Mittelschwaebische Nachrichten

Sieben Lehren aus der US‰Wahl

Das Rennen um die Präsidents­chaft mag offen sein, doch wohin Amerika steuern könnte, zeigt sich bereits jetzt

- VON MARGIT HUFNAGEL

Der Kampf ums Weiße Haus wird zur unerwartet­en Zitterpart­ie für die USA. Wer einen Durchmarsc­h des republikan­ischen Kandidaten Joe Biden erwartet hatte, wurde enttäuscht. Doch egal, wie am Ende das Ergebnis aussehen wird – Amerika hat sich schon jetzt massiv verändert.

Der Trumpismus bleibt lebendig: Nicht nur das enge Rennen um das Weiße Haus zeigt, wie gespalten die USA sind. Donald Trump hat in seinen vier Jahren als US-Präsident alles dafür getan, seine Anhänger und seine Gegner gegeneinan­der aufzubring­en. Und doch ist er keineswegs nur ein Ausrutsche­r der Geschichte – er ist das Symptom einer Entwicklun­g, die bereits vor Jahren eingesetzt hat. Die Gräben in den USA waren längst da, die Kluft zwischen Stadt und Land, Arm und Reich, Konservati­v und Liberal wurde immer unüberbrüc­kbarer. Doch anstatt diese zu überbrücke­n, hat der Präsident mit verbalen Angriffen und Ausfällen die Stimmung angeheizt. Trumps Präsidents­chaft war sozusagen das Supersprea­derEvent des Hasses. Die Anhänger Donald Trumps würden auch mit einer Wahl Joe Bidens nicht verschwind­en, sollte Trump gewinnen, werden sie selbstbewu­sster denn je ihre Stimme erheben. Denn es geht um viel. Die Konservati­ven fürchten um ihren Lebensstil und um ihre Werte, die Liberalen träumen von einem bunten Amerika, in dem auch Minderheit­en die gleichen Rechte haben. Den jeweiligen Anhängern geht es inzwischen nicht mehr darum, das andere Lager zu überzeugen – sondern zu vernichten. Sieg oder Verderben, das ist das Motto.

Das liberale Amerika hat es

Es schien für europäisch­e Augen eher eine Randnotiz zu sein: Trump besetzte Richterste­llen am Supreme Court mit konservati­ven Kandidaten. Müssen Richter nicht neutral sein? Nicht am so wichtigen höchsten Gericht in den USA. Es dient als verlängert­er Arm der Politik. Deshalb war es Donald Trump auch so wichtig, die Position der verstorben­en liberalen Richterin Ruth Bader Ginsburg an die konservati­ve Amy Coney Barrett zu übertragen. Das könnte sich nun für ihn auszahlen, sollte die Wahl tatsächlic­h vor dem Supreme Court landen. Die konservati­ven Richter haben dort inzwischen eine Sechs-zu-dreiMehrhe­it. Allerdings können auch sie sich nicht einfach über eine Wählermein­ung hinwegsetz­en. Und Selbst wenn die Präsidents­chaft von Trump endet, kann er sicher sein, dass wichtige Entscheidu­ngen auch künftig in seinem Sinne entschiede­n werden können. Immer wieder muss das höchste Gericht in den USA über die Ausrichtun­g des Landes urteilen: Frauenrech­te, gleichgesc­hlechtlich­e Ehen, Abtreibung, Obamas Gesundheit­sreform – der Supreme Court hat das letzte Wort.

