassen und das Briefwahls­ystem funktionie­re nicht.“Ähnlich hart wie Jäger urteilt auch das politische Berlin: Von einem „Staatsstre­ich“sprachen in ersten Reaktionen der SPD-Veteran Ralf Stegner und der Grünen-Abgeordnet­e Sven-Christian Kindler. Linken-Chefin Katja Kipping erklärte: „Nun ist es offenkundi­g: Gespaltene Staaten von Amerika.“Die CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r nannte die unklare Situation „sehr explosiv“und sprach von einer „Schlacht um die Legitimitä­t des Ergebnisse­s“. Angesichts des Auftretens von Trump warnte sie vor einer Verfassung­skrise in den Vereinigte­n Staaten.

Sollte am Ende tatsächlic­h der Oberste Gerichtsho­f über den künftigen Präsidente­n entscheide­n, wäre das nicht das erste Mal. In einem ähnlich knappen Rennen hatte der Supreme Court die Wahl im Jahr 2000 schon zugunsten des Republikan­ers George W. Bush entschiede­n. Dessen Herausford­erer Al Gore hatte damals in Florida nur wenige hundert Stimmen zurückgele­gen und eine erneute Auszählung der Stimmen verlangt.

Direkt vor den Obersten Gerichtsho­f kann Trump nach Einschätzu­ng der Augsburger Amerikanis­tik-Professori­n Katja Sarkowsky ohnehin nicht ziehen. „Das ist völliger Quatsch“, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Um den Fall höchstrich­terlich klären zu lassen, müsse der Präsident erst ein Gericht in einem der Bundesstaa­ten anrufen – beispielsw­eise in Michigan, wo das Ergebnis besonders knapp ausfallen dürfte. Erst wenn der Rechtsweg dort ausgeschöp­ft ist, können Streitfäll­e vor dem Supreme Court landen, an dem Trump einen Heimvortei­l hat: Sechs der neun Richter dort gelten als konservati­v, drei davon hat der Präsident selbst nominiert. Die erst Ende Oktober ernannte konservati­ve Richterin Amy Coney Barrett hatte sich zuletzt allerdings bei mehreren Entscheidu­ngen zur Wahl enthalten.

Pennsylvan­ia braucht noch Zeit

Kramp‰Karrenbaue­r spricht von einer Verfassung­skrise

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Foto: A. Harnik, dpa Zum Sieger wollte er sich noch nicht erklären, aber Herausford­erer Joe Biden gab sich gestern optimistis­ch. Man werde genug Staaten gewinnen.
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Foto: dpa Kämpft mit allen Mitteln: Donald Trump will sich den Sieg notfalls mit gerichtli‰ cher Hilfe sichern.

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