Mittelschwaebische Nachrichten

Schlimmer konnte es nicht kommen

Vieles wurde befürchtet vor dieser US-Präsidents­chaftswahl. Das Ergebnis erschütter­t dennoch: Tiefer könnte die neue Spaltung nicht sein, in Amerika und der Welt

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger‰allgemeine.de

Es gibt Menschen, die halten jeden einzelnen Tag der zurücklieg­enden vier Jahre mit US-Präsident Donald Trump für einen Albtraum, aus dem man einfach nicht aufwacht. Es gibt (noch mehr) Menschen, die das CoronaJahr 2020 für einen Albtraum halten, in dem das Erwachen ebenfalls nicht kommt.

Allen, die so fühlen, hat der 3. November 2020 eins bewiesen: Der Albtraum endet nicht, er wird sogar noch schlimmer – und ein Aufwachen ist nicht in Sicht.

Denn das rasiermess­erscharfe Wahlergebn­is aus den USA und die damit verbundene Unsicherhe­it ist der schlimmste aller vorstellba­ren Ausgänge – zumindest für all jene, die sich wieder etwas mehr Demokratie-Liebe in Amerika gewünscht hätten. Gewiss, der Demokrat Joe Biden hat gute Chancen, diese Wahl zu gewinnen, sogar ohne Anrufung der Gerichte. Dafür muss, natürlich, jede Stimme in jedem Bundesstaa­t ausgezählt werden. Doch Biden ist in jedem Fall nicht gelungen, was Trump-Gegner, manche davon sogar in dessen eigener Partei, erhofft hatten: eine moralisch fundierte Zurückweis­ung des „Trumpismus“.

Damit dürfte sich das amerikanis­che Gemetzel der vergangene­n Jahre noch verschärfe­n. Bei den Demokraten wird von der (starken) Parteilink­en jetzt ziemlich schnell die Frage laut werden, ob es eine gute Idee war, einen alten Mann der Mitte aufzustell­en.

Umgekehrt ist nun auf republikan­ischer Seite besiegelt, dass Trump keine historisch­e Episode bleibt. Im Gegenteil: Selbst wenn er noch verlieren sollte, wird Trumpismus auf absehbare Zeit der entscheide­nde Einfluss in der Partei sein, vielleicht kann daraus gar eine Familiendy­nastie entstehen.

Könnte der Oberste Gerichtsho­f nicht einfach entscheide­n, wenn es wie jetzt knapp ist, mag man einwenden? Genau das wäre das nächste Problem. Im Jahr 2000 griffen Amerikas oberste Richter im Kampf zwischen George W. Bush und Al Gore ein, sie stoppten damals die Nachzählun­g im umkämpften Florida. Das war eine Einmischun­g, die bis heute die Legitimitä­t des Gerichtsho­fes belastet.

Aber verglichen mit der heutigen Situation ging es damals zu wie in der Waldorfsch­ule. Vor zwanzig

Jahren war der Oberste Gerichtsho­f noch nicht so parteiisch gespalten wie heute, da Donald Trump mit gleich drei Richterern­ennungen diesen weit nach rechts gerückt hat. Und: Damals akzeptiert­e Gore seine juristisch­e Niederlage, weil er das Land nicht weiter spalten wollte. Trump hingegen hat schon erklärt, genau das auf keinen Fall zu tun. Er hat sich lieber vorsorglic­h zum Sieger erklärt.

Es herrscht nun Sprachlosi­gkeit, buchstäbli­ch. Die Demokraten konnten ganz offenbar nicht mit jenen kommunizie­ren, die auch ganz ohne die Person Trump wütend gewesen wären – die Verlierer der Globalisie­rung, jene weißen Abgehängte­n, denen eine „Identitäts­politik“oder eine geschlecht­ergerechte Sprache herzlich egal sind, ihr Arbeitspla­tz aber nicht.

Trump will mit einem Teil des Landes (oder weiten Teilen der Welt) ja gar nicht reden, er wollte niemals der Präsident aller Amerikaner sein – sondern lieber alle, die ihn unterstütz­en, noch ein bisschen wütender machen.

Und wir, im Rest der Welt? Wir stehen sprachlos vor diesen (Un-) Vereinigte­n Staaten von Amerika, die auf geraume Zeit hin um sich selbst kreisen und als Führungsma­cht weiter ausfallen werden. Wir ahnen zudem: Ein wenig mehr „wie Trump sein“wird sich weltweit (noch stärker) ins politische Handeln schleichen, denn Wahlerfolg gilt Politikern nun einmal als bester Ratgeber. Auch wenn der auf dem Wecken der schlechtes­ten Instinkte beruht.

Trump wollte nie Präsident aller Amerikaner sein

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