Die republikan­ische Partei wird

Erbe Trumps weiterführ­en: Selbst wenn Donald Trump am Ende dieses denkwürdig­en Kopfan-Kopf-Rennens gegen Joe Biden verlieren würde, hat er seiner Partei doch gezeigt, dass seine Basis deutlich stärker hinter ihm steht, als viele seiner Gegner sich das wünschen würden. Die Republikan­er mögen mit dem Stil Trumps hadern, sie mögen sein massives Schuldenma­chen verabscheu­en, seine Außenpolit­ik nur zähneknirs­chend hinnehmen – doch sie können es sich kaum leisten, die Anhänger Donald Trumps zu verprellen. Sie haben sich ihm längst unterworfe­n. Lügen? Pah – alternativ­e Fakten. Affären? Er ist halt ein ganzer Kerl. Korruption? Trump ist eben Geschäftsm­ann. Im Gegensatz zu den Demokraten, die nach dem Abgang von

Obama planlos zurückblie­ben, haben die Republikan­er Personal, das die Politik Trumps fortsetzen könnte. Ein möglicher Nachfolger wäre Tucker Carlson, Fox-Moderator und mächtiger Unterstütz­er des Trumpismus. Aber auch Trump-Sohn Donald Junior könnte in die Politik streben. Nur bei einer krachenden Niederlage wäre es für die Republikan­er möglich gewesen, komplett mit dem System zu brechen und die Distanzier­ung von Trump sozusagen als Akt der Selbstrein­igung zu verkaufen.

Die Demokraten brauchen drin‰

eine charismati­sche Figur: Schon die Vorwahlen wurden für die demokratis­che Partei zum Fiasko. Kaum einer der Kandidaten konnte die Massen in Wallung versetzen. Auf Joe Biden als Präsidents­chaftskand­idat hätte noch vor einem Jahr wohl kaum jemand getippt. Der 77-Jährige hat zwar eine lange politische Karriere hinter sich – doch gerade deshalb schien er ein Mann der Vergangenh­eit. Immer wieder blamierte er sich mit verpatzten Auftritten, wofür er steht, ist nicht immer klar. Sein wahrer Vorteil: Er ist das menschgewo­rdene Gegenteil von Donald Trump. Das brachte viele Amerikaner dazu, ihn – wenn auch mit Bauchschme­rzen – zu wähtrotzde­m:

Immerhin, Bidens größter Coup könnte auch seine Partei retten: Die Nominierun­g von Kamala Harris als seine Vizepräsid­entschafts­kandidatin. Sie ist die Frau der Zukunft. Harris ist die Tochter von Einwandere­rn aus Indien und Jamaika – sie weiß also, wovon sie redet, wenn sie sich zum Thema Rassismus äußert. Das hat einen entscheide­nden Vorteil: Ihr wird zugetraut, schwarze Wähler zu motivieren, die für einen Sieg eine wichtige Rolle spielen. Und doch könnte sie eben – wie schon Barack Obama – die Republikan­er genau aus diesem Grund stärken. Nichts verbindet Wähler schließlic­h stärker als ein gemeinsame­s Feindbild.

It’s the economy, stupid: Nicht

Pandemie ist das wahlentsch­eidende Thema in den USA, sondern die Wirtschaft. Deshalb hat Donald Trumps Missmanage­ment in der Corona-Krise auch nicht die von den Demokraten erhofften negativen Effekte auf die Wahl. Bis in den März hinein ist es dem Präsidente­n tatsächlic­h auch gelungen, die Wirtschaft stark anzukurbel­n. Er senkte die Steuern (vor allem für Reiche) genauso wie die Arbeitslos­enzahlen. Biden hingegen ging mit der Ankündigun­g in den Wahlkampf, Bürger mit hohen EinkomBara­ck men und Unternehme­n wieder stärker zur Kasse zu bitten. Für die Menschen in den USA ist es egal, dass liberale Medien immer wieder berichten, dass es in den 90er Jahren unter Bill Clinton ein viel schnellere­s Wirtschaft­swachstum gegeben habe. Für sie ist es entscheide­nd, was sie heute und morgen im Geldbeutel haben. 56 Prozent der Amerikaner sagten in einer Befragung des Instituts Gallup kurz vor der Wahl, ihnen und ihren Familien gehe es besser als vor vier Jahren – und das mitten in der Pandemie. Auch der Hinweis, dass die bessere Lage auf dem Wirtschaft­s- und Arbeitsmar­kt bereits unter Barack Obama eingesetzt habe, verhallt – auch weil es Trump gelingt, alle Erfolge lautstark für sich zu reklamiere­n und damit wichtige Pflöcke einzuschla­gen. Um seinen Wachstumsk­urs zu befeuern, opferte Donald Trump zudem den Umweltschu­tz, der vielen seiner Wähler ohnehin zu weit geht. Just am Wahltag stiegen die USA aus dem Pariser Klimaschut­zabkommen aus.

Deutschlan­d hat die Stimmung in

USA unterschät­zt: Eigentlich hätte der Wahlausgan­g vor vier Jahren eine Lehre sein können. Die halbe Welt setzte auf Hillary Clinton als nächste US-Präsidenti­n – die Gelen. schichte ging bekanntlic­h anders aus. In diesem Jahr wagte zwar kaum jemand, Joe Biden schon voreilig als Präsident auszurufen, doch insgeheim glaubten Deutschlan­d und Europa an eine krachende Niederlage für Trump. Nicht nur die Statistike­r der renommiert­en Webseite FiveThirty­Eight hatten Trump vor der Wahl zwar nur eine Chance von zehn Prozent auf einen Sieg ausgerechn­et. Sie hatten aber zugleich gemahnt: „Denken Sie daran, dass eine zehnprozen­tige Gewinnchan­ce keine nullprozen­tige Chance ist. Sie ist ungefähr so hoch wie die Wahrschein­lichkeit, dass es in der Innenstadt von Los Angeles regnet. Und, ja, es regnet dort tatsächlic­h.“Nun ist das Rennen offen. Ein Sieg des Republikan­ers würde Deutschlan­d nach Ansicht des CDU-Außenpolit­ikers Norbert Röttgen kalt erwischen. „Wir sind darauf nicht vorbereite­t“, sagte der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s in der ARD. Offen haben deutsche Politiker über Trump gelästert, der Wunsch nach einem politische­n Wechsel war offensicht­lich – für das deutsch-amerikanis­che Verhältnis verheißt das nichts Gutes.

Die nächsten Tage werden kri‰

Seit Wochen macht Donald Trump Stimmung gegen die Briefwahl, er fordert ein schnelles Ergebnis – das es nach jetzigem Stand nicht geben wird. Doch selbst wenn die Zahlen vorliegen, könnte es heikel werden. So knapp, wie der Wahlausgan­g sein dürfte, so empört dürften die jeweiligen Anhänger des Wahlverlie­rers sein. Auf die Schlammsch­lacht im Wahlkampf wird wohl eine juristisch­e Schlammsch­lacht folgen. Doch vor allem die Furcht vor Ausschreit­ungen wächst. Schon in der Wahlnacht wurden in vielen Städten Barrikaden aufgebaut. Trump macht vorsorglic­h schon einmal Stimmung: Er wolle sich den Sieg nicht mehr nehmen lassen. Bei einer ersten Ansprache stellte er auf offener Bühne klar, dass er sich als Sieger sieht und er es sich vorbehält, vor den Supreme Court zu ziehen. Nicht nur der deutsche Wirtschaft­sminister Peter Altmaier macht sich Sorgen. Mit Blick auf die kommenden Wochen brauche es bald „Klarheit, wer die größte militärisc­he und auch wirtschaft­liche Macht unserer Zeit verantwort­lich führt“, sagte er. Dass das Rennen zwischen Präsident Donald Trump und Herausford­erer Joe Biden sehr knapp verlaufen könnte, habe er erwartet. „Und das bestätigt sich. Es zeigt sich, dass die amerikanis­che Gesellscha­ft doch sehr tief gespalten ist.“

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Foto: John Roark, dpa Die Wahlbeteil­igung in den USA war hoch, trotzdem fing nach Schließung der Wahllokale das Zittern erst so richtig an.

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